Internationaler Vergleich

Schwachpunkte Deutschlands: Diversität und fehlende Identifikation

Der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland befindet sich im Aufwärtstrend, ist aber im internationalen Vergleich Mittelmaß. Anlass zur Sorge ist die schwache Ausprägung bei der Akzeptanz von Vielfalt. Hier geht der Trend klar nach unten. Das zeigt der aktuelle „Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt“ der Bertelsmann Stiftung.

Der Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt der Bertelsmann Stiftung ist so etwas wie ein Wasserstandsmelder, der in regelmäßigen Abständen anzeigt, wie es um den gesellschaftlichen Kitt steht – in Deutschland und Europa und überhaupt.

Untersucht werden dabei Faktoren, die zu einem stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen können oder aber auch diesen verhindern. In verschiedenen Punkten oder allgemein. Die Ergebnisse der Langzeitstudie, die von einem Forscherteam der Jacobs University Bremen für den Zeitraum 1989 bis heute in 34 westlichen Staaten (alle 27 EU-Mitglieder noch ohne Kroatien und dazu sieben weitere OECD-Nationen, nämlich Australien, Israel, Kanada, Neuseeland, Norwegen, die Schweiz und die USA) durchgeführt wurden, sind so verschieden und dennoch so ähnlich wie die untersuchten Länder und Menschen selbst.

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Deutschland im Mittelfeld und in der Spitzengruppe
Blickt man auf die Ergebnisse der 9 einzelnen Dimensionen, die untersucht wurden (also soziale Netze, Vertrauen in Mitmenschen, Akzeptanz von Diversität, Identifikation, Vertrauen in Institutionen, Gerechtigkeitsempfinden, Solidarität und Hilfsbereitschaft, Anerkennung sozialer Regeln sowie gesellschaftliche Teilhabe), und ihrerseits drei Bereichen (soziale Beziehungen, Verbundenheit mit dem Gemeinwesen und Gemeinwohlorientierung) zugeordnet sind, findet man Deutschland in der Spitzengruppe, wenn es beispielsweise um die Anerkennung sozialer Regeln geht. Schaut man jedoch auf die Resultate in Bezug auf die Akzeptanz von Diversität, liegt Deutschland nur im Mittelfeld. Das gilt auch für die Identifikation mit der eigenen Nation. Insgesamt schneidet Deutschland mit einem Platz im oberen Mittelfeld ab. Spitzenreiter sind die skandinavischen Länder Dänemark, Norwegen, Finnland und Schweden.

Aber auch Staaten mit einer langen (wenngleich nicht immer erfolgreichen) Einwanderungsgeschichte wie Neuseeland, Australien, Kanada und die USA liegen vor Deutschland, ebenso wie die Schweiz, Luxemburg, Niederlande, Irland und Österreich. All diese Länder weisen also einen stärkeren inneren Zusammenhalt über die alle Gruppen hinweg auf. In der Theorie der Befragung zumindest. Hinter Deutschland finden sich (teilweise recht abgeschlagen) Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien, Lettland und Litauen und auch Rumänien, Griechenland und Bulgarien.

Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt: Zentrale Ergebnisse. Quelle: Bertelsmann Stiftung

Was den Zusammenhalt ausmacht
Als Extrakt der Studie halten die Autoren fest, dass Wohlstand, Einkommensgleichheit und die Entwicklung hin zur modernen Wissensgesellschaft ein gutes gesellschaftliches Miteinander begünstigen. Und: Zuwanderung und Globalisierung wirken sich nicht negativ auf den Zusammenhalt einer Gesellschaft aus. Hinzu kommt, dass die Qualität gesellschaftlichen Zusammenhalts als die Qualität des gemeinschaftlichen Miteinanders definiert wird: „Starker Zusammenhalt drückt sich aus durch belastbare soziale Beziehungen, eine positive emotionale Verbundenheit der Menschen mit dem Gemeinwesen und eine ausgeprägte Gemeinwohlorientierung.“ Man kann davon ausgehen, dass mit belastbare Beziehungen nicht Unterdrückung gemeint ist und mit emotionaler Verbundenheit der Menschen mit dem Gemeinwesen nicht nur das latente Sympathisieren und Solidarisieren mit Mördern wie jenen der NSU.

Download: Der „Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt“ und weitere Informationen zur Studie wurden von der Bertelsmann Stiftung am Dienstag (16. Juli 2013) vorgestellt und können unter www.gesellschaftlicher-zusammenhalt.de kostenlos heruntergeladen werden.

Weiterhin wird in der Zusammenfassung der Studie betont, dass moderne Gesellschaften nicht auf Solidarität, die aus Ähnlichkeit erwächst, sondern auf Solidarität, die auf Verschiedenheit und gegenseitiger Abhängigkeit beruhen. Will heißen: Wir müssen uns alle so nehmen, wie wir sind. Und wir sind eben alle anders, auch wenn wir dieselbe Staatsform respektieren mit all ihren Regeln. Insofern ist es richtig, wenn die Bertelsmann-Studie sagt, dass ein inklusiver gesellschaftlichen Zusammenhalt, der die Pluralität der Lebensentwürfe und Identitäten nicht nur als gegeben hinnimmt, sondern als Stärke zu begreifen sucht, der richtige Weg ist, um Potentiale zu fördern.

Diversität im Weg
Dem steht leider die Erkenntnis der Studie gegenüber, dass Deutschlands Schwächen vor allem bei der Akzeptanz von Diversität und der Identifikation mit der Nation liegen. Mit Hintergrund der Tatsache, dass der Zuzug ausländischer Fachkräfte nicht nur geduldet, sondern gefordert und gefördert wird, stellt dies tatsächlich ein Problem dar: „Aktuell sind also zahlreiche Länder offener für gesellschaftliche Vielfalt als Deutschland. Die Akzeptanz von Vielfalt ist in modernen und heterogenen Gesellschaften ein wichtiger Aspekt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt; sie ist notwendige Voraussetzung für eine weltoffene Gesellschaft. Hinzu kommt, dass Deutschland – angesichts des demographischen Wandels und Fachkräftemangels – weiter auf Einwanderung und eine attraktive Willkommenskultur angewiesen ist. Die Stärkung der Akzeptanz von Vielfalt ist somit eine wichtige gesellschaftliche Entwicklungsaufgabe.“

Was die fehlende Identifikation der Deutschen mit Deutschland angeht, so findet sich das Land hier nicht alleine auf weiter Flur. Auch in Staaten wie Belgien, Niederlande und Großbritannien ist Nationalstolz nicht stark ausgeprägt, dafür aber in Ländern wie Griechenland, Bulgarien oder Zypern. Obgleich sie insgesamt eher abgeschlagen sind, was den Zusammenhalt insgesamt angeht, belegen sie bei der Identifikation mit der eigenen Nation einen Platz in der Spitzengruppe.