Blockade ziviler Seenotrettung

Wir sehen nicht mehr, was auf dem Mittelmeer passiert

Die Blockade ziviler Rettungsschiffe bedeutet nicht nur mehr Tote im Mittelmeer. Die Kriminalisierung der zivilen Seenotretter dient auch dazu, der europäischen Öffentlichkeit vorzuenthalten, was auf dem Mittelmeer passiert. Von Laura Gey

Seit dem 2. Juli wird das Schiff der zivilen Seenotrettungsorganisation Sea Watch, die Sea Watch 3, im maltesischen Hafen Valletta festgehalten. Wie viele andere zivile Seenotrettungsboote, die in Malta anliegen, erteilt die maltesische Regierung keine Genehmigung zum Auslaufen, obwohl die niederländische Regierung (unter deren Flagge die Sea Watch 3 fährt) die korrekte Registrierung des Schiffes bestätigt hat. Diese Blockade ist Teil einer ganzen Reihe von Behinderungen ziviler Seenotrettungsorganisationen, die mit Ermittlungen Maltas gegen den Kapitän der M/S Lifeline begonnen haben.

Gleichzeitig sind die Zahlen derer, die bei dem Versuch, das Mittelmeer Richtung Europa zu überqueren gestorben sind, in den letzten Monaten drastisch angestiegen; allein im Juli und August haben mindestens 261 Menschen dort ihr Leben verloren, im laufenden Monat starben mindestens 100 weitere Menschen. Die staatlichen Seenotrettungsprogramme sind laut Sea Watch und anderer Nichtregierungsorganisationen völlig unzureichend, um der Situation auf dem Mittelmeer zu begegnen und die Menschen zu retten, die dort auf hochseeuntauglichen Booten in Seenot geraten.

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Stattdessen wird sich seitens der EU vermehrt auf die sogenannte „libysche Küstenwache“ verlassen. Bei dieser handelt es sich tatsächlich um eine Reihe von der EU militärisch ausgestatteter Milizen, von denen niemand so genau weiß, unter wessen Führung sie handeln und welchem Gesetz sie unterstehen. In Libyen selbst gibt es derzeit mehrere miteinander konkurrierende Regierungen und Milizen, die um die Macht kämpfen.

Neben der eigentlichen Seenotrettung übernehmen die Organisationen, die auf dem Mittelmeer so wertvolle Arbeit leisten, allerdings noch eine andere Aufgabe: Sie dokumentieren und veröffentlichen, was dort so passiert. Gerade in den letzten Monaten wurden vermehrt Verstöße gegen das Völkerrecht gemeldet, so etwa ein illegaler Push Back eines italienischen Schiffes, das Fliehende nach Libyen zurückbrachte, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, einen Asylantrag zu stellen.

Auch die libysche „Küstenwache“ wurde immer wieder dabei beobachtet, wie sie Menschen zurückließ, Boote abdrängte oder Fliehende mit Gewalt an Bord zwang. Zuletzt berichtete die Überlebende eines solchen „Rettungseinsatzes“, die gemeinsam mit den Leichen einer Frau und ihres Kindes gefunden wurde, wie sie von der libyschen Besatzung zurückgelassen wurde, da sie sich geweigert hatte, an Bord zu kommen.

Die furchtbaren Bedingungen in den libyschen Gefängnissen insbesondere für Transitmigranten sind inzwischen hinreichend dokumentiert (unter anderem von Amnesty International). Etwa 20.000 Menschen werden dort auf engstem Raum festgehalten, sind Hunger und Folter ausgesetzt. Gerade Frauen und Kinder leiden zudem unter sexualisierter Gewalt und werden oft als Sklaven verkauft.

In der Woche vor ihrer Festsetzung hatte die Crew der Sea Watch 3 mehrmals beobachten können, wie staatliche Seenotrettungsorganisationen Notrufe von kenternden Booten ignorierten. In jedem Fall machten die zivilen Seenotretter Druck auf die jeweilige Behörde, indem sie auf ihre erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit hinwiesen und drohten, dieses völkerrechtswidrige Verhalten zu dokumentieren und öffentlich zu machen. Daraufhin wurden die Menschen gerettet, einige Tage später allerdings durfte das Schiff von Sea Watch nicht mehr auslaufen.

„Die Blockade ziviler Rettungsschiffe bedeutet nicht nur mehr Tote im Mittelmeer. Sie dient auch dazu, sich den Zeugen der Menschenrechtsverletzungen zu entledigen, die von der sogenannten libyschen Küstenwache begangen werden, welche maßgeblich von der EU finanziert und ausgebildet wird. Dass zugleich auch die Mission unseres Aufklärungsflugzeugs Moonbird verhindert wird, bestätigt unsere Annahme“ so Johannes Bayer von Sea Watch.

Gerade in den letzten Monaten ist überaus deutlich geworden, dass die europäischen Maßnahmen auf dem Mittelmeer nicht dazu dienen sollen, Menschenleben zu retten. Die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettungsorganisationen ist dabei nur ein weiterer Schritt auf einem Weg, der spätestens mit Abschaffung des italienischen Programms Mare Nostrum 2014 begonnen hat und seit Jahren eine stetig steigende Zahl von Todesopfern fordert.

Die Fassungslosigkeit großer Teile der europäischen Bevölkerung darüber macht sich auch in Deutschland bemerkbar, etwa wenn Tausende unter dem Motto „Seebrücke“ demonstrieren gehen. Die Kriminalisierung der zivilen Seenotretter dient vor allem dazu, zu verhindern, dass die europäische Öffentlichkeit darüber informiert bleibt, was auf dem Mittelmeer im Namen ihrer Regierungen passiert.

Und auch wenn das fassungslos, traurig und wütend macht, zeigt es doch auch die Relevanz ziviler Präsenz an den Außengrenzen der EU. Gerade durch die aktuelle Behinderung der zivilen Seenotrettung wird das Potential einer kritischen Öffentlichkeit und ziviler Initiativen deutlich: Nur durch sie lässt sich verhindern, dass das Mittelmeer und andere Grenzgebiete zu vollkommen rechtsfreien Räumen werden, in denen die EU und ihre Partnerstaaten konsequenzenlos das Völkerrecht und elementarste Menschenrechte ignorieren können.