Zukunft Ost

Ende der Ost-West-Abwanderung geschafft?

Seit 1990 sind mehr als 1,7 Millionen Menschen von Ost- nach Westdeutschland abgewandert. Im Jahr 2011 betrug der Wegzug aus Ostdeutschland nur noch 5.200 Personen – so wenig wie seit 1997 nicht mehr.

Im Jahr 2011 sind per Saldo lediglich 5.200 Menschen aus den fünf ostdeutschen Bundesländern weggezogen – so wenig wie seit 1997 nicht mehr. Rechnet man die Hauptstadt Berlin mit ein, hatte der Osten Deutschlands sogar erstmals seit dem Fall der Mauer 1989 einen Wanderungsgewinn.

Die rückläufige Zahl der Abwanderer ist unter anderem Folge des ostdeutschen Geburteneinbruchs Mitte der 1990er Jahre und, damit verbunden, besserer Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Denn gegenwärtig erreichen extrem schwache Geburtsjahrgänge die hochmobile Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen. Mehr und mehr lösen wirtschaftlich wie kulturell attraktive ostdeutsche Großstädte den Westen als Wanderungsziel der jungen Generation ab. Der ländliche Raum zwischen Rügen und dem Erzgebirge hingegen bleibt demografisches Krisengebiet.

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1,7 Millionen von Ost nach West
Seit 1990 sind per Saldo mehr als 1,7 Millionen Menschen von Ost- nach Westdeutschland abgewandert. Hatten in den Jahren 1989 und 1990 jeweils noch mehrere hunderttausend Menschen dem Osten den Rücken gekehrt, so sank dieser Wert relativ rasch auf ein Minus von nur noch 2.500 Personen im Jahr 1997 (neue Bundesländer ohne Berlin). In dieser Phase gab es im Osten Deutschlands ein kleines konjunkturelles Zwischenhoch, zudem wurden viele Posten in Unternehmen und Verwaltung mit Personal aus dem Westen besetzt. Auch zehntausende Wegzüge aus Berlin ins brandenburgische Umland der Hauptstadt sorgten Mitte der 1990er Jahre dafür, dass die Wanderungsverluste der fünf ostdeutschen Flächenländer so gering ausfielen.

Doch anschließend verschärfte sich die Krise der ostdeutschen Wirtschaft: Im Jahr 2001 verließen per Saldo wieder fast 100.000 Menschen die neuen Bundesländer Richtung Westen. Ab 2003 pendelte sich der jährliche Wanderungsverlust des Ostens auf etwa 50.000 Personen ein, ehe 2010 nur noch rund 23.000 gingen. Im Jahr 2011 schließlich kamen die fünf ostdeutschen Bundesländer einem ausgeglichenen Wanderungssaldo fast so nahe wie 1997. Anders als damals ist Berlin mit einem Wanderungsplus von 39.000 Personen im Jahr 2011 aber mittlerweile zu einer der attraktivsten Großstädte geworden – so dass der gesamte östliche Teil Deutschlands sogar einen positiven Wanderungssaldo aufweist.

Rückgang der Wegzüge
Besonders günstig verlief die Entwicklung im Freistaat Sachsen, der im Jahr 2011 mit einem Plus von 3.600 Personen zum ersten Mal seit 14 Jahren wieder einen positiven Wanderungssaldo verzeichnen konnte. Sachsen ist damit neben dem durch seine Hauptstadtnähe begünstigten Brandenburg das einzige ostdeutsche Bundesland, das innerhalb der letzten anderthalb Jahrzehnte in einem Jahr mehr Zuzüge als Fortzüge verzeichnen konnte. Dies ist auch ein Resultat des wirtschaftlichen Erfolges der Sachsen, die zwischen 2000 und 2011 mit einem Plus von 14 Prozent das größte Wirtschaftswachstum aller Bundesländer erreichten.

