Neonazi-Terror

Tragödie im Bundestag

Gebührend eröffnete Bundestagspräsident Norbert Lammert gestern die Bundestagsdebatte zum Neonazi-Terror. Was folgte, war eine Tragödie. Fazit: Viel wird sich nicht ändern – nicht mit diesen Verantwortlichen.

Im Namen des ganzen Hauses, aller Mitglieder des Deutschen Bundestages will ich unsere Trauer, Betroffenheit und Bestürzung zum Ausdruck bringen über die erschreckende Serie von Morden und Anschlägen einer kriminellen neonazistischen Bande. Wir sind beschämt, dass die Sicherheitsbehörden der Länder wie des Bundes die über Jahre hinweg geplanten und ausgeführten Verbrechen weder rechtzeitig aufdecken noch verhindern konnten. Den Angehörigen gelten unsere Anteilnahme und eine besondere Bitte der Entschuldigung für manche Verdächtigungen von Opfern und Angehörigen, die sie während der Ermittlungen vor Ort erleben mussten.

Wir wissen um unsere Verantwortung. Wir sind fest entschlossen, alles mit den Mitteln des Rechtsstaates Mögliche zu tun, die Ereignisse und ihre Hintergründe aufzuklären und sicherzustellen, dass der Schutz von Leib und Leben und die von unserer Verfassung garantierten Grundrechte in diesem Land Geltung haben – für jeden, der hier lebt, mit welcher Herkunft, mit welchem Glauben und mit welcher Orientierung auch immer.

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Mit diesen Worten eröffnete Bundestagspräsident Norbert Lammert gestern um 10 Uhr die Bundestagsdebatte mit dem offiziellen Titel: „Mordserie der Neonazi-Bande 1 und die Arbeit der Sicherheitsbehörden“ gebührend. Was folgte war zum Lachen, zum Weinen, eine Tragödie.

Friedrich wie gewohnt
„Was uns bleibt, ist das Versprechen, aufzuklären, das Versprechen, diejenigen, die schuldig sind, und ihre Helfershelfer zu bestrafen“, kündigte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gleich zu Beginn der Debatte an und gab gleich die Begründung mit, wieso das bisher nicht gelungen ist. Die Aufklärung dieser Mordserie sei schwierig gewesen, „weil es zu keiner Zeit ein Bekenntnis zu diesen Taten gab.“ Des Innenministers Geheimnis blieb, ob Straftäter sonst üblicherweise ein Bekenntnis ablegen, wenn sie ein Verbrechen begehen.

Friedrich listete mehreren Maßnahmen auf, die geplant seien; darunter auch die Gründung eines Terrorabwehrzentrums gegen Rechtsextremismus. So eine, wie man sie auch im Bereich des (O-Ton) „terroristischen Islamismus“ etabliert habe. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hingegen hielt von einem Eins-zu-eins-Vergleich beider Gefahren überhaupt nichts. Darüber müsse man noch reden. Da kam der Zwischenruf von Michael Hartmann (SPD) „Werdet euch doch mal einig!“, gerade richtig.

Viele offene Fragen
Gesellschaftspolitische Aspekte ließen Innen- wie Justizministerin außen vor. Beispielsweise die Frage, wie man die zunehmende Verbreitung von ausländer- und fremdenfeindlichem Gedankengut künftig zu verhindern gedenkt. Ob es der Sache dient, wenn man weiterhin vom „terroristischen Islamismus“ spricht und so der rechten Gesinnung geistige Pauschalnahrung gibt, wurde nicht infrage gestellt.

Nur dass man auf Informationen der V-Leute auch künftig angewiesen sei, wollte Friedrich protokolliert wissen. V-Leute, die „über 13 Jahre lang keine einzige Information zu den bisher bekannten Mordfällen“ lieferten, konterte Gregor Gysi (Die Linke). Das sei der Beweis „für die ganze Nutzlosigkeit dieser Strategie“. Wenn es allerdings Informationen gegeben haben sollte, „wäre es noch viel schlimmer“, so Gysi, der viele Fragen stellte. Wichtige Fragen.

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    In Anspielung auf Friedrichs geplante Maßnahmen wollte er auch wissen, was denn die seit 1992 existierende „Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer/ -terroristischer, insbesondere fremdenfeindlicher Gewaltakte“ (IGR) bis heute getan habe. Mit den vom Bundesinnenminister geplanten neuen Dateien würden noch lange keine Straftaten und Straftäter ermittelt. „Hierfür sind immer noch Menschen zuständig“, so der Linkspolitiker, die „über das nötige Bewusstsein“ verfügen müssten.

    Schröders Gesinnungs-TÜV unter Beschuss
    Grünen-Politikerin Renate Künast ergänzte: „Man muss heute den Eindruck haben, dass Institutionen der Sicherheit in Deutschland auf dem rechten Auge blind sind oder zumindest mit dem rechten Auge nicht genau hinsehen.“ Schlimm sei dabei: „Wenn man hätte sehen und hören wollen, hätte man sehen und hören können.“

    Künast griff insbesondere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) scharf an und attestierte ihr „ein Mangel an Herzensbildung“ wenn es ausgerechnet darum geht, Menschen zu unterstützen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen. Die Extremismusklausel müsse weg, da eine wache Zivilgesellschaft viel besser und effektiver sei als der Verfassungsschutz.

    In diese Kerbe hatte zuvor schon SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier geschlagen, als er „Anstand der Zuständigen“ forderte, von der bisher „keine Rede sein“ könne. Er kündigte an, hier „besonders aufmerksam“ auf das Haus von Bundesfamilienministein Kristina Schröder (CDU) schauen zu wollen.

    Auch Schröder wie gewohnt
    Denn die Extremismusklausel gehört mit zu den ersten Amtshandlungen von Familienministerin Schröder. Danach müssen Organisationen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen, ein schriftliches Bekenntnis zur „freiheitlichen Ordnung“ ablegen, wenn sie Projekte finanziert bekommen wollen.

    Hermann Gröhes (CDU) Versuch, Schröder in Schutz zu nehmen, misslingte. Er konnte den Einwand des Grünen-Politikers Volker Beck, warum die Extremismusklausel „nur ausgerechnet bei den Initiativen gegen Rechtsextremismus“ gelte, nicht entkräften. Notgedrungen verwies er auf den Entschließungsantrag und versprach: „Wir reden darüber.“ Eine deutliche Schlappe für die Familienministerin, die sich nicht einmal bemühte. Sie schwieg und saß die gesamte Debatte über an ihrem Platz und nahm die Kritik mal kopfschüttelnd, mal belustigt zur Kenntnis.

    Fazit
    Bevor Bundestagspräsident Norbert Lammert um fünf vor zwölf die Debatte schloss, versuchte Alexander Dobrindt für die CDU/CSU-Fraktion noch den im Raum stehenden Vorwurf zu entkräften, dass man auf dem rechten Auge blind sei. Er sagte: „Wir treten gegen jede Art von Extremismus an.“ Das ließ sich Kristina Schröder nicht zweimal sagen und eilte auf eine Fachtagung der Konrad-Adenauer-Stiftung, wo sie um 13 Uhr referierte. Thema: Islamismus.

    Was bleibt ist der Eindruck, dass sich nicht viel ändern wird – nicht mit diesen Verantwortlichen. Damit verfliegt auch die Hoffnung auf eine lückenlose Aufklärung. Renate Künast sagte am Ende ihrer Rede: „Eines sollten wir uns heute gegenseitig versprechen: Diesmal darf es nicht so sein wie sonst, nämlich dass wir uns aufregen und dann die Opfer vergessen.“

    1. Hervorhebung d.d. Red.