Monika Lazar

Hohe Wahlbeteiligung ist der beste Schutz der Demokartie vor ihren Feinden

2009 ist für Deutschland ein Superwahljahr. Politische Präferenzen konnten und können zum Ausdruck gebracht werden bei der Bundestagswahl im September, bei 8 Kommunal-, 5 Landtagswahlen und nicht zuletzt bei der Europawahl am 7. Juni. Die Parteien werben vor allem mit ihrer Kompetenz zur Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise. Keine Rettung ist ihnen im Wahljahr zu teuer. Doch wie halten sie es mit gesellschaftspolitischen Themen wie der Inklusion und Integration von MigrantInnen und Minderheiten?

Interview mit Monika Lazar 1
Ihre Partei wählt Cem Özdemir zum Parteichef und stellt somit als erste Partei eine Person mit Migrationshintergrund auf den höchsten Posten in einer deutschen Partei. Was bedeutet das für die Grünen in der Zukunft? Für die Wählerinnen und Wähler?

Auf alle Fälle ist es ein Signal an die gesamte Gesellschaft in unserem Land, dass Deutschland aus mehr als „Urdeutschen“ besteht, dass wir seit vielen Jahren Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund hier in unserem Land leben. Das muss man den konservativen Politikerinnern und Politiker in diesem Land immer noch sagen. Insbesondere für die CDU/CSU war es ja einfach ein ziemlich heftiger Schritt anzuerkennen, dass Deutschland wirklich ein Einwanderungsland ist. Sie sprechen jetzt von einem „Integrationsland“. Ich denke, langsam ist es auch in den konservativen Kreisen angekommen, dass es irgendwie völlig normal ist, dass wir nicht nur „blonde und blauäugige“ Menschen in unserem Lande haben. Die Bündnis 90/Die Grünen haben sich schon sehr frühzeitig damit beschäftigt, dass in unseren eigenen Parteistrukturen Leute mit Migrationshintergrund sich organisieren, sich wohl fühlen und dass sie dann natürlich auch gefördert werden.

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Als Barack Obama seinen Eid für seine Präsidentschaft gelegt hat, saß Ihre Fraktion gebannt vor dem großen Bildschirm – mit Öko-Burgern und Coca Cola.. Was halten Sie von dieser Fixierung auf den neuen amerikanischen Präsidenten?

Man kann nachvollziehen, dass nach acht Jahren Bush der Wahlkampf von Obama was völlig neues, was ganz anderes war. Obama hat in Amerika ganz viele Leute emotional angesprochen. Ich denke, die meisten waren einfach froh, dass Bush endlich weg war und dass mit Obama es einer wirklich geschafft hat, der vor paar Jahren gar nicht die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Es zeigt sich, dass sich auch in Amerika einiges entwickelt hat, dass auch Leute wie Barack Obama endlich den höchsten Posten in seinem Lande erringen können.

Den amerikanischen Wahlkampf kann man natürlich nicht eins zu eins auf uns übertragen. Wichtig ist aber zu schauen, was wir für uns nutzen können. Er hat auch neue Netzwerke wie das Internet genutzt, was in unseren neuen Wahlkampfstrategien für dieses Jahr auch eine besondere Rolle spielen wird. Aber die gesamte Kampagne können wir uns schon allein aus finanziellen Gründen insbesondere als Grüne überhaupt nicht leisten. Das ist eine Seite vom amerikanischen Wahlkampf, die ich nicht als übernehmenswert finde. Geld ist nicht alles; man kann auch mit wenig Mitteln guten Wahlkampf machen. Das haben wir Grünen ja in den letzten Jahren immer wieder bewiesen.

Stichwort: „Mit wenig Geld gute Wahlkampf-Kampagne“. Sie kommen aus Sachsen, wo zum Teil mehr NPD- als Grüne Abgeordnete sowohl im Landtag als auch in Kreistagen sitzen. Wie können Sie mit wenig Geld gute Wahlkampf-Kampagne starten, um erfolgreich gegen die NPD wirken zu können?

