„Warum ihr Weißen diesen Job nicht macht?“ sagt Ama, eine ältere Frau aus Ghana. „Weil ihr denkt, wir Schwarze seien Tiere. Ihr haltet uns für Bestien. Aber ich will dir etwas verraten: wenn man einem Schwarzen die Adern aufschneidet“, dabei zieht sie ihre linke Handkante über die rechte Innenseite ihres Handgelenks, „ist das Blut, das herausschießt, auch rot. Wir haben dasselbe Blut. Schwarze und Weiße – wir sind gleich.“
Ich habe dieses Argument im Lauf meiner Arbeit schon öfter gehört, wenn auch in etwas moderaterer Form. Einige Informanten antworteten auf die Frage, warum in diesem Sektor überproportional viele Migranten aus dem subsaharischen Afrika beschäftigt seien, mit den Worten: „Weil die Weißen es nicht tun würden. Für sie ist es zu dreckig.“
Wir sitzen vor den Toiletten der Aachener McDonald’s – Filiale am Holzgraben. Das Restaurant ist gut besucht an diesem Nachmittag, die Leute kommen und gehen. Die meisten von ihnen beachten uns nicht, doch manche werfen einen neugierigen Blick auf dieses eher ungewohnte Bild. Es riecht stechend nach Urin aus dem Männerklo.
Ama erzählt weiter. Ich könne mir gar nicht vorstellen, sagt sie, wie schlimm ihre Arbeit sei. Vor allem hasst sie es, wenn manche Leute nicht dichthalten. Erst gestern liefen einem Mann beim Gehen der Durchfall durchs Hosenbein, eine gerade Spur vom Flur bis zur Toilette. Alles musste sie aufwischen. Nicht einmal ein 20-Cent-Stück als Dankeschön habe sie bekommen. Manche Leute verstopfen die Toilette auch mit Absicht, einfach so, nur um sie zu ärgern. Und wenn sie mit dem Reinigen fertig ist und zurück zu ihrem Platz kommt, passiert es nicht selten, dass ihr in der Zwischenzeit der Becher mit den Münzen gestohlen wurde. Ein ganzer Tag Schufterei umsonst! Diese Arbeit ist so eklig, sagt sie. Wenn sie abends nach Hause komme, könne sie kaum noch essen.
Es ist der zweite Monat in einem Projekt, das im Rahmen eines Ethnologie-Seminars der Uni Köln stattfindet. Die Studierenden sollen eigenständige Ideen entwickeln und anhand der Feldforschung die Methoden in der Ethnologie erproben; teilnehmende Beobachtung, verschiedene Interviewtechniken, das Erstellen von Fragebögen, das ganze Programm. Für meine Forschung habe ich achtzehn Interviews durchgeführt und ausgewertet, Fragebögen entwickelt und verteilt, mehrere Stunden systematisch beobachtet, mit den Chefs gesprochen (bzw. versucht mit ihnen zu sprechen), Experten in Deutschland und anderswo kontaktiert, und viele Großstädte NRWs von Münster bis Aachen abgeklappert. Ich wundere mich in diesen zwei Monaten so oft über Deutschland – das Land, in dem ich lebe – wie noch nie.
Zu dem Thema selbst komme ich rein zufällig. Im Frühjahr 2014 bin ich eines Abends, nach einem Treffen mit zwei Freunden, in der Kölner Innenstadt unterwegs und gehe im McDonald’s in der Hohen Straße auf Toilette. Nachher, beim Waschen der Hände, trällert der WC-Page, offensichtlich ein Afrikaner, eine kleine Weise.
„Welche Sprache ist das?“ frage ich neugierig.
„Englisch“, gibt er mit einem Lächeln zurück.
„Englisch?“ Ich muss lachen. So wenig klingt dieses gutturale Tonrollen nach Oxfords Leitakzent. „Und wo wird dieses Englisch gesprochen?“
„In Nigeria.“
Es entwickelt sich ein netter small talk von mehreren Minuten. Am Ende frage ich ihn, was mir schon an vielen Abenden wie heute aufgefallen ist: Warum gibt es in deutschen Fastfoodketten so viele schwarze Kloputzer? Wir unterhalten uns noch gut eine Stunde darüber und reißen die verschiedensten Themen an. Vom guten Rapport zwischen uns ermuntert, entscheide ich mich, in meiner Feldforschung im kommenden Semester dieser Frage weiter nachzugehen.
