Kurdischer Obama?

Ein Bild hält uns gefangen

Seit Wochen kursiert eine Metapher in den Medien: HDP-Chef Selahattin Demirtaş sei ein kurdischer Obama. Wie stichhaltig dieser Vergleich ist und ob die damit verbundenen Assoziationen stimmen, hat sich A. Kadir Özdemir näher angeschaut.

In den letzten Wochen war in der deutschen Presse von einem kurdischen Obama zu lesen: Die Rede ist von Selahattin Demirtaş, dem HDP Co-Vorsitzenden. Nora Fisher, eine Sprecherin des Think Tanks German Marshall Fund, hatte Demirtaş als einen Politiker bezeichnet, der sie stark an Obama erinnere. Kurz darauf wurde in vielen Medien verstärkt dieser Vergleich aufgenommen.

Wenn eine Denkfabrik, die sich zum Ziel gesetzt hat, Europa und die USA enger zusammenzuführen, Demirtaş mit Obama vergleicht, sollte man einen zweiten Blick auf dieses Gleichnis werfen. Denn Begriffe sind nicht nur im Evangelium mehr als Worte, sondern auch in der Politik. Schließlich verfolgt der politische Sprachgebrauch stets eine Absicht, unter anderem zu beeinflussen, zu überzeugen oder ein bestimmtes Image zu konstruieren.

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Wenn von einem kurdischen Obama die Rede ist, ist das eine politische Metapher. Im Allgemeinen werden Metapher der Literatur zugeordnet und damit stark unterschätzt. Linguistische und psychologische Arbeiten heben die Bedeutung der Metapher für Denkprozesse hervor. Metapher vereinfachen komplizierte Sachverhalte, so dass politische Entwicklungen durch Rückgriffe auf Vertrautes leichter interpretiert werden. So werden in der Politik „Rettungspakete“ geschnürt, „Brücken“ gebaut, „Richtungswechsel“ vorgenommen oder „das Boot“ für voll erklärt. Gleichzeitig werden komplexe politische Ereignisse auf einfache Sinnzusammenhänge reduziert, denn das Komplizierte und Zweideutige erzeugt Unsicherheit. Bürger, die „nicht mehr durchblicken“, werden von den Politikern mit einer anschaulichen Ordnung – inklusive simpler Deutungen – versorgt. Metaphern sind daher ein gutes Mittel zur Bildung von politischen Fronten und Loyalitäten.

Mit Metaphern sind vielfältige Assoziationen verbunden. Mit ihr können Meinungen und Einstellungen beeinflusst werden. So fühlt sich der Adressat bei „chirurgischen Eingriffen“ viel wohler als bei „massenhafter Tötung“. Jede dieser Bezeichnungen ruft ganz eigene Assoziationsketten auf. Das Praktische an Metaphern ist, dass sie so unkonkret wie möglich und so konkret wie nötig bleiben. Selbst höchst blutige Ereignisse klingen besser, wenn man sie mit einer Metapher belegt. Ein arabischer Frühling beispielsweise impliziert ein Aufblühen und angenehme Wechsel, wohingegen ein arabischer Herbst sich weniger eignen würde, um die tatsächliche Brutalität der Umwälzungen zu verharmlosen. Eine politische Kultur erkennt man auch an ihren Metaphern.

Wie stark Metaphern wirken, zeigte die Psychologin Lera Boroditsky von der Stanford University. Sie führte mit zwei Versionen eines Textes über Kriminalität einen Test durch. Der einzige Unterschied in den beiden Versionen war, dass die Kriminalität einmal als „wildes Tier“ und einmal als „Virus“ bezeichnet wurde. Die Probanden, denen Kriminalität als wildes Tier vorgestellt worden war, sprachen sich für härtere Gesetze aus. Und die Teilnehmer, denen Kriminalität als Virus dargestellt worden war, forderten Untersuchungen, um Armut zu bekämpfen und die Bildung zu verbessern. Eine einzige Metapher hatte den Unterschied ausgemacht und das, obwohl beide Gruppen für ihre Entscheidung angaben, die Kriminalitätsstatistik im Text genutzt zu haben. Die Zahlen jedoch waren identisch.