Das Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig veröffentlichte kürzlich die Ergebnisse einer Online-Befragung von abgewanderten Ostdeutschen, wonach sich derzeit drei Viertel der Befragten eine Rückkehr nach Ostdeutschland vorstellen können. In den Befragungen zwischen 2002 bis 2006 lag dieser Wert lediglich zwischen 50 und 62 Prozent. Dieses Ergebnis nährt in mancher demografisch ausblutenden Region die Hoffnung, dass nun eine Welle von Rückkehrern eine Trendwende bringen könnte. Doch der beinahe ausgeglichene Wanderungssaldo der fünf ostdeutschen Bundesländer im Jahr 2011 kommt keineswegs durch verstärkte Rückkehrbereitschaft abgewanderter Ostdeutscher zustande. Die Zahl der Zuzüge lag im Jahr 2011 bei 227.000 und ist seit 2006 im Großen und Ganzen unverändert. Es kommen also nicht mehr Menschen in den Osten, sondern die Zahl der Fortzüge sinkt: Verließen im Jahr 2008 mit 283.000 Personen noch ähnlich viele Menschen eines der fünf ostdeutschen Länder wie in den Jahren zuvor, so sank dieser Wert auf nur noch 252.000 im Jahr 2010, um schließlich mit 232.000 im Jahr 2011 einen neuen Tiefstand zu erreichen.

Auf der einen Seite lässt ein demografisches Phänomen die Abwanderungsziffern sinken: Die Zahl der 18- bis 25-Jährigen, die bei weitem mobilste Altersgruppe, schrumpft erheblich. Gegenwärtig erreicht der Geburteneinbruch von 1994, als die durchschnittliche Kinderzahl je Frau in Osten Deutschlands nur noch 0,77 betrug und somit eine halbierte Generation zur Welt kam, das Ausbildungsalter. Zwischen 2005 und 2010 hat sich die Zahl der 18- bis 25-Jährigen Ostdeutschen um mehr als 20 Prozent reduziert – es gibt also immer weniger junge Menschen, die abwandern können.

Arbeitsmarktsituation verbessert
Auf der anderen Seite hat sich in den neuen Bundesländern die Situation auf dem Arbeitsmarkt deutlich verbessert. Laut Berufsbildungsbericht war im Jahr 2011 die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze in Ostdeutschland (einschließlich Berlin) erstmals seit fast 20 Jahren wieder höher als die Zahl der Bewerber. Die Relation angebotener Lehrstellen zu Bewerbern betrug im Jahr 2011 102,4 zu 100. Einen Wert über 100 gab es das letzte Mal 1992, in den dazwischenliegenden Jahren waren teilweise bis zu elf Prozent weniger Lehrstellen als Bewerber vorhanden. Mehr und mehr sind Jugendliche bei den Unternehmen begehrt.

Attraktiv für Zuwanderer sind im Osten jedoch fast ausschließlich Großstädte. Im Jahr 2010 verzeichneten neben Leipzig, Dresden, Potsdam, Magdeburg, Rostock, Halle, Erfurt, Jena, Schwerin, Greifswald und Eisenach lediglich noch einige Umlandkreise von Berlin einen positiven Wanderungssaldo. Der ländliche Raum hingegen verzeichnet weiterhin enorme Wanderungsverluste. Regionen wie die sächsischen Landkreise Görlitz oder Bautzen, der Erzgebirgskreis oder Mittelsachsen verloren auch 2010 jeweils mehr als 2.000 Einwohner durch Abwanderung.

Demografischer Wandel geht weiter
Auch wenn ein Abflauen der Abwanderung aus Ostdeutschland wahrscheinlich ist: der demografische Wandel kann dadurch nicht gestoppt werden. Durch die jahrelangen Wegzüge potenzieller Eltern und die geringe Zahl an Geborenen sterben seit 1999 in den neuen Bundesländern jedes Jahr rund 50.000 Menschen mehr, als geboren werden. Somit wird sich der Bevölkerungsrückgang fortsetzen, auch wenn künftig niemand mehr abwandert. Während sich die meisten ostdeutschen Großstädte als attraktiv für die junge und mobile Generation erweisen und langfristig auf Stabilität hoffen können, werden die Einwohnerzahlen in den ländlichen Kreisen weiterhin deutlich schrumpfen.

Die 20 Jahre lang zu beobachtende demografische Auseinanderentwicklung von Ost und West verliert zunehmend an Bedeutung – und eine neue Spaltung entsteht zwischen urbanen und ländlichen Regionen. Westdeutsche Landkreise auf der Schwäbischen Alb, im Sauerland oder dem Hunsrück bekommen mehr und mehr ähnliche demografische Probleme, wie sie die Lausitz und das Erzgebirge schon seit Jahren haben.