Bevor ich meine Idee jedoch präsentieren kann, muss ich erst einmal feststellen, ob wirklich so viele Afrikaner in Franchise-Restaurants wie McDonald’s, Burger King, Pizza Hut und Kentucky Fried Chicken usw. arbeiten oder ob es sich vielleicht nur um eine verzerrte Wahrnehmung meinerseits handelt. Hierzu mache ich eine einfache Liste und laufe viele Filialen in Köln und der näheren Umgebung ab. Ich spekuliere auf einen Anteil von vielleicht dreißig Prozent, um von einer „ethnischen Nische“ oder etwas in der Art sprechen zu können, doch das tatsächliche Ergebnis wirft mich um: von den 13 Restaurants, die ich an diesem Tag besuche, haben 11 einen Toilettenpagen verpflichtet. Von den 11 Pagen sind alle Afrikaner, das Geschlechterverhältnis ist annähernd ausgeglichen. Spätere Befragungen ergeben, dass fast alle von ihnen aus Ghana stammen, einige wenige aus Nigeria und Togo. Und Reisen in andere große Städte in der Rheinschiene und dem Ruhrgebiet zeigen tendenziell in eine ähnliche Richtung. Warum ist das so?
Mein anfänglicher Optimismus straft mich schnell Lügen. Vielerorts wird meiner Fragerei mit Misstrauen begegnet. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass ein Deutscher, der Migranten sehr direkt Fragen über ihren Beruf und ihre Situation stellt, verdächtig wirken muss. Welcher Deutsche auf der Straße interessiert sich schon für die Lage von afrikanischen Kloputzern? Die Jobs, von denen wir sprechen, sind ein geeignetes Schlupfloch für undokumentierte Migranten und Arbeit ohne Papiere, denn die WC-Pagen (auch die mit Papieren) arbeiten alle ohne Vergütung. Der Lohn besteht einzig aus dem, was die Gäste ihnen in Form von Trinkgeld in den Teller werfen. Bar auf die Hand. Keine Abrechnung, nichts. Für die „Illegalen“ in Deutschland ist das oft der einzige Weg, um an etwas Geld zu kommen.
Anderswo wurde über den Mindestlohn diskutiert, hier gibt es nicht mal einen Stundenlohn. Es gibt nicht einmal ein Basisgehalt. Sie sitzen den ganzen Tag da, putzen und warten, dass ihnen jemand ein paar Cent in den Plastikbecher wirft.
Dieses Prinzip gilt nicht nur für Migranten. In der Düsseldorf Altstadt treffe ich Hanna, die erste deutsche WC-Pagin, die mir über den Weg läuft. Auch sie bekommt nicht mehr als das Trinkgeld. Hanna: „Ich arbeite hier nur am Wochenende, wenn viele Leute da sind, sonst würde sich das für mich gar nicht lohnen.“ Und mit Nachdruck: „Das Wochenende ist die beste Schicht, und ich habe ja irgendwie auch einen Anspruch darauf, weil ich schon seit zehn Jahren hier beschäftigt bin.“
Es tut sich die Frage auf, was mit all jenen ist, die keinen Anspruch auf die beste Schicht haben, weil sie nicht schon so lange dabei sind?
Im Burger King am Kölner Ring befrage ich einen jungen Ghanaer, Manuel, der mich von Anfang an für einen versteckten Ermittler der Polizei hält. Er stottert, erklärt, er habe derzeit keinen festen Wohnsitz, pendle regelmäßig zwischen Köln und Frankfurt hin und her, und habe notdürftig einen Schlafplatz bei der Caritas gefunden. Zuerst sei er in Italien gewesen, in Italien gebe es aber kaum Perspektiven, weshalb er dann nach Deutschland gekommen sei. Sehr verängstigt holt Manuel seinen Reisepass hervor und zeigt mir, als sei dies ein Beleg für seine Geschichte, einen italienischen Stempel. Ich versuche ihn zu beschwichtigen:
„Nein, nein! Du brauchst mir deinen Pass gar nicht zu zeigen. Ich habe mit den Behörden nichts zu schaffen. Ich bin Student und habe nur ein paar Fragen für einen Uni-Kurs, sonst nichts.“ Ich zeige ihm den Studierendenausweis, auf den er mehrere Sekunden geistesabwesend starrt. „Okay …“, antwortet er nach einer Weile. „Okay …“
Ich denke, dass es das beste ist, den Jungen in Ruhe zu lassen, gehe zurück ins Restaurant, bestelle einen Kaffee und mache ein paar Notizen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er sofort jemanden anruft und beim Gespräch offensichtlich sehr nervös immer wieder in meine Richtung schaut. Nach ein paar Minuten bekomme auch ich ein mulmiges Gefühl, stehe auf und gehe.
