Journalismus

Die emotionale Macht von Sprache und Bildern in der Integrationsdebatte

Immer wieder fallen in Medienberichten über Flucht und Integration Begriffe wie „Flut“ oder „Welle“. In Bremerhaven erörterten Experten, wie ein solcher Sprachgebrauch Menschen ausgrenzt und Ängste schürt. Von Dieter Sell

Die „nächste Flüchtlingswelle kommt“ titelte das Hamburger Abendblatt im Herbst vergangenen Jahres. „Köln versinkt in Flüchtlingsflut“ warnte zuvor die Bild. Und in der Augsburger Allgemeinen war vom „Ansturm auf Europa“ zu lesen. Beispiele wie diese belegen, dass Sprache in der Diskussion um Flucht, Einwanderung und Integration wirkmächtige Bilder erzeugt. Begriffe prägen das politische Denken und beeinflussen Entscheidungen. Grund genug für das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven, am Dienstag vergangener Woche zu einer Diskussion über die emotionale Macht von Sprache und Bildern in der Integrationsdebatte einzuladen.

Auch wenn Sprache immer wieder als Mittel der Ausgrenzung missbraucht wird, warnte der Hamburger Journalistik-Professor Horst Pöttker auf dem Podium vor zu viel Political Correctness. Journalisten könnten auch zu vorsichtig agieren, das habe die Berichterstattung über die Vorfälle in der Silvesternacht auf der Kölner Domplatte gezeigt, sagte er. Pöttker plädierte unter anderem dafür, bei Relevanz durchaus die Nationalität eines Straftäters zu nennen und auch Rechtsextreme zu Wort kommen zu lassen.

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Drucke und sende – das sei die Aufgabe der Medien. „Journalisten sind keine Pädagogen, sie sollen die Welt transparent machen – die Menschen müssen dann selbst entscheiden, was sie daraus folgern“, betonte der Seniorprofessor am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaften der Universität Hamburg. Wer dabei zu vorsichtig zu Werke gehe, verstärke das Misstrauen der Rezipienten. Sein Plädoyer: „Wir müssen an den Dingen, an den Verhältnissen etwas ändern, weniger an der Sprache.“

„Wir geben Wünschen nicht nach“, wies in diesem Zusammenhang „Spiegel“-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer Vorwürfe Pöttkers zurück, Medien folgten den Wünschen des Publikums. „Wir versuchen so genau wie möglich zu formulieren“, sagte der Publizist, der seit Anfang 2015 an der Spitze des Nachrichtenmagazins steht. Dabei trete die Redaktion Flüchtlingen empathisch gegenüber und versuche differenziert, die Fluchtursachen darzustellen. Das schließe nicht aus, gleichzeitig auf das Versagen nationaler und europäischer Flüchtlingspolitik zu verweisen.

Ein Manko dabei ist laut Pöttker zweifelsohne, dass an deutschen Redaktionstischen zu wenig Kolleginnen und Kollegen mit ausländischen Wurzeln sitzen, die einen anderen Blick auf die Dinge mitbringen. Ihr Anteil sei mit etwa zwei Prozent verschwindend gering, kritisierte der Medienwissenschaftler. In der Arbeit der Bremerhavener „Nordsee-Zeitung“ spiele dieses Manko keine Rolle, sagte Chefredakteur Christian Klose. Er verwies auf die vornehmste Aufgabe der Medien, die unter Nutzung mehrerer Quellen über Fakten und Zusammenhänge aufklären und dabei Wichtiges von Unwichtigem trennen müssten.

Die Berliner „Deutschlandradio“-Korrespondentin Katharina Hamberger mahnte, die Medien müssten dabei immer bereit sein, trotz aller Empathie einen Schritt zurückzutreten und den Außenblick auf die Dinge zu bewahren: „Wir dürfen nicht zum Aktivisten werden.“

Unbeantwortet blieb an diesem Abend die Frage, warum in Diskussionen und Berichten so oft Begriffe wie „Flut“ oder „Welle“ auftauchen, die für Naturgewalten stehen, oder Begriffe, die dem militärischen Wortschatz entlehnt sind wie etwa „Ansturm“ und „überrennen“. Dass dieser Sprachgebrauch, dieses „Wording“, Menschen ausgrenze und in Schubladen packt, darauf machte Daniel de Oliveira Soares aufmerksam. Wer so Ängste schüre, liefere Stoff für die Parolen der Rechtspopulisten, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrates und fügte hinzu: „Medien haben das hochgeschaukelt.“ (epd/mig)