Vor 75 Jahren

Einigung in der Wannsee-Villa über die „Endlösung der Judenfrage“

Nur ein einziges Protokoll der berüchtigten Wannsee-Konferenz 1942 ist erhalten geblieben. Eher zufällig 1947 in Berlin gefunden, ist es die schockierende Blaupause zum industriellen Massenmord an Millionen Juden im Osten Europas.

Das einzig erhaltene Dokument überdauerte in einem verblassten rosafarbenen Pappdeckel mit der Beschriftung „Endlösung der Judenfrage“. Die handgeschriebene Zeile war mit einem grünen Buntstift unterstrichen, erinnerte sich Zeitzeugin Betty Nute in einem Interview im Jahr 2002. Die Britin war im Frühjahr 1947 in Berlin-Lichterfelde dabei, als das offizielle Protokoll der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 entdeckt wurde.

Gefunden wurde das 15-seitige Schriftstück von Kenneth Duke. Der Brite war Mitglied einer alliierten Kommission, die sich einst durch Berge von Schriftstücken wühlte, erzählte die Übersetzerin. Die Besatzer sichteten im Gebäude der Telefunken GmbH eingelagerte Akten der Deutschland-Abteilung des Auswärtigen Amtes. Dabei sei Duke „in einem riesigen Stapel auf das Protokoll gestoßen“ – die 16. von insgesamt 30 maschinengeschriebenen Ausfertigungen der belastenden Akte.

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Nur NS-Außenminister Joachim von Ribbentrop benutzte einen grünen Stift, „da war ich gleich alarmiert“, berichtete Nute im Gespräch mit dem „Spiegel“. Nach dem spektakulären Fund telefonierte sie umgehend mit Robert Kempner, dem stellvertretenden Hauptankläger der USA bei den Nürnberger Prozessen. Der habe sie gebeten, mit dem Protokoll sofort nach Nürnberg zu fliegen, „was ich auch getan habe“.

Der Tod von Millionen Juden im Zweiten Weltkrieg wurde im Juli 1941 durch eine Anweisung von Reichsmarschall Hermann Göring besiegelt. Er beauftragte den Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, „einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen.“

Der handelte und lud vor 75 Jahren für den 20. Januar 1942 15 SS-Männer, Polizeivertreter, hohe Staatsbeamte und Parteimitglieder nach Berlin in die Wannsee-Villa ein. Einziger Tagesordnungspunkt der „Besprechung mit anschließendem Frühstück“: die „Endlösung der Judenfrage“.

Der Massenmord an den europäischen Juden wurde jedoch nicht erst im Gästehaus der SS beschlossen. Die Schwelle zum Genozid war zu diesem Zeitpunkt bereits überschritten: SS-Angehörige, Polizeieinheiten und Wehrmacht erschossen nach dem Angriff auf die Sowjetunion bis Ende 1941 fast 500.000 Juden.

Der Münchner Historiker Peter Longerich schreibt, das Protokoll des Treffens sei ein herausragendes historisches Dokument, weil es den „Entscheidungsprozess, der zur Ermordung der europäischen Juden führte“, offenlege. Das gilt, obwohl das Schriftstück nicht den Wortlaut der menschenverachtenden Gespräche wiedergibt. Adolf Eichmann, Judenreferent in Heydrichs Stab, sagte später in seinem Prozess in Israel: „Heydrich hat bestimmt, was in das Protokoll hineinkommen soll und was nicht. Und dann hat er es gewissermaßen noch abgeschliffen.“

Heydrich sah durch die Besetzung von Gebieten in Polen und Russland neue Möglichkeiten, die Juden in den Osten zu vertreiben. Eichmann laut Protokoll: „Im Zuge dieser Endlösung (…) kommen rund elf Millionen (Personen) in Betracht.“ Definiert wurde auch, wer gemäß der NS-Rassegesetze deportiert werden sollte und wer nicht.

„In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird“, heißt es in der Niederschrift. Und weiter: „Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird (…) entsprechend behandelt werden müssen.“ Wie das zu geschehen habe, verschweigt das Protokoll, obwohl darüber beraten worden war. Eichmann sagte später unverblümt aus, dass „von Töten und Eliminieren und Vernichten“ gesprochen wurde.

„Es gibt wenige andere Dokumente, die die Mordabsichten und ihren Umfang so detailliert dokumentieren“, sagte der Leiter der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Hans-Christian Jasch, über die Niederschrift. Er verwies darauf, dass das Treffen der NS-Funktionäre keine „Entscheidungs-Konferenz“ gewesen sei. Die historische Forschung habe belegt, „dass es in Wannsee vor allem um behördliche Abstimmung zur weiteren Planung eines bereits angelaufenen Völkermordes ging“. (epd/mig)