Andere reagieren aggressiver. Im Burger King in der Schildergasse versuche ich es mal mit einer anderen Taktik und erkläre dem Pagen, dass ich eine Freundin aus Ghana hätte, die schnell einen neuen Job braucht. Ob er mir die Telefonnummer seines Chefs geben könne? Sein Instinkt scheint von vielen derartiger Ungereimtheiten auf seinem Weg geschärft, er wittert meine Unaufrichtigkeit und kontert:
„Hat deine Freundin Papiere?“
„Das weiß ich nicht“, antworte ich unbestimmt, „ich müsste nachfragen.“
„Ohne Papiere keine Arbeit. So läuft das.“
„Könnte ich das vielleicht mit dem Chef besprechen?“
„Du besprichst das mit mir. Wenn deine Freundin Papiere hat, soll sie kommen, und ich rede mit ihr persönlich.“
„Ach?“ tue ich erfreut. „Das heißt die Firma gehört dir?“
„Nein“, antwortet er, zum ersten Mal etwas in die Ecke gedrängt. „Ich bin nicht der Chef. Aber ich spreche für den Chef.“
„In Ordnung, ich rede mit ihr und gebe dir heute Abend Bescheid. Kriege ich deine Telefonnummer, damit ich dich anrufen kann?“
Er ist immer noch sehr vorsichtig: „Gib du mir deine und ich rufe dich an. Morgen früh.“ Ich gebe ihm meine Nummer und bedanke mich für das Gespräch.
Melden wird er sich nicht.
Öfter bekomme ich allerdings zu hören: „Nein, ich arbeite gar nicht hier. Ich vertrete nur kurz einen Bekannten, der heute zum Arzt muss. In einer Stunde ist er wieder da.“ Doch manchmal werde ich auch mit Nichtbeachtung quittiert. Ich fühle mich als aufdringlicher Querulant, das schmerzt doppelt. Im C&A in der Schildergasse versuche ich zwei Frauen dazu zu bewegen, mit mir durch einen Fragebogen zu gehen. Die Jüngere lächelt verunsichert und verweist mich auf ihre viel strengere Mutter, die gerade telefoniert. Als diese auflegt, erklärt sie mir traurig, sie würde mir gern helfen, verstehe aber leider nicht genug Deutsch. Ich wechsle ins Englische. „Ich kann auch kaum Englisch“, sagt sie. Das ist sehr ungewöhnlich für Menschen aus einem Land, wo Englisch die alleinige Amtssprache ist. Ich entschuldige mich und gehe.
Ausbeutung auf verschiedenen Ebenen
An erster Stelle sind da natürlich die Franchise-Nehmer selbst, die davon profitieren, sich billiges Personal nehmen zu können. Dann sind da die Subunternehmer, die ebenfalls hohe Gewinnmargen erzielen, weil sie ihre Mitarbeiter ja gar nicht bezahlen brauchen und trotzdem von den Schnellrestaurants für sie kassieren. Ausbeutung findet aber auch unter den Angestellten selbst statt, indem zum Beispiel einige von denen mit gültigen Papieren den Illegalen ihre weniger guten Schichten „leihen“ und dafür auch noch eine Art Gebühr einstreichen. Valentina Mazzucato, Migrationsforscherin, spricht von circa 30% des eingenommenen Trinkgelds. Natürlich wissen alle direkt Beteiligten über diese Praxis Bescheid, bewahren jedoch Stillschweigen und sind auf beiden Augen blind, weil auch sie gehörig mitverdienen.
Auch vermeintlich simple Anfragen werden von einigen als direkter Angriff erlebt. Ich frage den Manager der McDonald’s Filiale am Rudolfplatz, bei welcher Zeitarbeitsagentur die meisten seiner Reinigungskräfte beschäftigt sind, in der Hoffnung, später etwas über Einzelheiten in den Verträgen herauszubekommen. Er führt mich einfach in den Flur zurück und sagt: „Da stehen sie! Wenn sie etwas wissen wollen, sprechen sie doch mit denen!“ So als hätte er nichts mit seinen eigenen Angestellten zu tun, dabei arbeiten sie doch in seinem Haus.
