Reiches Land mit Krisenangst

Staatskasse trotz Flüchtlingsausgaben so voll wie nie

Viele Menschen befürchten leer gefegte Sozialkassen durch die Flüchtlinge. Ein Blick in dei Kassenlage des Staates zeigt ein anderes Bild. Erneut gibt es einen deutlichen Überschuss. Ökonomen fordern, das Geld in Chancengleichheit der Bürger zu investieren.

Für kaum einen Satz wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) härter angegangen als für ihr „Wir schaffen das“ vor einem Jahr. Die Kritik wird auch begründet mit der Angst vor explodierenden Staatskosten und leer gefegten Sozialkassen durch die Asylbewerber: Die Sorge, dass der einheimischen Bevölkerung Leistungen weggenommen werden, ist weit verbreitet.

Die gerade veröffentlichte Kassenlage des deutschen Staates zeigt ein anderes Bild. Es gibt den dritten Überschuss in Folge. 18,5 Milliarden Euro Plus erzielte der Staat im ersten Halbjahr: 9,7 Milliarden Euro davon der Bund, 5,9 Milliarden die Sozialversicherungen, 0,4 Milliarden die Länder. Auch die Kommunen nahmen zusammengerechnet 2,5 Milliarden Euro mehr ein als sie ausgaben – trotz Flüchtlingskrise.

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Genug Geld für Integration von Flüchtlingen

„Es gibt eindeutig genug Geld zur Bewältigung der Flüchtlingskrise im Staatshaushalt, auch ohne dass es irgendwo anders abgezogen wird“, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Eine „beruhigende Botschaft“, findet der Ökonomieprofessor. Das Ergebnis einer besonders gelungenen Finanzpolitik sei das aber nicht: „Die Konjunktur läuft derzeit gut, die vielen Beschäftigten bringen mehr Steuereinnahmen und mehr Sozialabgaben mit sich. Gleichzeitig spart der Staat wegen des niedrigen Zinsniveaus enorm bei den Ausgaben.“ Und macht deshalb Plus.

Die Überschüsse sollte er nach Fratzschers Ansicht unbedingt investieren, statt allgemein die Steuern zu senken, wie es der Wirtschaftsflügel der Unionsparteien und der Bund der Steuerzahler fordern. „Wenn etwas am Steuersystem verändert wird, sollte es mehr Steuergerechtigkeit geben und keine generellen Senkungen, um Haushaltsüberschüsse auszugeben“, findet DIW-Präsident Fratzscher. „Dann sollte Vermögen stärker besteuert werden als Einkommen, für das gearbeitet wurde.“

DIW-Präsident: Nicht alles in Schuldentilgung stecken

Alles in die Schuldentilgung zu stecken, hält er ebenso für falsch. „Im Bildungsbereich und auch im Verkehrssystem fehlen staatliche Investitionen“, sagt Fratzscher. „Und 40 Prozent der deutschen Kommunen haben keinen finanziellen Spielraum für Investitionen in Soziales oder Infrastruktur vor Ort, der Überschuss ist hier sehr ungleich verteilt.“

So sieht das auch Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. „Vielerorts gibt es enormen Verschleiß in öffentlichen Einrichtungen, und auch der Bildungssektor ist verbesserungsbedürftig: Hier muss der Überschuss hineingesteckt werden“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. „Da wirkt sich das Geld dann nachhaltig auf das Leben und die ökonomische Lage in Deutschland aus.“

Ökonom: Staat muss in Chancengleichheit investieren

Beide Ökonomen finden, dass ein Haushaltsüberschuss nicht per se ein sinnvolles ökonomisches Ziel ist: „Der Staat muss in Chancengleichheit der Bevölkerung investieren“, sagt DIW-Ökonom Fratzscher. Wohlstand sei in Deutschland extrem ungleich verteilt. Die zunehmende Abhängigkeit von Sozialleistungen in Teilen der Bevölkerung führe auch zu Angst und Ablehnung von Neuzuwanderern, die als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und um staatliche Leistungen wahrgenommen würden.

Dabei hätten die Neuzuwanderer zum Plus in den Staatskassen sogar beigetragen, sagt Gustav Horn. „Die Flüchtlinge geben das Geld, was sie vom Staat erhalten ja in der deutschen Wirtschaft aus“, sagt der Forscher. „Es sind neue Arbeitsplätze im sozialen Bereich entstanden, und auch die Baubranche profitiert und zahlt Steuern und Abgaben.“ Die Investitionen flössen zurück. „Das ist auch bei Investitionen in Bildung und Teilhabe so, die dann auch in Zukunft mehr Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht.“ (epd/mig)