Blinde Flecken

Weiße Parallelgesellschaft oder wie rassistisch ist die Universität?

Mit deutschen Universitäten verbindet man Aufklärung – und nicht Diskriminierung. Ein Blick hinter die Fassaden offenbart ein anderes Bild. Über Rassismus, blinde Flecken und institutionelle Ausschlüsse in der hochschulpolitischen Debatte. Von Kien Nghi Ha

Deutsche Universitäten gelten nicht als Orte der institutionellen Diskriminierung für Menschen of Color und postkoloniale Migranten, die von der Mehrheitsgesellschaft als außereuropäisch und als nicht-weiß wahrgenommen werden. Vielmehr werden Universitäten gemäß einem jahrhundertealten Bildungsideal öffentlich als Hort der Aufklärung und der interkulturellen Weltoffenheit par excellence verehrt und somit einseitig als Leuchttürme des Wissens, aber nicht als rassistische Problemzonen anerkannt.

Diese unhinterfragten Annahmen bedienen ein bildungs- und gesellschaftspolitisches Dispositiv, in der Hochschulen als institutionelles Leitmodell für ein fortschrittliches Deutschland gefeiert werden. Verstärkt wird dieses Image durch eine PR-Strategie, die in bunten Hochglanzbildern das leistungsfördernde Zusammenwirken von kultureller Pluralität, exzellenter Wissenschaftlichkeit und globaler Kooperation als neues Paradigma der Hochschulpolitik beschwört.

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Wer sich die Mühe macht solche dominanten Selbstbilder zu überprüfen, muss nicht tief graben, um festzustellen, dass rassistische Marginalisierung und kulturelle Ausschließung — trotz der offensichtlichen Relevanz — bisher nur selten als hochschulpolitisches und gesellschaftliches Problem diskutiert, geschweige denn ernstgenommen werden. Auch die intensive bildungspolitische Debatte nach dem PISA-Schock (2000) hat diese Thematik ausgeklammert und blieb weitestgehend auf den Schulbereich begrenzt. Während soziale Exklusivität und kulturelle Dominanz schon seit langer Zeit in marxistischen Analysen der bürgerlichen Klassengesellschaft kritisiert und Genderdiskriminierung in akademischen Strukturen spätestens seit den 1970er Jahren mit zunehmender Anerkennung als gesellschaftliches Machtverhältnis abgeflacht werden, sind Studien zum institutionellen Rassismus in Hochschulen bisher nur höchst sporadisch in zahmen Ansätzen erkennbar. Diese konzentrieren sich meist auf plakative Probleme wie z.B. Umfragen zu Vorurteilen unter Hochschulangehörigen. So kam eine Umfrage von 2013 unter 1.000 Studierenden der Universität Osnabrück zu dem Ergebnis, dass 80% der Befragten antimuslimische und 40% antisemitische Einstellungen zeigen würden. Leider wurden der wissenschaftliche Mittelbau und Professoren in der Studie ausgespart.

Neben der diskriminatorischen Alltagskultur ist auch die defizitäre Repräsentation der gesellschaftlichen Diversität in ihrer ganzen Breite gewichtig. Gerade für rassistisch marginalisierte Gruppen ist der gleichberechtigte und barrierefreie Zugang zur Universität als Bildungs- und Arbeitsort nicht gewährleistet. Als Studierende, Forschende und nicht-wissenschaftlich Beschäftigte sind sie dort z.T. massiv unterrepräsentiert. Wie eine bisher nicht veröffentlichte bundesweite Anfrage an 30 Universitäten des Mediendienst Integration von 2015 bestätigt, verfügen Universitäten nicht über Personalstatistiken, die den Migrationshintergrund und die religiöse Identität ihrer Angehörigen erfassen. Während Daten über Staatsangehörigkeit und Geschlecht erhoben werden und die Evaluation von Gender-Mainstreaming ermöglichen, stoßen Ethnic Monitoring und Employment Equity, wie sie in den USA und Kanada aus guten Gründen üblich sind, hierzulande auf wenig Interesse.

Dabei hat das Statistische Bundesamt mit der Einführung der Kategorie „Migrationshintergrund“ im Mikrozensus 2005 die Notwendigkeit einer weiteren Differenzierung längst eingestanden. Da nicht alle Eingewanderten negativ von Rassismus betroffen sind, wäre es politisch und analytisch sinnvoll mit der Selbstbezeichnung „People of Color“ zu arbeiten. Im angloamerikanischen Kontext ist es z.B. auch für Hillary Clinton selbstverständlich Communites of Color zu adressieren.

Indizien über die Größenordnung der gesellschaftlichen und institutionellen Benachteiligung liefert eine Studie der Initiative „Vielfalt entscheidet“ über vergleichbare Institutionen. Sie untersuchte 2014 die kulturelle Vielfalt in 250 Berliner Stiftungen und zeigte auf, dass in ihren Führungspositionen nur 9% einen Migrationshintergrund haben und lediglich 1% Menschen of Color sind. Noch drastischer ist die Situation in den 30 größten deutschen Stiftungen: Dort sinkt der Anteil auf 3% ab und fällt bei den People of Color unter 1%, obwohl vieler dieser Organisationen sich paradoxerweise für kulturelle Bildung und Inklusion einsetzen. Zum Vergleich: In Berlin hat 26% der Bevölkerung einen Migrationshintergrund, bundesweit sind es 20%.

Tipp: Ende Mai 2016 gibt Kien Nghi Ha gemeinsam mit Noa Ha und Mekonnen Mesghena für die Heinrich-Böll-Stiftung das Dossier „Geschlossene Gesellschaft? Exklusion und rassistische Diskriminierung an deutschen Universitäten“ heraus.

Dieses Strukturproblem wird gegenwärtig durch die kulturelle Diversität infolge der zunehmenden Internationalisierung der Hochschule übertüncht. Was dabei übersehen wird, ist, dass 1.) transnationale Bildungs- und Arbeitsmigration nicht mit Gleichstellung für hier sozialisierte Bildungsinländer zu verwechseln ist; 2.) die soziale und kulturelle Durchlässigkeit stark nachlässt, je höher wir in der universitären Hierarchie hinaufblicken; 3.) kulturelle Diversität nicht zwangsläufig soziale Privilegien untergräbt.

Die Problematik beschränkt sich aber nicht auf Zugangsregelungen zur Hochschulbildung und akademischen Arbeitsmärkten, sondern ist weitaus grundlegender. Universitäten produzieren und verhandeln gesellschaftlich anerkanntes Wissen. Der Ausschluss von gesellschaftlich diskriminierten Gruppen aus der Wissensproduktion wirft in Folge der gegenseitigen Abhängigkeit von Wissen und Macht epistemologische, wissenschaftstheoretische und letztlich auch demokratische Legitimierungsprobleme auf. Daher erscheint es nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig, die Universität als weiße Parallelgesellschaft zur Debatte zu stellen.

Was also als ersten Schritt tun? Die Universität braucht um ihrer selbst willen repräsentative und empirisch gesicherte Forschungen, die sich in Theorie und Praxis mit der intersektionalen Struktur institutioneller Diskriminierungen unter der Einbeziehung der Kategorien „Rassenzuschreibung“ und „religiöser Identifizierung“ auseinandersetzen. Auch muss sie anfangen einer überprüfbaren Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitik Priorität zu geben.