Wenn jetzt von einem kurdischen Obama gesprochen wird, so soll diese Metapher in Zusammenhang mit Demirtaş positive Konzepte wie jung, engagiert, friedlich, demokratisch, menschlich, vor allem aber Fürsprecher für eine unterdrückte Minderheit nach sich ziehen. Das funktioniert aber nur, wenn auch von Obama dieselben positiven Konzepte als gültig und gängig angenommen werden. In diesem Falle wäre der Vergleich mit Obama ein großes Kompliment.

Genau so soll der deutsche Leser diese Metapher auch verstehen, denn der Mainstream der deutschen Presse betont ausschließlich positive Übereinstimmungen. Damit wird der „Idealtyp“ als mediale Konstruktion für noch unverbrauchte politische Figuren bemüht. Wirft man abseits der üblichen Festschreibungen einen Blick auf den Mann mit dem Demirtaş vergleichen wird, kommt man schnell zu anderen Ergebnissen.

Barack Obama, amtierender Präsident der USA und Friedensnobelpreisträger, galt als ein Mann, der losgezogen war, um die USA nach dem großen Gesichtsverlust der Bush-Ära moralisch zu sanieren. Als er sein Amt antrat, hatte er versprochen, Guantánamo werde innerhalb eines Jahres geschlossen. Auch die CIA-Gefängnisse, in denen Menschenrechte nicht gelten, Verdächtige gefoltert werden oder einfach spurlos verschwinden, sollten aufgegeben werden. Darüber hinaus sollte es zu einer Versöhnung mit der arabischen Welt kommen und das ramponierte Ansehen bei den Europäern durch vertrauensbildende Maßnahmen korrigiert werden. Heute ist er ein Mann, der durchschnittlich jeden vierten Tag seit seiner Präsidentschaft unbemannte Drohnen aufsteigen lässt, bei denen viele Menschen getötet werden – Zivilbevölkerung als „Kollateralschaden“ mit eingeschlossen.

Obamas Popularität wurde eindeutig durch die Politisierung seiner Hautfarbe vorangetrieben. Tatsächlich hat sich inzwischen der Rassismus gegenüber schwarzen Amerikanern derart verschlechtert, dass inzwischen jeder dritte(!) Schwarze im Laufe seines Lebens verhaftet wird. Die US-Polizei darf wahllos und verdachtsunabhängig Bürger auf der Straße anhalten, durchsuchen und in Gewahrsam nehmen. Bis zu 80 Prozent der Betroffenen dieser Praxis sind Latinos und Afroamerikaner. Als letzter Weckruf für jene, die an Obama als die Friedenstaube geglaubt haben, durfte die Bemühung Obamas gedient haben, die Kriegsverbrechen aus der Bush-Ära unter den Teppich kehren zu lassen. Hinter der medial konstruierten Fassade des Friedensnobelpreisträgers verbirgt sich haargenau das gleiche Kalkül und die Machtpolitik der Bush-Ära, nur mit einer hübscheren Oberfläche.

Ähnlich wie Obama wird auch Demirtaş’s ethnische Herkunft stark politisiert. Der exzellente Rhetoriker erweckte den Eindruck, als stünden die über Jahrhunderte eben durch ihre Unterschiedlichkeit bemerkenswerten kurdischen Volksgruppen gänzlich hinter der Politik der HDP und er sei die allein berechtigte Stimme eines ganzen zuvor sprachlosen Volkes. Dass gerade der tendenziell konservativere Osten der Türkei und die in viele westliche Großstädte immigrierten Kurden die AKP unterstützen oder die alevitischen Kurden CHP wählen, wird ausgeblendet. Die Realität der ethnischen, religiösen und vor allem politischen Vielfalt unter den Kurden passt nicht in den Entwurf eines Volkes, dass dringend beschützt werden muss und allein durch die PKK und HDP eine Repräsentanz bekommen darf.

