Migrationsdebatte

Die Ökonomisierung des Denkens

Dieses Jahr hat angefangen, wie das letzte aufgehört hat. Mit Unsinn. Im Mittelpunkt steht erneut das Lieblingsthema hierzulande: der angebliche Missbrauch von Sozialleistungen durch Ausländer. Angestoßen wurde dieser dreckige Karren von der CSU und kulminierte zunächst in dem plumpen Satz „Wer betrügt, der fliegt“. Doch das Problem liegt ganz woanders.

Die CSU ist bekannt für ihre markanten Sprüche, vor allem gegenüber Migranten in Deutschland. Deshalb wunderte es niemanden, dass die Partei bereits zu Beginn des Jahres mit dem Slogan „Wer betrügt, der fliegt“ die Gemüter erhitzte. Die Befürchtung der CSU ist dabei der angebliche Missbrauch deutscher Sozialleistungen durch vornehmlich rumänische und bulgarische Einwanderer.

Die mehrheitliche Akzeptanz von Migranten: ein negativer Frieden?
Wer jetzt aus Gewohnheit erwartet hatte, dass die Leitmedien dieses Thema in grober Manier anfachen und letztendlich die CSU bestärken würden, wurde eines Besseren belehrt: Sogar die Tageszeitungen „Die Welt“ und die „FAZ“ wandten sich einmütig gegen den Vorstoß der CSU und widerlegten präzise die These von einer Armutsmigration. Dabei wurde rauf- und runtergerechnet, welchen finanziellen Wert ein Migrant durchschnittlich für den deutschen Staat hat und es sieht gut aus: Der durchschnittliche Gewinn für den deutschen Staat liegt mal bei 2.000, mal bei 14.000 Euro pro Jahr. So genau weiß das niemand.

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Vor diesem Hintergrund fragt man sich aber, ob tatsächlich das Geld die einzige Sprache ist, die die Gesellschaft hierzulande versteht. Und die Antwort ist ein klares Ja! Was man in vielen Jahren der Antidiskriminierungsarbeit, Sensibilisierung der Medien usw. nicht geschafft hat, wurde prompt mit finanziellen Argumenten verwirklicht: die mehrheitliche Akzeptanz von Migranten in Deutschland.

Nicht, was einer ist, zählt, sondern das, was er kann
Es findet also eine breite Ökonomisierung des Denkens und Handelns im Hinblick auf die Migration statt. Das will heißen: Wir bewerten einen Menschen nur noch nach seiner Arbeitskraft, also nach dem Wert seines potenziellen Könnens.

Das ist insofern gefährlich, als unser jetziger Zustand einen negativen Frieden darstellt, der uns jederzeit wieder um die Ohren fliegen kann. Der Migrant wird als Ware abgestempelt, auf seine Kultur, seine Sprache kommt es nicht an, sein Sein ist vollends im Dunkeln: Im Vordergrund steht sein Können. Also letztendlich die Frage, ob er eine Software programmieren, eine Maschine reparieren oder alte Menschen pflegen kann.

Noch gilt für das Land der Dichter und Denker, dass Menschen, vor allem Migranten, nicht als Zweck an sich gesehen werden, sondern als Mittel zum Zweck. Nicht, was einer ist, zählt, sondern das, was er kann. Damit schaffen wir aber das gleiche Problem wie Ende der 1950er und Anfang der 1960er. Wir machen aus Menschen lediglich Arbeitskräfte, sie werden wieder zu Gastarbeitern.

Und wehe sie schuften nicht: Wir sehen ja, was bereits ein minimaler Anteil von 0,6 Prozent von Rumänen und Bulgaren an allen Hartz-IV-Beziehern in Deutschland für Debatten auslösen kann.

Und was passiert, wenn Deutschland vorrangig ökonomisch denkt, erkennt man unter anderem in der Asyl- und Flüchtlingspolitik: Bürger lehnen Flüchtlingsunterkünfte ab und zünden sie an, wie ein Brandanschlag in Germering am vergangenen Mittwoch zeigt. Darüber hinaus verhält sich Deutschland unsolidarisch gegenüber anderen EU-Staaten, denn es nimmt nur im geringen Umfang Flüchtlinge auf. Grund: Es sollen nur Migranten ins Land, die Geld bringen, alle anderen sollen fortbleiben. Ein ebenso gefährlicher wie unmenschlicher Weg.