"Isabel" von Feridun Zaimoğlu

Wenn Töchter vor den Müttern sterben

Feridun Zaimoğlu liest in der Berliner Backfabrik. Es ist der 13. Februar 2014, Premiere seines neuen Buches „Isabell“. Isabel ist eine schöne Frau, zum Modeln reicht es altersbedingt aber nicht mehr. Mit der Liebe ist sie ebenfalls am Ende. Sie verlässt ihren Freund und beschließt, ihr Leben neu zu entwerfen.

„Gärungsprozesse und Ortsbegehungen“ bringen ihm den Text. „Ich irre durch die Straßen“, führt er aus. Das klingt nach Jack Kerouac. Heute Abend geht es um „Isabel“, der Roman gleichen Namens spielt in Berlin. Zaimoğlu, ein bekennender Kieler, recherchierte vor Ort, abgestiegen in Hotels. Vielleicht um das Gefühl zu steigern, in einer fremden Stadt zu sein. Bestimmt war immer Nacht und jeder Gang führte über die Jannowitzbrücke. In der Spree trieben die Bagatellen und an den Ufern paaren sich Ratten mit Tauben.

Also Isabel. Sie trennt sich und zieht aus der Wohnung eines Vermögenden in eine Platte am Alexanderplatz. Bruch und Plunder, das kennt man. Wenn die Wohngemeinschaftszeit abgelaufen ist und die Schauspielerin über vierzig, dann bequemt sich das Elend und betritt selbst die Bühne. Willkommen in der Armut. Isabel könnte etwas noch Schlimmes passiert sein, ihre ausschweifende Ablehnung spricht dafür.

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„Ich muss mich verausgaben. Beim Schreiben muss ich schwitzen.“ – Feridun Zaimoğlu

Sie kommt sich abhanden und geht auch den anderen verloren. Gestern war sie noch Schauspielerin und Model, jetzt hat sie nur noch einen Vertrag mit dem Ehepaar, das Isabel in ihren Sex einbaut. Auch das ist nur eine Nebenrolle.

Zaimoğlu unterbricht den Vortrag und spricht über „die vom Bürgerlichen abgefallenen Assistenzfiguren“ im Allgemeinen. Vermutlich klumpen die sich in seiner Vorstellung von Berlin. Prekäre Boheme. Der Autor nennt die Kastanienallee „eine Zombiezone“. Er deutet an, sie in einer besseren Vergangenheit gekannt zu haben. In den Neunzigern war sein Publikum blutjung, jetzt sind einige älter als der 1964 geborene Autor.

„Sich der Wirklichkeit aussetzen, das macht alt“, sagt Zaimoğlu. Seine Isabel begibt sich unter Trebegängerinnen. Helga erscheint auf der Bildfläche, „eine Flaschenpflückerin“ in „löchrigen Gärtnergaloschen. Sie sagt: „Bin hier geboren und gar nicht weggekommen.“

Helga wiegt nicht mehr als ein dicker Männerbauch. Früher hat sie für zwei Kartoffeln „Fußnägel geknipst“. Sie sei mit jedem gegangen, erzählt sie Isabel. Zaimoğlu erinnert an „arische Mädchen“, wie sie „mit Siegern und Schiebern anbändelten“ im Jetzt der unmittelbaren Nachkriegszeit. Der Untermensch von eben war nun Sir. Erst sagte man Sir, dann Henry, dann Darling und schon war man in Übersee verheiratet. Das ist Helga nicht widerfahren. Sie klappert wohltätige Adressen ab, es wird schon nicht mehr ewig dauern bis zur Himmelfahrt.

Isabel „schwört der Heiterkeit ab“. Zaimoğlu begleitet sie zu einer Armenspeisung mit Pastor. Sie lernt das Alphabet der Abweichungen. Ihre Mutter ist eine Hagestolze, imstande die Tochter zu überleben. Eine andere Mutter im Roman hat ihre Tochter schon überlebt. Sie zieht in die Wohnung der Toten. Die Welt ist aus den Fugen, wenn die Töchter vor den Müttern sterben.