Immigrierte Chefs

Heute schon assimiliert?

Herr Erdoğan war also wieder in Köln und hat noch einmal ausdrücklich „nein“ zur „Assimilierung“ gesagt. Integration ja, aber bei Kultur und Religion könne man keine Kompromisse machen! Tobias Busch plädiert in seiner neuen Kolumne für Bi-Kulturalität.

Auch wenn ich den Wortlaut der alten Rede von Erdoğan lese, verstehe ich nur teilweise was er eigentlich meint. Sich für eine andere Kultur (die seiner neuen Umgebung!) zu interessieren und sie zu verstehen, heißt doch nicht, die eigene aufzugeben oder zu kompromittieren? Besonders unklar ist mir, warum und von wem Assimilierung nicht toleriert werden darf. Dieses ist doch ein freies Land. Wenn jemand sich assimilieren möchte, kann er das tun!?

Es wäre nur schade um das, was er aufgibt. Ich würde auch jedem Menschen dringend davon abraten – da bin ich mit Herrn Erdoğan einer Meinung! Seine Kultur für sich und seine Freunde und seine Familie zu erhalten ist doch Geschenk und Gewinn. Auch für die neuen Kollegen und Freunde übrigens, denen diese Kultur fremd ist. Für sie ist es ein Abenteuer und eine Bereicherung ihres Lebens – natürlich nur, wenn man sie teilhaben lässt. Viele Immigranten sind sich gar nicht bewusst, wie interessant sie für andere sind oder sein könnten. Selbst vom eigenen Empfinden mal abgesehen – warum sollte man das aufgeben?

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Ich sehe auch überhaupt keine Notwendigkeit zum entweder oder und damit natürlich auch nicht zur Assimilierung. Ich habe bei vielen Einwanderern der ersten und zweiten Generation erlebt, dass es Ihnen sehr gut gelungen ist, sich eine neue, zweite Kultur zusätzlich zu erschließen ohne deshalb die erste zu verlieren oder sich anzugleichen. Ich nenne diese Menschen bi – kulturell. Sie fühlen sich in beiden Welten zuhause und sind in der Lage, sich in der jeweiligen sozialen oder örtlichen Umgebung problemlos und komfortabel zu bewegen. Wie ein Mensch zwei, drei oder mehr Sprachen beherrschen kann, kann er auch verschiedene Kulturen beherrschen. Wenn er von klein auf damit aufwächst, kann er es meist sogar sehr umfassend. Ich sage nicht, dass dieser Lernprozess problemlos und konfliktfrei ist; bei vielen Menschen bleibt er auch lebenslang ein Thema, das sie beschäftigt. Aber es ist ganz sicher der Weg, den ich mir für meine Kinder oder mich selbst wünschen würde und ich glaube nicht, das die Alternativen attraktiver sind.

Egal, wie sich ein Immigrant entscheidet – die neue Kultur zu ignorieren, abzulehnen, sie sich nach besten Möglichkeiten zu erarbeiten oder zu versuchen, sich zu „assimilieren“: nie wird er das Problem aus der Welt schaffen können, das er zwischen zwei Kulturen lebt. Sein Empfinden in der alten und der neuen Umgebung wird sein Leben lang etwas anders sein als das von Menschen ohne Migrationshintergrund. Weil er und seine Familie durch andere Eindrücke, Erlebnisse und Gefühle geprägt sind – das ist völlig unabänderlich.

Dieser Spagat ist für viele Menschen aber auch Antrieb und Gewinn im Leben. Ich kenne sicher zwei- bis dreihundert bi-kulturelle Chinesen in Deutschland. Manche sind als Kinder gekommen, die meisten als Studenten. Egal, ob sie seit 5, 12 oder 25 Jahren hier sind: Fast keiner von ihnen liebt nicht seine Heimat und die meisten vermissen sie auch. Aber niemand fühlt sich „assimiliert“. Die Chinesen kommen in der Regel nach Deutschland, um zu lernen; Maschinenbau, Elektrotechnik, Sprachen; aber auch, um andere Denk- und Lebensweisen kennenzulernen. Die meisten kämen gar nicht auf die Idee, die neue Umgebung als Bedrohung oder Angleichungsdruck zu empfinden.

Die ganze Integrationsdebatte ist mir etwas fremd; ich verstehe, dass es einen Unterschied macht, ob man freiwillig und absichtlich in ein anderes Land zieht oder nicht; oder auch einfach in eine bestimmte Situation hineingeboren wird. Ich gebe auch zu, dass die religiöse Komponente – die es z. B. bei den Chinesen so nicht gibt- das Thema viel komplizierter macht. Wenn die Menschen etwa in ihrer Rolle als Eltern das Gefühl haben, dass Teile der Gastkultur im völligem Widerspruch zu ihren religiösen Überzeugungen stehen, wird es natürlich schwierig, diesen Teil der Kultur erlernen zu wollen oder es den Kindern zu erlauben. Aber sehen wir z. B. nach Indien, wo die hinduistische Religion für viele Menschen eine enorm wichtige Rolle spielt: Es wird allgemein akzeptiert, dass am Arbeitsplatz andere Regeln gelten als im Privaten – insbesondere z. B. kasten- und geschlechtsunabhängig der Gleichheitsgrundsatz gilt und zwar unbedingt und ohne Einschränkung. Millionen von religiösen Menschen leben mit diesem Spagat zwischen öffentlichem und privaten Leben täglich – im eigenen Land. Am Ende ist es doch immer die gleiche Frage im Leben: Man kann beklagen, was in einer Situation schwierig ist und fehlt – oder man kann versuchen, sich auf die Chancen zu konzentrieren. Diesen bedauernden Ton für die armen im Ausland lebenden Landsleute in den Reden von Herrn Erdoğan finde ich unangenehm und auch nicht hilfreich. Weil ich auch nicht verstehen kann, wie ein gesunder und intelligenter Mensch nicht den Wunsch haben könnte, seine aktuelle Umgebung zu verstehen, zeitweise Teil davon zu werden und diese Zweigleisigkeit als Bereicherung zu empfinden. Damit wird nicht bestritten, dass das Immigrantenleben auch gewaltige Schattenseiten hat!

Ich bin nicht sicher, dass Herr Erdoğan zu diesen Fragen überhaupt einen Beitrag liefern wollte. Ich nehme eher an, er will und wollte damals wie heute vor allem Wahlkampf machen und dazu seine Zuhörer emotionalisieren – wie Wahlkämpfer das gewöhnlich tun. Das gelingt ihm ja auch prächtig! Ich plädiere für Bi-Kulturalität anstelle von Assimilierung und Integration!