Kirchentag

Umjubelter Obama mahnt Realismus in Flüchtlingspolitik an

Vor 70.000 Besuchern wirbt der frühere US-Präsident damit auch um Verständnis für die Linie von Bundeskanzlerin Merkel. Sein Auftritt war das erste Highlight des Kirchentags, wo zudem über den richtigen Umgang mit der AfD gerungen wird.

Der frühere US-Präsident Barack Obama hat mit einem umjubelten Auftritt am Brandenburger Tor für den ersten Höhepunkt des evangelischen Kirchentags gesorgt. Vor 70.000 Zuschauern betonte er am Donnerstag in einer Diskussion mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Grenzen nationaler Flüchtlingspolitik und das Dilemma zwischen christlicher Barmherzigkeit und politischer Verantwortung. „Natürlich haben Flüchtlinge allen Anspruch auf Schutz, aber wir haben auch begrenzte Ressourcen“, mahnte er in Berlin.

Merkel sprach sich für schnellere Asylverfahren aus und warnte vor falschen Hoffnungen für Flüchtlinge, die nicht in Deutschland bleiben dürften. Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis müssten schneller in ihre Heimatländer zurückkehren. „Ich weiß, dass ich mich damit nicht beliebt mache, aber ich weiß auch, dass wir wirklich aufpassen müssen, dass wir denen helfen, die auch wirklich unsere Hilfe brauchen“, sagte sie in der vom Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und Kirchentagspräsidentin Christina aus der Au geleiteten Diskussion.

___STEADY_PAYWALL___

Obama erklärte, in den Augen Gottes verdiene „ein Kind auf der anderen Seite der Grenze genauso viel Barmherzigkeit (…) wie ein Kind auf unserer Seite der Grenze. Aber wir sind eben auch die Staatschefs von Ländern, und wir haben eine Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern innerhalb unserer Grenzen.“

Weltordnung auf dem Scheideweg

Kanzlerin Merkel sagte: „Es gibt eine sehr große Sorge, dass sich diejenigen, die sich jetzt integriert haben, das Land jetzt wieder verlassen müssen.“ Für ihre Forderung nach schnelleren Abschiebungen erntete die Kanzlerin Buhrufe aus dem Publikum. Obama und Merkel forderten mehr Einsatz für demokratische Werte. „Die Weltordnung befindet sich am Scheideweg“, mahnte der frühere US-Präsident.

Sein Auftritt hatte vereinzelt Kritik hervorgerufen. Aus der politischen Opposition hieß es, der charismatische Ex-Präsident leiste rund vier Monate vor der Bundestagswahl Wahlkampfhilfe für Merkel. In Kirchenkreisen gab es Bedenken, dass sein Auftritt das vielfältige Angebot des Kirchentages mit fast 2.500 Veranstaltungen überstrahlen könnte.

AfD auf dem Kirchentag

Auf dem Kirchentag wurde am Donnerstag auch über den Umgang mit der AfD gestritten. Der Berliner evangelische Bischof Markus Dröge warf der rechtspopulistischen Partei vor, die Würde der Menschen nicht zu achten. „Es steht kein christliches Menschenbild im Parteiprogramm der AfD“, sagte der Theologe. Gerade Christen müssten „sehr empfindsam sein, wenn die Würde von Menschen nicht geachtet wird“. In der Bibel gebe es eine lange Tradition, die Rechte von Fremden zu respektieren.

Die Sprecherin der „Christen in der AfD“, Anette Schultner, entgegnete, jeder Mensch habe nach dem christlichen Menschenbild zwar die gleiche Würde. Das bedeute aber nicht, dass jeder Mensch dieselben Rechte habe. Sie sprach von einer „völlig unkontrollierten Massenzuwanderung“ und warf den deutschen Kirchen vor, sich zu sehr um die Probleme von Flüchtlingen zu kümmern. Die Diskussion über „Christen in der AfD?“ in der vollbesetzten Sophienkirche in Berlin-Mitte wurde immer wieder durch Zwischenrufe unterbrochen.

Käßman vergleicht AfD-Forderung mit Arierparagrafen

Auch Reformationsbotschafterin Margot Käßmann griff die AfD an. Die Forderung der rechtspopulistischen Partei nach einer höheren Geburtenrate der „einheimischen“ Bevölkerung entspreche dem „kleinen Arierparagrafen der Nationalsozialisten“, sagte Käßmann in einer Bibelarbeit. „Zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern: ‚Da weiß man, woher der braune Wind wirklich weht'“, kritisierte die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende unter tosendem Beifall.

Der Kirchentag wird im Jahr des 500. Reformationsjubiläums bis Sonntag in Berlin und Wittenberg gefeiert. Am Himmelfahrtstag begannen auch sechs regionale „Kirchentage auf dem Weg“ in acht mitteldeutschen Städten. Sie führen wie das Christentreffen in der Bundeshauptstadt zum Abschlussgottesdienst in Wittenberg, dem Höhepunkt des Festjahres zu 500 Jahren Reformation. (epd/mig)