Der Vorstoß von CDU-Bundesfraktionsvize Carsten Linnemann, ein Kind, das kaum deutsch spricht und versteht, habe auf einer Grundschule nichts zu suchen, schlägt hohe Wellen. Manche sehen darin ein Grundschulverbot, andere einen berechtigten Einwand. Im Mittelpunkt der Diskussion steht jedoch, was er wirklich gesagt oder gemeint hat. Die Tagesschau widmet der Debatte sogar einen Faktenfinder-Beitrag: Linnemann hat kein Verbot gefordert.
Was Linnemann sagte: „Es reicht nicht nur, Sprachstandserhebungen bei Vierjährigen durchzuführen, sondern es müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen. Hier muss eine Vorschulpflicht greifen, notfalls muss seine Einschulung auch zurückgestellt werden. Das kostet Geld, aber fehlende Integration und unzureichende Bildung sind am Ende viel teurer.“ … „Wir erleben neue Parallelgesellschaften in vielen Bereichen des Landes.“ … „Bis tief hinein in die Mittelschicht erlebe ich Eltern, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken, weil das Niveau an staatlichen Schulen sinkt.“
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Nun, darüber kann man sich streiten, darum geht es aber nicht. Interessanter ist zunächst, dass niemand etwas gegen vorschulischen und bedarfsorientierten Sprachunterricht hat. Niemand hat auch etwas dagegen, wenn der Staat Kinder besser auf die Schule vorbereiten will. Es ist auch kein einziger Fall bekanntgeworden, in der sich irgendjemand über Bildungsmaßnahmen zur Chancenverbesserung von Kindern mit Migrationshintergrund beschwert hätte – weder Lehrer noch Eltern oder Kinder.
Bemerkenswert auch, dass insbesondere Unionspolitiker geneigt sind, den Bildungsstandort Deutschland gerne auf dem Rücken von Kindern mit Einwanderungsgeschichte zu retten versuchen, aber selten die in Deutschland besonders stark ausgeprägte Korrelation zwischen Bildungserfolg und Reichtum des Elternhauses problematisieren, obwohl sie – unabhängig von der Herkunft – viel mehr Kinder betrifft, benachteiligt und den Staat langfristig deutlich mehr kostet. Warum? Weil Politiker gut verdienen und ihre Kinder massiv von diesem Geld-Bildung-Zusammenhang profitieren? Folgte man in diesem Kontext der linnemannschen Logik, müsste man behaupten: „Ein Kind, das aus einem armen Elternhaus kommt, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen.“
Nicht uninteressant ist auch, dass sich ausgerechnet ein verantwortlicher Regierungspolitiker – als spielte er Opposition – über vermeintlich fehlende Bildungsmaßnahmen beschwert, obwohl die in den Ländern in verschiedensten Variationen und Stufen bereits seit Jahren erfolgreich erprobt und umgesetzt werden – man merkt, Linnemann ist kein Bildungspolitiker. Dass er seine Aussage zudem auf falschen Annahmen und Zahlen stützt, geschenkt. Geschenkt auch, dass Deutschland voll ist mit Erfolgsgeschichten von Richtern, Ärzten, Politikern, Publizisten, Polizisten, Wissenschaftlern mit Migrationshintergrund, die ohne Deutschkenntnisse eingeschult wurden.
Das eigentliche Problem an Linnemanns Aussage ist – wird bisher kaum diskutiert: seine Wortwahl. Die suggeriert, Kinder mit ausländischen Wurzeln
+ leben in Parallelgesellschaften,
+ können kein Deutsch,
+ stören den Unterricht,
+ senken das Niveau,
+ verscheuchen deutsche Kinder,
+ kosten Geld,
= sind ein Problem.
Wer Sprachkenntnisse von Vorschulkindern einfordert, sollte als erwachsener Politiker, der fürstlich dafür alimentiert wird, Kluges zu sagen, doch bitte selbst so viel Sprachverständnis mitbringen, um zumindest grob einschätzen zu können, wie bestimmte Begriffe und Wortkombinationen verstanden werden – und was sie in den Köpfen auslösen.