Ulla Jelpke

Bundesregierung agiert mit falschen und irreführenden Behauptungen

Die Bundesregierung behauptet in der Abschiebungspolitik einen vermeintlichen Notstand, den es nicht gibt und für den sie keine soliden empirischen Belege vorweisen kann. Dennoch sollen damit drastische Verschärfungen im Umgang mit Geflüchteten begründet werden, das ist nicht akzeptabel. Von Ulla Jelpke

Der Vollzug der Abschiebungshaft in normalen Haftanstalten ist nach EU-Recht grundsätzlich untersagt, nur bei einer „unvorhersehbaren“ Überlastung der Abschiebehaftkapazitäten ist ein Abweichen von dieser Vorgabe zulässig. Im Rückkehrgesetz, das heute im Bundestag verabschiedet werden soll, hatte die Bundesregierung zur Begründung der „Unvorhersehbarkeit“ behauptet, dass „die Zahl der neu-ankommenden Schutzsuchenden vor 2015 über Jahre gesunken war“. Das ist eine schlichte Lüge, weil die Zahl der Asylsuchenden bereits „vor 2015“, und zwar seit 2008, jedes Jahr kontinuierlich angestiegen ist.

Info: Die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, kommentiert in diesem Beitrag die Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 7 und 8, die in diesem Plenarprotokoll vom 5.6.19 ab Seite 12582 zu lesen sind.

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Letzteres räumt die Bundesregierung zwar ein, zugleich erklärt der Innenstaatssekretär aber: „Ich weise zurück, dass unsere Angaben nicht stimmen, wie es die Frage suggeriert“. Ist jetzt 1+1 nicht mehr 2? Die Bundesregierung täuscht und trickst, um einen offenkundigen Rechtsverstoß vermeintlich zu legitimieren.

Auf die zweite Teilfrage und den Vorhalt, dass die Bundesregierung gar nicht weiß, wie viele Menschen tatsächlich ausreisen müssen bzw. abgeschoben werden dürfen – weil dies im Ausländerzentralregister nicht erfasst wird und die dortigen Zahlen zu Ausreisepflichtigen höchst unzuverlässig sind, wie zahlreiche Anfragen der Linken ergeben haben, – antwortet die Bundesregierung lieber gleich gar nicht.

Ähnlich verhält es sich mit der Antwort auf eine zweite mündliche Frage. Die Bundesregierung bestreitet nicht, dass im Jahr 2018 knapp 19.000 abgelehnte Asylsuchende vollziehbar ausreisepflichtig wurden, im selben Jahr aber 41.500 abgelehnte Asylsuchende ausgereist sind oder abgeschoben wurden. Leugnen wäre auch zwecklos, denn es handelt sich um Zahlen, die die Bundesregierung selbst auf Anfragen der Linken veröffentlicht hat. Von erheblichen Defiziten bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht, mit der erhebliche Gesetzesverschärfungen begründet werden sollen, kann vor dem Hintergrund dieser Zahlen keine Rede sein.

Schließlich behauptet die Bundesregierung, „mindestens 40 Prozent der bestehenden Duldungen“ ließen sich „nach Einschätzung der Ausländerbehörden“ „auf Defizite bei der Identitätsklärung zurückführen“. Im Kontext des aktuellen Gesetzes wird diese Aussage wohl so gelesen werden, als ob mindestens 40 Prozent der Geduldeten so genannte „Identitätstäuscher“ seien. Das ist falsch: Im Ausländerzentralregister wurde zu etwa 40 Prozent der erteilten Duldungen als Erteilungsgrund vermerkt: „Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich; hier: Duldung wg. fehlender Reisedokumente“ (vgl. z.B. BT-Drs. 19/8259, Antwort zu Frage 18).

Dass Reisedokumente fehlen, besagt aber noch gar nichts darüber aus, wer hierfür verantwortlich ist und ob den Betroffenen irgendwelche diesbezüglichen Versäumnisse vorgeworfen werden können. Oft sind es nämlich die Botschaften der Herkunftsländer, die an abgelehnte Geflüchtete keine Reisedokumente erteilen, selbst wenn diese mehrfach dort vorsprechen.

Somit bleibt es dabei: Die Bundesregierung behauptet in der Abschiebungspolitik einen vermeintlichen Notstand, den es nicht gibt und für den sie keine soliden empirischen Belege vorweisen kann. Dennoch sollen damit drastische Verschärfungen im Umgang mit Geflüchteten begründet werden, das ist nicht akzeptabel.