Wie kann der radikale „Islamismus“ bekämpft werden? Durch eine Begrenzung der Zuwanderung von Muslimen? „Wenn auch nur ein Prozent derjenigen, die kommen, radikale Gedanken hegen, wären das, bei einer Million, immer noch 10.000 Menschen“, sagte mir ein Bekannter kürzlich.
Diese Sichtweise trägt nicht zum Verständnis des Problems bei, denn der Salafismus wächst unabhängig von der Immigration. Wer davon ausgeht, es handele sich um ein externes – d.h. von außen an uns herangetragenes Problem – verdrängt, dass es handfeste Gründe gibt, warum sich Jugendliche islamistischen Gruppen zuwenden.
Über 460 Salafisten leben laut Landesamt für Verfassungsschutz allein in Hamburg. Sie organisieren Koranstände (z.B. die Aktion „Lies!“) und betreiben Werbung in sozialen Netzwerken. Immer wieder wird gefordert, diese Aktivitäten zu verbieten:
„Wir werden nicht dulden, dass mitten in unserer weltoffenen Stadt Werbung für totalitäre Herrschaftsstrukturen gemacht wird“, sagte Markus Frank, Ordnungsdezernent der Stadt Frankfurt, nachdem eine ungenehmigte „Lies!“ Kampagne unterbunden wurde. In Österreich (aber auch bei uns) wird darüber nachgedacht, Koran-Stände vor Flüchtlingsheimen zu verbieten.
Verbote oder Abschottungen sind jedoch keine befriedigenden Lösungen für politische Probleme. Es ist gewiss einfacher zu fordern, unliebsame Phänomene zu verbieten (in der Hoffnung, sie könnten dadurch verschwinden), als sich der Frage zu stellen, warum radikalen Islamisten so viel Zulauf bekommen.
Globale Jugendkultur
Dass es sich beim „Islamismus“ im Wesentlichen um eine Jugendkultur handelt („Die Burka ist der neue Punk“,) spricht sich langsam herum. Doch ein Missverständnis hält sich hartnäckig: Es seien vor allem leicht beeinflussbare, dumme oder ungebildete Jugendliche, die der Ideologie verfallen. Wird deswegen in Österreich die Koranverteilung vor Flüchtlingsheimen gefordert, weil hier die Anfälligsten und Schwächsten vermutet werden? Jedenfalls basiert die Verbotslogik auf der Idee, bei der Verteilaktion handele es sich um eine Art Gehirnwäsche.
Ganz konträr zu dieser Vorstellung sind es — wie der Soziologe Frank Furedi schon vor einigen Jahren in England beobachtete — häufig die dynamischeren, intelligenteren und eloquenteren Jugendlichen, die sich dem radikalen Islam zuwenden (Times Educational Supplement, 8.9.2006). Furedis Beitrag zeigt, wie präsent und gut organisiert salafistische Gruppen bereits vor 10 Jahren an den Universtäten Großbritanniens waren – lange bevor die große Einwanderung aus Syrien begann.
In einer Zeit, da die traditionellen politischen Studentengruppen kaum noch existierten, waren es auf einmal nur noch Islamisten, die etwas zu sagen hatten. An vielen Universitäten entwickelten sie sich zur aktivsten und am besten organisierten Studierendengruppe. Somit wurden sie attraktiv für Jugendliche, die ein wirkliches Interesse daran hatten, die Welt um sich herum zu verändern. Sie sprachen Studenten an, die den Irakkrieg verabscheuten oder mit dem Schicksal der Palästinenser sympathisierten.
Diejenigen also, die meinen, das Problem ginge allein von extremistischen Agitatoren aus, ignorieren diese politische Realität. Es ist leicht, den Terror als von außen hereingetragen zu verstehen. Aber das erklärt nicht, warum so viele intelligente, junge Menschen geneigt sind, die Rhetorik radikaler Islamisten zu akzeptieren, wenn es um die Interpretation des Weltgeschehens geht.
Sympathien für antiwestliche Haltungen
Auch meine Erfahrung ist, dass in jedem Fachhochschulkurs (den ich als Dozentin leite) Studenten sitzen, die unverkennbare Sympathien für „alternative“ oder antiwestliche Behauptungen hegen. Die jüngsten Anschläge in Paris, so die Meinung eines Studenten (der übrigens ebenfalls zu den sehr guten zählt), seien eine „Antwort auf all das, was wir im Westen nicht mitbekommen.“ Über 14 Jahren nach den Anschlägen in New York behaupten nicht wenige immer noch, die USA hätten den Terror „gesät“. Beliebt ist auch die Idee, dass die Journalisten und Karikaturisten von Charlie Hebdo ihre brutale Ermordung „provoziert“ hätten.
Professor Furedi hat Recht, wenn er schreibt, dass es uns nicht an Verboten mangelt, sondern zu oft an dem Mut, solchen Verirrungen mit kohärenten Argumenten entschieden und überzeugend zu begegnen. Er fordert mehr öffentliche Debatten. Statt defensiv zu sein, sollten wir die Themen bei jungen Muslimen und anderen offen ansprechen.
Wer nach Verboten ruft, verschlimmere die Situation. Er signalisiere, dass er jungen Menschen nicht zutraue, ein eigenes Urteil zu bilden, und selber zu merken, was richtig oder falsch ist, wenn ihnen unterschiedliche Meinungen angeboten werden. Zensur, so Furedi, zeuge von einer moralischen Feigheit, die darauf beruhe, dass wir glaubten, unsere säkularen, demokratischen Ideale könnten im offenen Wettstreit nicht bestehen. Während sich manche das Problem des radikalen Salafismus einfach wegwünschen, indem sie es ignorieren, meinen andere, sie könnten es verbannen, verbieten oder durch ein Einwanderungsverbot bekämpfen. Beides ist falsch.