Riskieren wir deshalb mal einen Blick ins Ausland. Und da hat Deutschland die Sympathien, die es sich mit der Fußball-WM und „Zu Gast bei Freunden“ erarbeitet hatte, weitgehend wieder verspielt, Merkel ist dort zur Fratze des hässlichen Deutschen verkümmert. Nicht, dass sich das auch schon in einer allgemeinen Deutschenfeindlichkeit spiegelte. Manch ein Grieche, der gegen das Spardiktat demonstrierte, ist vielleicht überrascht, dass viele Deutsche genau so denken, wie er; andere tragen tagsüber die heilige Mutter Angela wie eine Monstranz in der SS-Uniform vor sich her, gehen aber ganz selbstverständlich abends mit deutschen Touristen einen trinken, um auf „die Politik“ zu schimpfen.
Spezifisch bürgerlich-deutsch daran ist wohl nur der Ansatz, Griechen und Spanier für die Politik ihrer Volksvertreter mitverantwortlich zu machen, aber die Vertriebenen als unschuldige Opfer eines Krieges, mit dem sie doch eigentlich nichts zu tun gehabt hätten, zu sehen. Gekoppelt mit einer weitgehenden Entfremdung vom Politikbetrieb und einer großen Politikerverdrossenheit des “Die da oben machen eh was sie wollen” ist dies der Gipfel bürgerlicher Heuchelei.
Deutschlands neokoloniales Auftreten, seine Politik, die Wirtschaft europäischer Partner erst auszubluten und dann per „Anwerbung von Fachkräften“ den größten Braindrain seit der Erfindung des Privatfernsehens in diesen Ländern zu verursachen, schlägt tiefe Wunden in die vielbeschworene Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Staaten, die sich bisher vor allem in einer Abneigung gegen die deutsche Regierung und den Staat selbst äußern – Merkel und Deutschland haben ein zunehmend negatives Image, “die Deutschen” allerdings noch ein durchaus positives – das aber wird wohl spätestens beim unabwendbaren Wahlsieg der Kanzlerin zunehmend und zu Recht auch auf die abfärben, die sie durch eine Volksbefragung legitimiert haben.
Doch nicht nur nach Deutschland wandert die Zukunft der PIGS aus, wie man die Staaten Südeuropas hierzulande gern nennt – gerade die ehemaligen Kolonialmächte Portugal und Spanien bieten für gutausgebildete junge Fachkräfte auch ganz andere Möglichkeiten ohne jedwede Sprachbarriere: Lateinamerika boomt und selbst Afrika ist nicht so trostlos wie die Zukunft der iberischen Halbinsel unter germanischen Finanzdiktat. In Griechenland zittert das Volk bereits vor Schäubles jüngster Drohung, es gäbe weitere Hilfen für das Land.
Einen speziellen Reiz übt zur Zeit unter den Portugiesen Mosambik aus. Das Land hat nämlich viel zu bieten: Es steht derzeit noch ganz am Anfang eines Booms, ist reich an Bodenschätzen und doch günstig im Lebensunterhalt, anders als beispielsweise Angola oder Brasilien. Mosambik verspricht vor allem und ganz einfach aber eine weniger düstere Zukunft als Portugal mit seiner Arbeitslosenquote von über 40% unter den Jungen; und so kehrt derzeit jede Woche eine dreistellige Zahl von Portugiesen dem Heimatland den Rücken, um das Glück in Mosambik zu suchen; dort bilden sie inzwischen durchaus (wieder) eine wirtschaftliche Elite – auch wenn es nicht automatisch für alle Neuankömmlinge rosig läuft.
Wichtig ist allerdings vor allem das Signal, dass von dieser Emigration ausgeht, weil sie so ähnlich und gleichzeitig so anders ist, als die europäische Emigration in neue Welten vergangener Tage und die Emigrationswellen, die darauf folgten: Europa ist so herabgewirtschaftet, Merkels Austeritätsdiktat hat die europäische Peripherie so herabgewirtschaftet, dass sogar die „Dritte Welt“, die wir doch mit unserer Entwicklungspolitik künstlich klein halten wollten, größeren Reiz ausübt, als der Verbleib im deprimierend lethargischen Heimatland. Das geht bereits so weit, dass Europäer in vorgebliche Krisenländer illegal einreisen und ebenso illegale Beschäftigungsverhältnisse eingehen, wie man das bisher allenfalls andersherum kannte.
Diese Portugiesen, Italiener, Griechen und Spanier sind jedoch keine PIGS, sie sind möglicherweise die Ersten einer kommenden neuen Welle von Armutseinwanderern aus Westeuropa in die weite Welt. Und die xenophobe Ablehnung, die den portugiesischen Einwanderern inzwischen von manchen Mosambikanern entgegen schlägt, ist vielleicht auch nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Zeit, wenn es nicht mehr deutsche und italienische Schiffe sind, die auf dem Mittelmeer patroullieren und Flüchtlingsboote versenken, sondern angolanische und libysche; wenn die boomende Türkei an den Landesgrenzen aufmarschieren lässt und nicht mehr Griechenland, wenn Berliner “Armutsflüchtlinge” in brasilianischen Gymnasien einquartiert werden sollen, flankiert von Latinos, die ganz offen von einem “neuen Rostock-Lichtenhagen” träumen, angewiesen auf antifaschistische Gruppierungen, die ihre Sicherheit zu garantieren versuchen, schlicht, weil es sonst niemand tut. Den moralischen Kredit, auf Menschenrechte und Asyl pochen zu dürfen, werden wir dann jedenfalls schon lange verspielt haben.