Na ja, die NPD hat ja in den letzten Jahren gezeigt, dass sie gar nicht ihre Versprechen einhält, die sie im Wahlkampf postuliert hat. Sie wollte sich um soziale Themen kümmern. Das ist nicht passiert. Sie nutzt meistens immer in ihrer Szene populäre Themen. Wir müssen zeigen, was die NPD versprochen hat, was sie gemacht hat, bzw. nicht gemacht hat. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich unsere Schwerpunkte voranstellen. Da wir auch wenig Geld haben, wird es stark darauf ankommen, wie wir als Kandidatin und Kandidaten auftreten. Wenn wir glaubwürdigere Kandidatinnen und Kandidaten haben, die Vorort verwurzelt sind, zeigen wir dadurch, dass wir es besser können. Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass die NPD keine „normale“ Partei ist – selbst wenn sie in den Parlamenten sitzt. Sie ist keine demokratische Partei. Wir müssen immer wieder aufklären, dass sie die Parlamente und die Demokratie abschaffen will.

NPD, sagen Sie, ist keine normale Partei. Wenn aber die Linken und die SPD dafür plädieren, die NPD zu verbieten, sind Sie eigentlich strikt dagegen, warum?

Sowie in allen Gruppierungen unseres Landes wird auch bei den Grünen dieses Thema kontrovers diskutiert. Als Bundesfraktion haben wir uns aber mehrheitlich entschieden, dass wir aktuell kein neues NPD-Verbot fordern. Das hat folgende Gründe. Das Scheitern des Verbotsversuches lag hauptsächlich daran, dass insbesondere auf der Führungsebene der NPD V-Leute vorhanden sind. Solange die Innenminister von Bund und Ländern die V-Leute nicht abziehen, wäre es nicht sinnvoll, einen neuen Verbotsversuch zu starten. Wenn ich eine Partei verbiete, dann zerschlage ich die Strukturen, aber die Menschen werden sich in anderen Gruppierungen wieder sammeln. Eigentlich ist es sehr einfach, die NPD bedeutungslos zu machen. Insbesondere in Sachsen sage ich immer wieder, dass viele Leute zur Wahl gehen und dass alle Leute demokratisch wählen sollen. Wenn die NPD nämlich unter fünf Prozent kommt, ist sie nicht mehr im Parlament. So bekommt sie nicht mehr die vielen Gelder. Wenn sie auch in den Kommunalparlamenten nicht mehr so häufig gewählt wird, wäre das gut. Das heißt – ein Appel an alle wahlberechtigten Menschen in diesem Lande: Geht wählen. Wählt demokratisch. Und so haben wir die NPD sehr schnell und ohne viele Jahre mit Gerichten zu drohen, in die Bedeutungslosigkeit verdammt.

Wenn wir uns die Mitgliederstruktur der NPD angucken, sehen wir, dass sich vor allem Jugendliche von der braunen Ecke angezogen fühlen. Woran liegt das? Wie kann man den die Jugendlichen wieder zurück zur Demokratie gewinnen?

Heutzutage denken die meisten Jugendlichen, die Demokratie ist was ganz „Normales“; sie war schon immer da und wird immer bestehen. Da ich in der DDR aufgewachsen bin, habe ich erlebt, dass es nicht immer so war. Ich finde es sehr traurig, dass die erwachsenen Menschen viel zu schnell vergessen haben, dass Demokratie nicht Alltag sein muss, sondern dass wir uns alle für den Erhalt der Demokratie einsetzen müssen. Deshalb ist es auch wichtig, dass man den Kindern und Jugendlichen so früh wie möglich Chancen gibt, mitzubestimmen, selbst Entscheidungen zu treffen. Angefangen bei Familienentscheidungen und im Kindergarten. Oder auch in der Schule, wo die Jugendlichen nicht einmal entscheiden können, wie ihre Klassenräume oder die Plätze vor der Schule gestaltet werden und der Lehrer immer nur anordnet. Dann haben die Kinder zunächst einmal die Nase voll und denken, dass sie sowieso nichts machen können. Von daher ist es wichtig, den Kindern und Jugendlichen Chancen zum Mitmachen und zum Mitgestalten zu geben, sodass sie dann, wenn sie Jugendlich und Erwachsen sind, angeregt sind, sich in unserer Gesellschaft zu beteiligen. Es gibt ganz viele Angebote. Ich kann mich in einer Bürgerinitiative, in Aktionsgruppen oder in den Jugendorganisationen der Parteien engagieren. Deshalb ist es sehr wichtig, die Demokratie an der Schule noch weiter zu verstärken.

Rechtsextreme vernetzen sich auch über nationale Grenzen hinweg. Beispielsweise sitzen 44 Rechtspopulisten im Europäischen Parlament. Können wir von einer „Europäisierung des Rechtsextremismus“ sprechen?

