Fachkräftemangel in Ostdeutschland

Offenheit gegenüber Fremden im ureigenen Interesse

„Weit gekommen, aber noch nicht am Ziel“, überschreibt der Ostbeauftragte Christian Hirte seinen aktuellen Befund zur Deutschen Einheit. Positiven Entwicklungen in vielen Bereichen stünden Probleme der Wirtschaft gegenüber. Sorgen bereiten ihm Fachkräftemangel und Fremdenfeindlichkeit.

Viel geschafft, aber noch nicht alles erreicht – so oder so ähnlich fällt der Befund zum Stand der Deutschen Einheit in den zurückliegenden Jahren regelmäßig aus. Das ist auch im 30. Jahr nach dem Fall der Mauer nicht anders: Der aus Thüringen stammende Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, der CDU-Politiker Christian Hirte, bemüht sich in seinem am Mittwoch in Berlin vorgelegten Jahresbericht darum, die Erfolge der Wiedervereinigung herauszustellen, ohne die Probleme unerwähnt zu lassen.

So habe sich etwa die Arbeitsmarktsituation enorm entspannt, die Lohnhöhe liege inzwischen bei etwa 84 Prozent des Niveaus im Westen. Mit großem Stolz und Selbstbewusstsein könnten die Ostdeutschen auf die zurückliegenden 30 Jahre schauen, unterstreicht Hirte. Sorge bereiten ihm aber die strukturellen Probleme der ostdeutschen Wirtschaft. Die unterschiedliche Leistungskraft gehe auf die Kleinteiligkeit der dortigen Wirtschaft, einen Mangel an Konzernzentralen und die ländlich geprägte Siedlungsstruktur zurück.

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Fremdenfeindlichkeit schadet Wirtschaft

Allerdings sei dies nicht die Folge einer verfehlten Politik nach 1990, betont Hirte. Vielmehr seien die Probleme Ergebnis der Situation davor: Die DDR sei „zerschlissen“ gewesen, der Zusammenbruch des Systems logisch und unausweichlich. Die Arbeit der Treuhandanstalt als Mutter aller Probleme anzusehen, betrachtet Hirte als einen „negativen Gründungsmythos“.

Konkret bemängelt der Ostbeauftragte in seinem Bericht, dass kein einziges Ost-Unternehmen im Börsenleitindex Dax-30 notiert sei. Auch habe nahezu kein Großunternehmen seine Zentrale in Ostdeutschland. Und wie schon seine Amtsvorgängerin Iris Gleicke (SPD) warnt er: Wie in Westdeutschland gebe es auch im Osten inzwischen ein Fachkräfteproblem. Offenheit gegenüber Fremden liege damit im ureigenen Interesse der Menschen im Osten. Fremdenfeindlichkeit dagegen schade wirtschaftlichen Ansiedlungen.

Positive Entwicklungen in der Infrastruktur

Ein günstigeres Bild zeichnet Hirtes Bericht in anderen Bereichen: „Mit Blick auf die Infrastruktur, die Stadt- und Dorfbilder, die Wohnverhältnisse, die Umwelt und die Gesundheitsversorgung ist eine positive Entwicklung zu konstatieren.“ Die Lebenserwartung habe sich angeglichen, rechtliche und sozialpolitische Anpassungen seien fast vollendet. Umweltgefahren seien „in erstaunlich kurzer Zeit“ beseitigt, besonders umweltbelastende Produktionsanlagen stillgelegt worden. Umwelt- und Energietechnologien seien in Ostdeutschland heute überdurchschnittlich stark vertreten und in zunehmendem Maße bedeutsam für die wirtschaftliche Entwicklung, heißt es in dem 125-seitigen Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit weiter.

Als Schlussfolgerung aus diesen Befunden formulieren der Ostbeauftragte und der Kabinettsausschuss „Neue Länder“ am Mittwoch zwölf Handlungsfelder „zur Stärkung der ostdeutschen Länder und des Zusammenwachsens zwischen Ost und West“. Darunter ist die Aufarbeitung der Geschichte ebenso zu finden wie die Stärkung der Demokratie oder die Förderung von Innovationen in Wirtschaft und Forschung. Dabei sieht Hirte auch „mentale“ Probleme im Osten: Die „Veränderungsskepsis“ sei nach den dynamischen Anpassungsprozessen in den 90er Jahren heute stärker ausgeprägt als im Westen. (epd/mig)