Neue Funde in Hessen

Hinweise auf Verstrickung des Verfassungsschutzes in NSU-Morde

Der hessische Verfassungsschutz gerät zunehmend in Erklärungsnot. Opferanwälte werfen dem Geheimdienst vor, von dem Mord in Kassel gewusst zu haben. Als Beweis verweisen sie auf Telefongespräche zwischen Verfassungsschutzmännern, die neu ausgewertet wurden.

Neue Hinweise im NSU Komplex setzen den hessischen Verfassungsschutz schwer unter Druck. Wie neun Jahre nach dem Mord an Halit Halit Yozgat in Kassel bekanntwurde, könnte der Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas T. über den Mord informiert gewesen sein. Das geht nach Informationen von Welt am Sonntag (WaS) aus Beweisanträgen von Opferanwälten im laufenden NSU Prozess hervor. Die wiederum berufen sich auf alte Telefonmittschnitte, die jetzt ausgewertet wurden.

Auf den Tonbändern ist ein Gespräch zwischen Andreas T. und dem Geheimschutzbeauftragten des Verfassungsschutzes zu hören. Darin wird T. auf seine anstehende Polizeivernehmung vorbereitet und bekommt dann unter anderem zu hören: „Ich sach ja jedem, äh, wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert: Bitte nicht vorbeifahren! Ja, es ist sch…“

___STEADY_PAYWALL___

Opferanwälte sicher: Temme wusste…

Die Opferanwälte ziehen laut WaS folgenden Schluss aus diesem Gespräch: „Es besteht also Konsens zwischen den Telefonierenden, dass Temme schon vor der Tat wusste, ‚dass … so etwas passiert‘ und entgegen den Anweisungen trotzdem ‚vorbeigefahren‘ ist.“

Brisant ist auch, wie Temme vom Geheimschutzbeauftragten am Telefon auf mögliche Polizeifragen vorbereitet wird, worauf die Ermittler Wert legen könnten oder was wichtig sein könnte. Temme wiederum nickt das alles mit einem „Mh“ ab und widerspricht an keiner Stelle. Er bekommt den Rat: „So nah wie möglich an der Wahrheit bleiben.“ Bei seinen offiziellen Erklärungen gab Temme, der auch V-Mann-Führer in der rechten Szene war, vor, zufällig am Tatort in Kassel gewesen zu sein.

Innenministerium will nicht kommentieren

Die innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion Nancy Faeser sieht in den Berichten einen handfesten Skandal. „Es stellt sich die Frage: gab es überhaupt ein Aufklärungsinteresse? Dazu muss sich nun auch der Ministerpräsident fragen lassen, warum er die Vernehmung des V-Manns von Andreas T. durch eine Sperrerklärung verhindert hat“, sagte die SPD-Politikerin. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) war 2006 Innenminister des Landes. Er hatte mit seinem Veto Vernehmungen im NSU Komplex verhindert.

Auch das Fazit von Experten fällt eindeutig aus: Stefan Aust etwa, der sich ausgiebig mit dem NSU Komplex beschäftigt hat, kommt in Bezug auf die Geheimdienste zu folgendem Schluss: „Wenn man sich die Abläufe von heute aus betrachtet, dann kann man eigentlich nicht zu dem Ergebnis kommen, dass man so ahnungslos war, wie man heute tut.“

Medienberichten zufolge wollte das hessische Innenministerium die neuesten Erkenntnisse nicht kommentieren. Ein Sprecher verwies auf den laufenden NSU-Prozess in München und den Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags. Dieser ermittelt seit Kurzem zu dem NSU-Mord in Kassel. Eingerichtet wurde sie auf Druck der SPD und der Linkspartei. Die CDU und ihr grüner Koalitionspartner hatten nach immer stärker werdendem öffentlichen Druck ihr „OK“ gegeben. (bk)