Demirtaş betont stets, dass Abdullah Öcalan, Gründer der PKK, der alternativlose Verhandlungspartner sei. Einerseits möchte die HDP eine demokratisch legitimierte, unabhängige Partei sein, aber andererseits kann keine wichtige Entscheidung ohne die Fürbitte Öcalans getroffen werden. Es ist eben diese treue Bindung der HDP an die PKK, die stark an der Glaubwürdigkeit von Demirtaş zweifeln lässt. Das Imageproblem wird noch durch seinen älteren Bruder verstärkt, der nach jüngsten Angaben sich unter den kurdischen Kämpfern im Nordirak aufhalten soll.

Normalerweise müsste eine derart tiefe Verstrickung der HDP mit Öcalan und der PKK gerade Deutschland und die deutsche Presse kritischer werden lassen. Denkt man nur an die Zeiten der RAF zurück, an die 34 Opfer, und welche Ausmaße damals die polizeiliche Paranoia angenommen hatte. Der bewaffnete Konflikt mit der PKK kostete bisher rund 40.000 Menschen das Leben.

Dennoch wird Demirtaş, die HDP und selbst die PKK von deutschen Politikern hofiert. Bereits 2014 forderte der Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) Waffenlieferungen an die PKK, einer Organisation, die in Deutschland erst verboten wurde, als deren Mitglieder durch unzählige Angriffe auf türkisch-deutsche Unternehmer, Autobahn-Blockaden und Selbstverbrennungen die deutsche Öffentlichkeit komplett gegen sich gebracht hatte.

Demirtaş, der jüngst in Brüssel (EU-Zentrale der PKK) ranghohe Terroristen traf, sagte, dass die EU nun stärker die Türkei überzeugen müsse, mit der PKK zu verhandeln. Die PKK sei eine Bewegung für Demokratie. Demirtaş folgt einer beliebten Methode der politischen Sprache, nämlich das Einbetten von politischen Ereignissen in subjektive Deutungsmuster, indem bestimmte Merkmale oder Aspekte selektiv hervorgehoben oder ihr willkürlich zugeordnet (highlighting) und so im kollektiven Gedächtnis verankert werden. Andere unliebsame Fakten hingegen wie die lange blutige Spur der PKK werden gezielt ausgeblendet (hiding).

Politische Metaphern können auf leisen Sohlen in unser Gehirn einziehen und uns gefangen nehmen. Sie haben die Macht, neue Wirklichkeiten zu schaffen und unser Begriffssystem zu verändern. Anschließend entsteht durch konsequentes Wiederholen der sogenannte Wahrheitseffekt. Der Erfolg der politischen Sprache ist umso größer, je geringer das Wissen der Zielgruppe über das Thema und je größer das Vertrauen in die Verbreitungskanäle ist.

Sowohl Obama als auch Demirtaş haben vor allem eines gemeinsam: ihr Image. Form und Inhalt dürfen sich diametral widersprechen, dennoch wirken Bilder nach. In einem solchen Fall spricht man von einem Fiktionswert. Faktisch stimmt nichts von dem, wie man sich einen Friedensnobelpreisträger oder einen unabhängigen Menschenrechtler vorstellt, aber eine Fiktion wird aufrechterhalten, um emotionale Bedürfnisse zu befriedigen. Denn Metaphern bringen im Unterschied zu anderen Methoden der politischen Sprache vor allem Gefühle ins Spiel. Und bei Gefühlen werden Entscheidungen häufig trotz entgegengesetzten Fakten getroffen. Allgemein endet die Macht der Metapher und der politischen Sprache da, wo die Menschen mit der Realität konfrontiert werden und eine Diskrepanz zwischen politischer Manipulation und der Wirklichkeit sichtbar wird.