In der Debatte um religiöses Mobbing an Schulen durch muslimische Kinder warnen Religionsvertreter und Sozialwissenschaftler vor einer Verharmlosung der Vorfälle und fordern eine klare Haltung von Politik und Bildungsverwaltung. Auslöser ist der Fall einer Berliner Grundschülerin, die von einem Mitschüler bedroht wurde, weil sie nicht an Allah glaubt.
Mobbing aus religiösen Gründen nehme zu, sagte Imam Taha Sabri von der Neuköllner Begegnungsstätte Dar-as-Salam-Moschee der „Berliner Zeitung“. Er selbst habe immer wieder mit ähnlichen Fällen zu tun, wo muslimische Kinder ihr Gegenüber in „Schubladen ‚wie guter Muslim, böser Ungläubiger‘ sortieren“.
Rabbiner bestätigt Zunahme von Antisemitismus
Der Berliner Rabbiner Yehuda Teichtal bestätigte diesen Eindruck. Er sei vor 22 Jahren aus New York nach Deutschland gekommen, sagte Teichtal der „Berliner Morgenpost“. „Noch nie musste ich besorgte Familien so oft beraten wie in den vergangenen Monaten.“ Durchschnittlich mindestens einmal die Woche würden Eltern ihm von derartigen Vorkommnissen berichten. Dabei gehe es um Pöbeleien, Beschimpfungen und Beleidigungen bis hin zu ernsten Bedrohungen, sagte der Vorsitzende des streng orthodox ausgerichteten Jüdischen Bildungszentrums Chabad Lubawitsch.
Die von ihm beobachtete Zunahme von Antisemitismus und religiösem Mobbing hängt für Teichtal auch mit der Flüchtlingsthematik zusammen. Einige von ihnen seien in ihren Heimatländern mit Hass auf die Juden und Israel groß geworden, sagte der Rabbiner.
Integrationsbeauftragte: „Religion ist ein Grundrecht“
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), hat Mobbing aus religiösen Gründen klar verurteilt. Es gebe bei dem Thema eine polarisierte Stimmung, sagte die Politikerin dem SWR. Das tue der Sache nicht gut. Es brauche eine sachliche, öffentliche Debatte und konsequentes Handeln, forderte Widmann-Mauz.
Widmann-Mauz betonte, dass Religion „keine Frage von Toleranz, sondern ein Grundrecht“ sei. Dies gelte es zu verteidigen. Deshalb sei es auch zunächst „egal woher diese Bedrohung kommt“. Man müsse die Ursachen sehr spezifisch anschauen und sehen, was vom Islamismus ausgehe, was von radikalen extremistischen Strömungen, was von rechts komme.
Kauder fordert Meldepflicht
Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) fordert eine Meldepflicht für antisemitische Vorfälle an Schulen. „Es gibt offenbar keinen genauen Überblick über den Antisemitismus an den Schulen“, sagte Kauder „Welt am Sonntag“. In jedem Bundesland sollten die Schulen verpflichtet werden, solche Vorfälle konsequent der Schulverwaltung zu melden. Kauder betonte, es sei wichtig, belastbare Angaben über das Ausmaß des Antisemitismus und dessen Ursachen zu bekommen, damit die Kultusminister der Länder auch schulübergreifende Maßnahmen in Betracht ziehen könnten. Gerade bei diesem Thema müsse es heißen „Null Toleranz“.
Zugleich warnte er davor, das Thema Intoleranz auf die Bekämpfung von Antisemitismus zu reduzieren. Um Intoleranz gehe es auch, wenn etwa Schüler aus muslimischen Elternhäusern anderen übel mitspielten, weil diese zum Beispiel in „die falsche Moschee“ gingen.
Röttgen: Schulen sollen stärker Toleranz vermitteln
Nach den Worten des CDU-Außenpolitikers Norbert Röttgen sollten sich die Schulen stärker um Religionsvermittlung und Toleranz kümmern. Mit Blick auf auf antisemitische Übergriffe muslimischer Schüler sagte er der „Welt“, diese Kinder seien und blieben Teil der Gesellschaft. „Also müssen wir mit ihnen über unsere Vorstellung von Religion sprechen, Toleranz zwischen den Religionen einüben und Unterstützung von ihren Eltern einfordern.“
Hierfür seien auch mehr Ressourcen nötig, fügte Röttgen hinzu. „Es braucht mehr Pädagogen, Sozialarbeiter, Jugendhelfer“. Dies müsse Teil eines neuen, pragmatischen Integrationskonzeptes sein, um das sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bemühen solle.
Konfliktforscher: Spitze des Eisbergs
Der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick sprach von der „Spitze des Eisberges“. Er beobachte in Deutschland einen weit verbreiteten Antisemitismus, der für jüdische Kinder zur Wirklichkeit gehöre, sagte er. Einer eigenen Studie zufolge hätten von 1.000 jüdischen Mitbürgern 70 Prozent Antisemitismus in der Schule oder am Arbeitsplatz erlebt, sagte Zick.
Nach Einschätzung des Wissenschaftlers muss die Prävention gegen Diskriminierung an Schulen verstärkt werden. Bei menschenverachtenden Hasstaten in der Schule reichten eine Schulkonferenz oder ein Schulverweis nicht aus. Hier müsse man an die Wurzeln gehen. Nötig sei auch ein Zugang zu den Milieus.
Jewish Committee fordert Haltung muslimischer Verbände
Die Direktorin des American Jewish Committee (AJC) in Berlin, Deidre Berger, forderte im „Tagesspiegel“ eine klare Haltung muslimischer Verbände und ein „beherztes Eingreifen gegen religiösen Hass und Antisemitismus an unseren Schulen“. Daher brauche es mehr Angebote für Lehrer, Anlaufstellen, die dazu informieren, wie mit dem Thema umzugehen ist, und eine Stärkung der Schülerschaft, die sich anders verhält.
Gemeinsam Rabbiner und Imame an Schulen zu schicken, wie es der Zentralrat der Muslime vorgeschlagen hatte, impliziere, dass es einen Konflikt zwischen Juden und Muslime gibt, sagte Berger. Dies sei aber eine falsche Annahme: „Es gibt Antisemitismus und religiösen Hass, der sich einseitig gegen Juden richtet und immer mehr auch gegen jene, die nicht in das Weltbild radikaler Jugendlicher passen: junge Frauen, Homosexuelle oder säkulare Muslime.“
Bedford-Strohm: klares Auftreten gegen Antisemitismus
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, forderte am Donnerstag im Fernsehsender Phoenix ein entschiedenes Eintreten gegen Antisemitismus im Alltag. Menschen, die antisemitisch auftreten und „manchmal einfach dumm daherreden“, müssten zur Rede gestellt werden. Es müsse ganz klar sein, dass gerade in Deutschland „nie wieder Antisemitismus salonfähig sein darf“, sagte der bayerische Landesbischof.
Unterdessen traf sich die Berliner Bildungs- und Schulverwaltung laut Medienberichten mit den Eltern des betroffenen Mädchens. Vereinbart worden sei unter anderem, eine Schulkonferenz mit externen Fachleuten zu diesem Thema einzuberufen. (epd/mig)