Merkel stellt mehr Geld in Aussicht

Libyen bei Bekämpfung von Flucht übers Mittelmeer wieder im Fokus

Um die Flüchtlingsmigration nach Europa zu stoppen, will Merkel stärker mit Libyen zusammenarbeiten. Die Bundeskanzlerin kann sich ein Abkommen vorstellen – Vorbild: Türkei. Sorgen bereiten die katastrophalen menschenrechtlichen Zustände im Land.

Um die gefährliche Reise vieler afrikanischer Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Italien zu stoppen, will auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verstärkt auf eine Kooperation mit Libyen setzen. Es werde angestrebt, dort menschenwürdige Zustände in den Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen und ähnlich wie beim Abkommen zwischen der EU und der Türkei ein sogenanntes Resettlement für besonders schutzbedürftige Menschen zu ermöglichen, sagte Merkel am Freitag nach einem Treffen mit UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi und dem Generaldirektor der Internationalen Organisation für Migration, William L. Swing, in Berlin. Bislang hatte sich die Regierungschefin dazu zurückhaltend geäußert, weil die Situation im zerrissenen Libyen als zu instabil für eine derartige Zusammenarbeit galt.

Der Prozess einer Zusammenarbeit mit Libyen stehe noch am Anfang, sagte Merkel und ergänzte: „Aber er soll sich mit Blick auf Libyen genauso entwickeln, wie er sich im Blick auf die Türkei einmal entwickelt hat.“ Das Abkommen mit der Türkei sieht vor, dass irregulär über das Meer nach Europa kommende Flüchtlinge wieder in die Türkei zurückgeschickt werden, die EU für einen bestimmten Teil aber über Resettlement-Programme Asylsuchende aufnimmt.

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50 Millionen Euro pro Jahr

Merkel schränkte jedoch ein, in Libyen stehe man vor einer ganz anderen Situation als in der Türkei. Die Einheitsregierung habe nicht die Hoheit über das ganze Land. Der parallele Prozess zur Schaffung einer vollständigen Einheitsregierung mit Kontrolle über das ganze Land sei daher von großer Wichtigkeit.

Swing erläuterte, die Sicherheitslage in Libyen habe sich gebessert. Für seine Organisation seien inzwischen wieder 150 Mitarbeiter vor Ort. Merkel stellte dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und IOM für deren Arbeit in Libyen eine größere finanzielle Unterstützung in Aussicht. Sie sprach von bis zu 50 Millionen Euro für beide Organisationen pro Jahr.

Zustände in libyschen Lagern katastrophal

Der IOM-Generaldirektor sagte, rund 1,3 Millionen Menschen, die als Flüchtlinge nach Libyen gekommen sind, bräuchten Hilfe. Dazu kämen 250.000 Binnenvertriebene. Die IOM betreibt im Wüstenort Agadez im Nachbarland Niger ein Zentrum, wo Mitarbeiter gestrandete, vor allem zur Rückkehr in ihre Heimat bereite Flüchtlinge unterstützt. Swing hält es nach eigenen Worten für vorstellbar, dass auch in Libyen solch ein Zentrum aufgebaut werden könnte.

Die libysche Regierung beginne, Flüchtlingslager in offene Aufnahmelager umzugestalten, sagte er. Die Zustände in libyschen Lagern sind nach Angaben von Menschenrechtlern katastrophal. Merkel bezeichnete es als Problem, dass die internationalen Organisationen nur Zugang zu Einrichtungen der Regierung hätten, nicht aber zu solchen, die nicht unter deren Kontrolle stehen und als besonders menschenunwürdig gelten.

Macron für Asylverfahren in Libyen

Zur Idee des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, Asylverfahren in Libyen abzuhalten, äußerten sich Merkel, Swing und Grandi zurückhaltend. Es sei beispielsweise offen, wer die als schutzbedürftig eingestuften Menschen dann aufnimmt und wohin die Abgelehnten kommen sollen, sagte Swing. Merkel sagte zudem, solche Verfahren verbunden mit Resettlement-Programmen in Europa dürften nicht zum Faktor werden, der mehr Menschen ermutigt, die gefährliche Reise durch die Sahara anzutreten. Das deutsche Asylrecht schließt bislang die Möglichkeit aus, im Ausland ein Verfahren zu betreiben.

Im Gespräch mit der Kanzlerin forderte UN-Flüchtlingskommissar Grandi zudem von der EU, ihre Zusage für jährlich 20.000 Plätze in den von der UN organisierten Resettlement-Programmen auf 40.000 zu verdoppeln, insbesondere für Menschen aus Syrien. Merkel sagte, solch eine Zahl könne ein Kontinent mit 500 Millionen Einwohnern gut verkraften. Voraussetzung sei aber, dass man die illegale Migration in den Griff bekomme.

EU-Flüchtlingskommissar skeptisch

EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos äußerte sich ebenfalls skeptisch über mögliche Auffanglager für die Registrierung von Flüchtlingen in Nordafrika. Die Bearbeitung von Asylanträgen sei rechtlich, diplomatisch und auch praktisch komplex, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Wir helfen Migranten, indem wir die Staaten Nordafrikas unterstützen, eigene Asylsysteme zu entwickeln und gut funktionierende Empfangszentren zu gründen.“

Avramopoulos erklärte, Brüssel arbeite mit den EU-Mitgliedstaaten an der Neuansiedlung von Migranten mit Anspruch auf internationalen Schutz in Europa. „Dabei unterstützen wir die Mitgliedstaaten finanziell, für 2018 haben wir 377 Millionen Euro beiseitegelegt.“ In Libyen blieben die Bedingungen aber schwierig, bis das Land stabilisiert sei: „Dafür müssen wir alle Kräfte einsetzen und auch mit den Nachbarländern Libyens arbeiten.“

Die heutige Flüchtlingssituation sei mit der Krise 2015 nicht zu vergleichen, betonte Avramopoulos. Dank der Zusammenarbeit mit der Türkei sei die Zahl der Menschen, die in Griechenland ankommen, um 98 Prozent zurückgegangen. Auch in Italien seien im vergangenen Monat nur noch halb so viele Menschen angekommen sind wie im Juli 2016. Trotz dieser positiven Trends dürfe die Aufmerksamkeit nicht nachlassen, mahnte der Kommissar: „Wir müssen stets bereit sein, neuen Migrationsbewegungen zu begegnen.“ (epd/mig)