12,7 Prozent

Jetzt wissen wir Bescheid

AfD-Wähler seien ja keine „Dumpfbacken“ heißt es jetzt von Experten, wir müssen mit ihnen reden. Aber worüber soll man mit ihnen reden? Etwa darüber, dass es nicht in Ordnung ist, das „deutsche Volk“ davor schützen zu wollen, vollends ein „Mischvolk“ zu werden? Von Maria Alexopoulou

Jetzt wissen wir es: Es sind 12,6 Prozent. Je nachdem, wo wir wohnen, begegnen uns mehr oder weniger „Mitbürger“, die uns weghaben wollen, die das „deutsche Volk“ vor uns verteidigen wollen. Je nachdem, wie dunkel unsere Haare, unsere Augen, unsere Haut ist und ob und wie muslimisch wir sind. All diese Abstufungen spielen für uns Migranten zunehmend eine größere Rolle.

Der Wahlsonntag hat uns nun eine noch klarere Vorstellung darüber gegeben, wo in Deutschland wir besonders damit rechnen müssen, herabgestuft zu werden, von einem dieser Wähler diskriminiert oder beleidigt zu werden. Und wir werden misstrauischer, da diese Wähler auch in den meisten unserer Nachbarschaften sind.

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Es geht immer nur um die Abgehängten beziehungsweise die in ihrer eigenen Wahrnehmung Abgehängten, neuerdings die „kulturell Abgehängten“, deren Sorgen und Nöte. Und was ist mit uns Migranten? Auf einer wissenschaftlichen Konferenz zu den „Gefühlen der Migration“, auf der ich vorletzte Woche als Referentin eingeladen war, standen auch wieder deren Sorgen und Nöte im Vordergrund, weniger die von Migranten. Wir müssen nun mit Schrecken vernehmen, dass die AfD den Deutschen ihr Volk zurückgeben will.

Die AfD wird sie jagen, die Parteien, die nun die pluralistische Demokratie repräsentieren. Die Linke hat sie zum Teil bereits gekapert: Auch am Wahlabend wiederholt die Spitzenkandidatin, dass man in der Flüchtlingspolitik Fehler gemacht habe und nun die Quittung erhalte. Die CSU treibt sie vor sich her: auch hier wird bereits am Tag danach die Obergrenze ganz oben aus der Schublade gezogen, wobei das ja durchaus der CSU-Linie entspricht, das darf man nicht vergessen. Und die CDU und Angela Merkel? Sie arbeiten – gemeinsam mit der SPD – ohnehin bereits seit mehr als einem Jahr daran, Deutschland „vor Flüchtlingen zu schützen“. Es ist unfassbar, wie sehr alle Seiten ausblenden können, was aktuell etwa in Libyen passiert.

AfD-Wähler seien ja keine „Dumpfbacken“ heißt es jetzt von Experten, wir müssen mit ihnen reden. Aber worüber soll man mit ihnen reden? Etwa darüber, dass es nicht in Ordnung ist, das „deutsche Volk“ davor schützen zu wollen, vollends ein „Mischvolk“ zu werden?

Wann hört man endlich damit auf, kryptisch von Sorgen und Nöten zu sprechen und sagt offen, dass es diesen Wählern zu einem großen Teil tatsächlich darum geht, den Deutschen ihr Volk zurückzugeben? Wann wird das offen in der Debatte artikuliert und darüber nachgedacht, warum in einem Land wie Deutschland mit dieser Geschichte – die gerade mal zweiundsiebzig Jahre her ist – weiterhin völkisches Denken existiert und sich nun offen und provokant artikulieren darf? Warum haben alle Angst vor denen und stellen sich ihnen nicht klar und deutlich entgegen?

Solange das nicht so ist, ist es unvermeidlich, dass bei den Migranten, genau wie Mitte der Neunziger, als Asylheime und die Häuser von türkisch-stämmigen Migranten brannten, trotz der rührigen „Lichterketten“, Aus- und Abgrenzungsgefühle aufkommen werden. Und ist es nicht verständlich, dass sich viele fragen werden, wie sehr sie ihren Mitbürgern und Politikern, auch wenn diese zu den „guten“, ungefähr 87 Prozent des Wahlvolkes und der Gewählten gehören, trauen können, dass sie solidarisch zu ihnen stehen und sich nicht „jagen lassen“ von dem bösen Greis und seinem kuriosen Tross? Dass nicht auch sie, oder viele von ihnen, ganz tief im Innern denken, es stimme ja schon, dass dunkle Menschen, muslimische Menschen und letztlich auch die „europäischen Südländer“ eigentlich nicht wirklich dazugehören, wenn es hart auf hart kommt? Dass sie eben doch nicht deutsche Eigenschaften, deutsche Kultur, „deutsches Blut“ besitzen, welche eigentlich dazu berechtigen, die Segnungen Deutschlands genießen zu dürfen?

Das führt zu Entfremdungsgefühlen, aber auch zu Trotz und Widerstandswillen. Und die Geflüchteten? Wie fühlen die sich in einer Gesellschaft, die zum einen aus Menschen besteht, die sie in sozialpädagogischem Übereifer begleiten und betreuen, sie mit Makramee-Kursen, Theaterprojekten und Museumsbesuchen beglücken –  neben der substantiellen Hilfe, die sie ihnen bieten –, und jenen, die sie als Gefahr für den Bestand ihres Volkes sehen und denen, die mit letzteren ins Gespräch kommen wollen? Welches Gefühl wird bei ihnen hängenbleiben, gerade bei jenen, die irgendwann auch Teil des „deutschen Volkes“ werden wollen?