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Kunst als Spiegel der Gesellschaft

Schon seit Urzeiten erfreuen sich Menschen an Kunst. Genau wie die Gesellschaft befindet sich auch die Kunst in einem stetigen Wandel. Sie wird durch kulturelle Veränderungen beeinflusst und sie verändert die Kultur.

Was fasziniert uns an Kunst? Schon seit Urzeiten stellen wir Kunst her. Sie repräsentiert sogar die Träume und die Wirklichkeit von Menschen, die vor über 20.000 Jahren gelebt haben. Kunst wurde angebetet, ausgestellt und genießt bis heute einen hohen, fast sakralen Status. Das wird besonders deutlich, wenn man die Architektur von Kunstmuseen betrachtet, die oft an religiöse Bauten erinnern. Gleichzeitig treten wir sogenannten „Originalwerken“ mit Andacht gegenüber und bewerten sie mit Geldsummen in Millionenhöhe.

Was „Kunst“ genau ist, lässt sich nicht so einfach sagen und noch schwerer ist es, eine Antwort auf die Frage zu finden, warum wir das, was von Experten als „Kunst“ betitelt wurde, so überaus faszinierend finden. Doch eine Erklärung ist die Rolle von Kunst in der Gesellschaft und innerhalb der Kultur – sei es die eigene Kultur oder eine fremde.

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Beeinflusst Kunst Gesellschaft und Kultur oder ist sie ein Spiegel?

Es ist schwer zu sagen, ob Kunst die Gesellschaft und die Kultur nur widerspiegelt oder ob sie auch einen direkten Einfluss auf sie ausübt. Schließlich ist Kunst ja selbst Kultur, wenn man Kultur als einen Gegensatz zu Natur betrachtet. So wurden Kunstwerke durch kulturelle Umbrüche oder Veränderungen inspiriert, aber manifestierten diese Veränderungen gleichzeitig in der Gesellschaft und schufen im Fall der Architektur sogar einen konkreten kulturellen Raum.

Das Individualporträt und die Entstehung des Individuums

Die Beziehung von Kunst und Gesellschaft lässt sich besonders gut an der Porträtmalerei beobachten. Lange Zeit waren Porträts keine realistischen Darstellungen von Personen, sondern rein symbolisch. Ein Herrscher wurde durch ein Symbol wie eine Krone oder bestimmte Inschriften und Requisiten dargestellt. Die individuellen Gesichtszüge spielten keine Rolle.

Erst im Spätmittelalter entstand das Individualporträt wie wir es heute kennen. In der Zeit von Instagram und Selfie-Sticks ist diese Entwicklung kaum noch nachvollziehbar. Auch die Forschung ist sich noch nicht einig. Eine Erklärung ist: Das Individualporträt entstand als Reaktion auf die Erfindung des Individuums – also eine Antwort der Kunst auf die veränderten Anforderungen der Gesellschaft, auf das wachsende Selbstbewusstsein der Individualität, insbesondere in der Bürgerlichkeit. Denn zum ersten Mal verfügte auch die bürgerliche Schicht über genug Vermögen, Porträts anzufertigen und sich in ihrer modischen Kleidung, umgeben von ihren Besitztümern zu zeigen. Ein Beispiel dafür ist die „Arnolfini-Hochzeit“ von van Eyck.

Der Kubismus zerstückelt das Porträt

Schließlich wurde aber auch die Idee des realistisch gemalten Porträts durch neue kulturelle Strömungen wortwörtlich aufgebrochen. In der Zeit der immer schneller voranschreitenden Industrialisierung entstand der Kubismus. Die Lehren der Perspektive und den Realismus lehnten die Kubisten ab, denn diese Konventionen konnten die moderne Welt nicht mehr in allen Facetten repräsentieren.

Also schufen sie Bilder und Porträts, die verschiedene Sichtweisen auf einmal zeigten und von geometrischen Formen bestimmt wurden. Einer der berühmtesten Vertreter dafür ist Pablo Picasso, der die Figuren in seinen Porträts in verschiedene Blickwinkel zerstückelte. Betrachtet man kubistische Werke, kann man kaum glauben, dass die Stilrichtung schon über 100 Jahre alt ist, doch sie hat die Malerei so stark verändert wie keine andere Kunstbewegung der Moderne. Auf Galerie Gmurzynska’s Instagram kann man die Werke moderner Künstler betrachten und miteinander vergleichen. Beim Betrachten zeitgenössischer Malerei wird deutlich, wie sehr sich die Porträtmalerei über die Zeit veränderte.

Kulturen überschreiben sich durch Kunst

Die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst wird auch immer wieder deutlich, wenn ein gewaltsamer Kulturumbruch stattfindet. Werke der fremden oder alten Kultur werden zerstört und durch eigene ersetzt. Aussagekräftige Beispiele liefert dafür die Architektur.

Zum Ende der spanischen „Reconquista“, blieb den Spaniern ein reiches kulturelles Erbe der Mauren, die immerhin mehr als 700 Jahre über große Teile der iberischen Halbinsel geherrscht haben. In Andalusien kann man heute noch Gärten, Innenhöfe und Gebäude bewundern, die an Geschichten aus 1001 Nacht erinnern. Am faszinierendsten sind aber die zu Kirchen umgebauten Moscheen. Die Spanier brachten ihre Kultur zurück und mauerten ihre Kunst wortwörtlich in die fremde Kultur hinein.

Die Mezquita-Catedral de Córdoba ist heute eine römisch-katholische Kathedrale und war früher die Hauptmoschee des maurischen Spaniens. Von außen erscheint sie als eine eigenartige Mischung aus verschiedenen Kunststilen. Innen finden sich typische Merkmale maurischer Architektur: ein Säulenlabyrinth, Hufeisenbögen und eine Gebetsecke. 1236 wurde sie zur christlichen Kirche umgebaut. Dafür wurden ein christlicher Altar, Nischen für Heiligendarstellungen und Buntglasfenster mit religiösen Geschichten eingebaut.

Das entgegensetzte Phänomen lässt sich auch in islamisch geprägten Ländern beobachten, in denen Kathedralen und Basiliken zu Moscheen umgebaut wurden. Die Hagia Sophia in Istanbul ist eine ähnliche Mischung an Baustilen und Kunstrichtungen. Eine Kirche, die im Stil der byzantinischen Kunst gebaut und später mit Elementen der islamischen Kunst ausgestattet wurde, um die neue Kultur widerzuspiegeln. Doch auch hier war Kunst nicht nur der Spiegel der Gesellschaft, sondern gab ihr einen Raum, sich selbst überhaupt zu erschaffen.

Was fasziniert uns also an der Kunst? Wie wir selbst ist auch sie immer in Bewegung. Sie wird durch kulturelle Veränderungen beeinflusst und sie verändert die Kultur. Sie ist ein repräsentatives Instrument einer Gesellschaft, aber gleichzeitig wird sie aktiv eingesetzt, um die Gesellschaft zu erschaffen. Besonders an der Kunstgeschichte wird deutlich, dass Menschen und Kulturen in ständigem Fluss sind, von einem Ort zum anderen ziehen, ihre Spuren hinterlassen und fremde Spuren aufgreifen, um etwas faszinierend Neues zu erschaffen. (pc)