Das Gespräch mit „Nadine“ (Inhaberin des Kölner Subunternehmens Supersauber) ist noch weniger erfreulich. Sie schreit mich sogar an: „Ich habe allen meinen Angestellten zum Monatsende gekündigt! Damit sollten sich ihre Fragen erübrigen.“ Ich versuche ein bisschen die Animosität aus dem Gespräch zu nehmen und probiere eine zweite Frage. Ich erkläre höflich, ich hätte in erster Linie ein akademisches Anliegen und möchte gern wissen, seit wann so viele Afrikaner in der Firma sind, ich bräuchte das für einen Professor. „Da kann ich ihnen auch nicht weiterhelfen“, antwortet sie knapp und legt kurz darauf auch schon auf.
Am Anfang des nächsten Monats schlendere ich wieder durchs „Revier“ und erkenne sofort dieselben Gesichter auf denselben Posten, denen sie ja gekündigt haben will.
Noch eine Randnotiz: Die Antwort auf meine akademische Fragestellung ergab im Übrigen eine einfache Literaturrecherche. Die in Deutschland lebenden Ghanaer sind hauptsächlich Akan aus dem Süden und Osten des Landes. Akan ist ein linguistischer Oberbegriff für mehrere ethnische Gruppen, die seinerzeit am meisten vom Kakao-Boom des Landes profitieren und daher unter den ersten waren, die migrieren konnten, denn internationale Migration erfordert erhebliche Ressourcen. Die Akan sind matrilinear und unter Migranten ist es traditionell der letzte Ankömmling, der für die Familie daheim verantwortlich ist. Es ist also das vitale und ureigenste Interesse eines jeden Akan, einen neu angekommenen Verwandten schnell in den Job zu bringen, um so die Verantwortung und finanzielle Bürde für die Daheimgebliebenen weiterzureichen. Dieser Sachverhalt in Kombination mit entsprechenden sozialen Netzwerken und Barrieren anderswo führte dazu, dass sich im Rhein-Ruhr-Gebiet eine ethnische Nische im Reinigungssektor herausgebildet hat.
Diesen Teil der Frage konnte eine wissenschaftliche Literaturrecherche beantworten. Eine Lösung für das verbliebene Problem zu finden ist die Aufgabe der Gesellschaft und Politik.
Die vielen afrikanischen Mitbürger, die tagtäglich in deutschen Schnellrestaurants putzen und schuften, die große Mehrheit davon ganz legal und mit gesichertem Status, sind vor der Mitte der Gesellschaft, dem sogenannten Bürgertum, verborgen. Wann kommt es schon vor, dass ein Bildungsbürger im McDonald’s seinen Royal mit Käse bestellt und einen Gedanken an die Frau oder den Mann verschwendet, der nach ihm das Urinal saubermacht? Vielleicht lässt sich ja damit die Mühelosigkeit erklären, mit der sich einige Dinge und Missstände aufdecken ließen, denn wenn ein einfacher Student der Ethnologie das kann, könnte ein etablierter investigativer Journalist das erst recht.
Jeden Tag sehen wir die Bilder aus dem Fernsehen, wie Flüchtlinge in hoffnungslos überfüllten Kähnen im Mittelmeer ertrinken oder mit dem Mut der Verzweiflung über die Fangzäune der spanischen Enklaven Melilla und Ceuta klettern, und fordern einstimmig die Verbesserung ihrer Verhältnisse. Dazu müssten wir erstens ganz konkret die Situation der legalen Migranten hier vor Ort aufwerten, denn es ist ein Skandal, dass es rechtens sein soll, dass Menschen in Deutschland den ganzen Tag unter widrigen Bedingungen schuften und keinen Lohn erhalten, einzig von dem Wohlwollen der Gäste abhängen. Was sie am Ende des Tages tatsächlich raus haben mag ja in Einzelfällen vergleichbar sein mit Arbeit nach dem tariflichen Mindestlohn, doch hier geht es ums Prinzip und mehr als um ein bisschen Symbolik.
Diese Verträge gehören abgeschafft. Allein schon, weil sie auch das zweite große Problem erst ermöglichen, nämlich das Problem mit den illegalen Migranten, die dort schwarz arbeiten und von allen am meisten ausgebeutet werden. Dies spielt wiederum, über mehrere Ecken gedacht, den skrupellosen Schleppern und Menschenhändlern beiderseits des Mittelmeers in die Hände, die Unschuldige und Wehrlose zu völlig überzogenen Preisen und zu menschenunwürdigen Bedingungen von A nach B nach C schleusen und sie dann ihrem Schicksal überlassen. Das macht die Verantwortlichen bei McDonald’s, Burger King und Co., aber auch die vielen Subunternehmer, zu versteckten Mäzenen dieses Menschenhandels, weil auch sie das Geschehen zulassen und davon profitieren.