Brief an OB Thomas Kufen

„In Essen verlaufen die Grenzen zwischen arm und reich und nicht am Pass.“

Said Rezek ist Essener Bürger und enttäuscht über Oberbürgermeister Thomas Kufen. Er hatte Verständnis für die Entscheidung der Essener Tafel gezeigt, vorerst keine ausländischen Mitbürger mehr aufzunehmen. In einem offenen Brief appelliert Said Rezek an Kufen, die Grenzen in seiner Stadt nicht am Pass zu ziehen, sondern an der Bedürftigkeit der Menschen.

Sehr geehrter Herr Thomas Kufen, Oberbürgermeister der Stadt Essen!

Ich heiße Said Rezek und habe, wie mein Name vermuten lässt, einen sogenannten Migrationshintergrund. Um genau zu sein, aus dem Libanon. Wenn mich jedoch jemand fragt, woher ich komme, antworte ich ganz selbstverständlich: aus Essen. Denn hier bin ich zu Hause. In persönlichen Gesprächen werbe ich stets für meine Heimat und empfehle sie als Wohnort weiter.

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Seit dem Beschluss der Essener Tafel, vorübergehend nur noch deutsche Staatsangehörige als Neukunden aufzunehmen, hat unsere Stadt leider traurige Berühmtheit erreicht. Dieser Schritt wird damit begründet, dass ausländische Mitbürger die Mehrheit der Tafel Kunden ausmachen und sich einzelne nicht an die Regeln der Tafel halten.

Als Essener Bürger bin ich bestürzt über diese Entscheidung, denn sie spaltet unsere Stadtgesellschaft nach Nationalitäten. Wir sind jedoch alle Essener, egal woher unsere Eltern und Großeltern ursprünglich kommen, ob wir einen deutschen Pass besitzen oder nicht. Natürlich muss das Fehlverhalten einzelner Konsequenzen nach sich ziehen, aber Sippenhaft ist das falsche Rezept!

Gerade von Ihnen, Herr Oberbürgermeister Thomas Kufen, habe ich eine solche Haltung erwartet. Stattdessen äußern Sie Verständnis für das Vorgehen der Essener Tafel. Sie finden „die Entscheidung des Vorstands einer Begrenzung nachvollziehbar und respektieren“ sie, denn der Verein wolle sicherstellen, alle Teile der Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen.

Bei allem Respekt, Herr Kufen, aber mit diesem Standpunkt werden Sie dem Anspruch ihres Amtes, Oberbürgermeister aller Essener, aus über 170 Ländern zu sein, nicht gerecht. In Essen verläuft die Grenze nicht zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, sondern zwischen dem wohlhabenden Essener Süden und den sozialen Brennpunkten im Norden unserer Stadt. Dieses Problem gilt es zu benennen und etwas dagegen zu unternehmen, statt Scheinlösungen zu begrüßen und damit Stellvertreterkonflikte zu befeuern. Es gibt keine Bedürftigen erster und zweiter Klasse, sondern nur Bedürftige.

Unter den Nutzern der Tafel gibt es natürlich besonders Betroffene, bspw. Senioren, Kranke oder Alleinerziehende. Wenn jemand bevorzugt behandelt werden sollte, dann sind es diese Gruppen, aber wohlgemerkt unabhängig von ihrer Herkunft.

Den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Essener Tafel gilt mein größter Respekt für ihren Einsatz. Die Verantwortlichen sollten jedoch die Nutzung des Angebots nicht von der Staatsangehörigkeit abhängig machen, sondern von der Bedürftigkeit. Als Essener wünschen wir von Ihnen, dass Gespräch mit der Tafel erneut zu suchen und eben darauf hinzuweisen.

Meiner Heimatstadt Essen werde ich jedem Fall auch weiterhin verbunden bleiben. Die Menschen sind es, die Essen zu etwas Besonderem machen. Wir sind direkt, aber herzlich. Wir sind Essener- und als solche vielfältig. Wir sind eins.

Mit freundlichen Grüßen

Said Rezek, Bürger der Stadt Essen