"Scheiß Türke"

Ein unpolitischer Junggesellenabschied

Neun statdtbekannte Neonazis feiern, trinken und versuchen, einen Döner-Imbiss-Betreiber umzubringen. Für die Staatsanwaltschaft kein Grund, ein rassistisches Tatmotiv in Betracht zu ziehen – trotz Rufen wie „Scheiß Türke“.

Die Männer waren anlässlich eines „Junggesellenabschieds“ unterwegs. Am Bahnhof angekommen, schauten sie auffällig in den Dönerimbiss. Blicke sagen manchmal mehr als Worte, wird eine Tatzeugin später sagen. Gemeinsam verließen der Imbissbetreiber und seine Freundin daraufhin den Laden, um schnell Türen und Fenster zu schließen. Dabei wurde die Frau bereits u.a. als „Türkenschlampe“ beschimpft. Der Imbissbetreiber griff darauf einen der Männer am Arm und erklärte ihm, dass man so nicht mit einer Frau spreche. Als Erwiderung folgten prompt weitere Beleidigungen und eine Flasche gegen seinen Kopf – direkt ans Auge.

Nun gehen die neun Rechten auf den Mann los, bringen ihn zu Boden und treten letztlich auch noch als er regungslos auf dem Bahnsteig liegt und sich nicht mal mehr mit den Händen schützen kann, auf seinen Kopf. Die Tritte, die später als „stampfend“ von oben auf den Kopf beschrieben werden, werden von Rufen, wie „ Scheiß Ausländer” und „Scheiß Türke” begleitet.

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Dass die Tat mitten auf dem Bahnhof vor potentiellen Zeugen begangen wird, scheint den Tätern egal. Sie entfernen sich entspannt, nehmen noch ihren Bierkasten mit. Zurück bleibt regungslos, blutend mit deformiertem Kopf der Imbissbetreiber mit seiner Freundin, die ebenfalls angegriffen und verletzt wurde. Er erleidet multiple Schädelbasis- und Gesichtsbrüche sowie Hirnverletzungen. Es ist nur dem schnellen Rettungseinsatz und der fachmedizinischen Intensivversorgung zu verdanken, dass er noch lebt und inzwischen auch wieder aus dem Koma erwacht ist. Welche Hirnschäden bleiben werden, ist noch unklar.

Keine politische Dimension?
Man könnte meinen, dass spätestens nach der Selbstenttarnung des NSU und der Arbeit der Untersuchungsausschüsse inzwischen auch bei Polizei und Staatsanwaltschaft angekommen ist, dass derartige menschenverachtende Taten ernst genommen und auch als solche qualifiziert werden müssen. Weit gefehlt. Zwar hat die die Staatsanwaltschaft relativ zügig ermittelt und nunmehr Anklage wegen versuchten Totschlags zum Landgericht Magdeburg erhoben. Die politische Dimension der rechten Gewalt will sie hingegen nicht sehen.

Weil die Männer einen „Junggesellenabschied“ feierten, sei ein „ausländerfeindliches“ Motiv nicht belegbar. Dass sich die neun Männer aus der rechten Szene auch anlässlich einer solchen Feier auf die Suche nach einem Opfer, dass in ihr Feindbild passt, begeben können, dass sie die Auseinandersetzung provoziert haben und als sie auf den Kopf des regungslosen türkischen Opfers stampften, rassistische Parolen riefen, scheinen für die Staatsanwaltschaft Magdeburg allenfalls nebensächliche Details zu sein.

Die türkische Gemeinde Deutschland hat sich inzwischen mit dem Opfer solidarisiert. Derartige Taten verunsichern Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland zutiefst. Sie sind geeignet, ein Klima der Angst zu schaffen und das Zusammenleben zwischen den Menschen in Deutschland nachhaltig zu beeinträchtigen. Kenan Kolat, der Vorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland hat dazu erklärt: „Der Angriff in Bernburg zeigt uns erneut, dass rassistische Gewalt in Deutschland ein dauerhaftes und alltägliches Problem ist. Der Fall zeigt exemplarisch, die potenziell tödliche Dimension rassistischer Gewalt, mit der wir es Tag für Tag zu tun haben. Daran hat sich auch nach der unfreiwilligen Selbstenttarnung des NSU nichts geändert. Es bleibt zu hoffen, dass die rassistische Dimension der Tat vom Landgericht angemessen gewürdigt wird. Wir müssen endlich erkennen, dass unser Problem hier Rassismus heißt. Eine gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung mit rassistischen und rechtsextremen Einstellungen in der Bevölkerung ist erforderlich.“

Es war eine der Konsequenzen des Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses des deutschen Bundestages, dass derartige Fälle in Zukunft von der Bundesanwaltschaft übernommen und vor den Oberlandesgerichten verhandelt werden sollen. Die Hoffnung der Ob-Leute war dabei, dass die Arbeit der Ermittlungsbehörden professionalisiert und die Problematik von potentiell tödlicher rechter Gewalt als Delikt gegen die gesamte Gesellschaft über den Einzelfall hinaus ernst genommen werden. Der Mordversuch in Bernburg erfüllt alle Kriterien für eine Übernahme durch den Generalbundesanwalt. Die Magdeburger Staatsanwaltschaft ist nicht in der Lage oder gewillt, die rassistische Dimension der Tat als solche zu erkennen.

Mehrere der Angeschuldigten sind noch auf freiem Fuß. Der Betroffene will aus Angst vor weiteren Angriffen u.a. deswegen selbst nicht öffentlich auftreten.