Gerade hier in Deutschland haben wir einen ganz spezifischen Blick auf die Problematik. Wenn man in den alten Denkweisen der Nazis verharrt, würde man denken, die Deutschen sind die „Übermenschen“ und alle anderen zählen für die Rechtsextremen nichts. Teilweise ist es sehr erstaunlich, in welchen Ländern es überall rechtsextreme Bestrebungen und Vereinigungen gibt. Insbesondere auch in Osteuropa, was ich persönlich überhaupt nicht nachvollziehen kann, weil sie früher die „Untermenschen“ waren, die von den Nazis unterdrückt worden sind. Aber jetzt nach den neuen Konzepten des Ethnopluralismus verbünden sich deutsche Nazis immer mehr mit den europäischen und internationalen Nazi-Szenen. Das heißt, dass wir das Problem auf europäischer und internationaler Ebene bekämpfen müssen. Wichtig ist, dass auf europäischer Ebene die Demokraten zusammenstehen und zeigen, dass wir die Mehrheit sind. Europa lebt so lange in Frieden, was für früher tief verfeindete Länder gar nicht selbstverständlich war. Das muss insbesondere jungen Leuten gesagt werden, für die es heute völlig normal ist, in andere Länder zu reisen und zu studieren. Es ist so ein riesengroßer Erfolg für die Menschen und den Frieden in dieser Region. Dessen sollten sich alle bewusst sein.

Im kommenden September haben wir Bundestagswahlen. Warum sollten die deutschen BürgerInnen Ihre Partei Bündnis 90/Die Grünen wählen?

Wir starten in den Wahlkampf mit drei Schwerpunktthemen. Das sind die Ökologie, soziale Gerechtigkeit und gerechte Bildungschancen. Beim Thema Ökologie zeigte die aktuelle Diskussion, dass es da ziemlich hoch hergeht. Es wird jetzt wieder aktuell über den Atomausstieg, bzw. über den Ausstieg vom Ausstieg diskutiert. Nur eine Stimme für die Grünen ist eine Stimme für den Ausstieg. Es ist wichtig, dass wir alle Fälle verhindern, dass es zu anderen Konstellationen kommt, die eventuell wieder vom Atomausstieg zurücktreten wollen. Weitere Schwerpunkte in der Umweltdebatte sind der Klimaschutz und die erneuerbaren Energien. Die Stimme für die Grünen ist eine richtige Stimme, denn wir sind der Garant, dass wir uns auch nach den nächsten Bundestagswahlen dafür einsetzen werden, dass endlich Fakten geschaffen werden.

Die Diskussion in den letzten Jahren hat gezeigt, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander gegangen ist. Laut dem Armutsbericht der Bundesregierung hat insbesondere die Kinderarmut zugenommen. Unsere Fraktion hat ein Konzept zur Kindergrundsicherung beschlossen, mit dem wir uns deutlich von den anderen Parteien hervorheben. Wir wollen endlich, dass die Kinder einen eigenständigen Anspruch haben, der unabhängig vom Einkommen der Eltern ist, der unbürokratisch einmal nach der Geburt beantragt werden kann und vor allem völlig unabhängig von der Lebenskonstellation der Eltern ist. Es kann nicht sein, dass immer noch die Eltern, die in einer klassischen Ehe leben, mehr unterstützt werden als eventuell Alleinerziehende oder Partnerschaften, die nicht durch die Ehe abgesegnet wurden.

Der dritte Schwerpunkt sind die gleichen Bildungschancen für alle unabhängig von der sozialen Herkunft der Kinder. Es herrscht eine himmelschreiende Ungerechtigkeit in unserem Land. Wir wollen dafür sorgen, dass die Kinder länger gemeinsam lernen können. Dadurch soll die Auslese nicht so zeitig beginnen. Das Bildungssystem in unserem Land ist einfach extrem ungerecht. Es muss auch möglich sein, dass es mehr zentrale Übereinstimmungen gibt und nicht diese Länderklauberei, wie wir sie bis jetzt haben.

Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Filiz Keküllüoglu im März 2009.
Das Interview wurde zuerst auf www.migration-boell.de veröffentlicht.

  1. Monika Lazar ist seit 2005 Bundestagsabgeordnete. Sie ist Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus, Mitglied des Petitionsausschusses, stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des Innenausschusses.