„Der Islam ist ein Teil von Deutschland“, das ist ein Faktum, das sich anhand der ca. vier Millionen in Deutschland lebenden Muslime/innen festmachen lässt, dennoch lautet das mehrheitsgesellschaftliche Diktum nach wie vor: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland!“ Wie können wir uns diese Divergenz erklären?
Die schwelende Abneigung gegenüber dem Islam entspringt der beharrlichen Tendenz zur Fremdmarkierung von unterschiedlichen Kulturen und Religionen sowie der darauf basierenden Grenzziehung. Die Zuschreibung von Fremdheit anhand von wahrnehmbaren z.B. kulturell-religiösen Unterschieden geschieht nicht völlig unbedacht und dient nach Stuart Hall vorrangig dem Anliegen, „Identität zu produzieren und Identifikationen abzusichern“. Dies führt unweigerlich zu einer Stereotypisierung des als fremd deklarierten Anderen und offenbart sich in diversen – teilweise sehr widersinnigen – Vorstellungen über den Islam.
Deutlich wird dies besonders daran, dass beispielsweise aufgrund des Bedeckungsgebots alle Musliminnen – ungeachtet dessen, dass der Islam den Frauen darüber hinaus weitreichende Rechte einräumt – zu Unterdrückten stilisiert werden und infolgedessen die Unterdrückung der Frau als Signum der islamischen Religion interpretiert wird. Auf diese Weise entsteht ein universell gedachter Rahmen quasi als Gegenstück zur europäischen Leitkultur, in den unter anderem aber insbesondere Muslime/innen hinein vermutet bzw. diskutiert werden, und dessen Konturen in regelmäßigen Abständen von Medienverantwortlichen gerne nachgezogen bzw. verschärft werden.
Bereits der Literaturwissenschaftler Edward Said machte in seinen Orientalismus-analysen im Allgemeinen auf die Praxis der Fremdzuschreibung – Othering – und im Besonderen auf die machtdurchzogenen Strukturen der Orient-Okzident-Beziehung aufmerksam und konnte in verschiedenen Disziplinen der Orientalistik anhand der reduktionistischen Orient-Darstellung sowie der – häufig in simplifizierender Weise –inszenierten Orient-Okzident Gegenüberstellung die vom Westen beanspruchte Überlegenheitsposition gegenüber dem Orient offenlegen. (Mit reduktionistischer Orient-Darstellung ist die überwiegende Fokussierung auf arabisch-islamisch geprägte Kulturen gemeint.)
Diese Vorgehensweise verhalf zu einer ebenso undifferenzierten Selbstdarstellung, die sich besonders dadurch kennzeichnete, dass die dem Orient zugeschriebenen – zumeist negativ konnotierten – Attribute in ihr inhaltliches Gegenteil verkehrt wurden, wodurch wiederum eine westliche Identität maßgeblich begründet wurde. Zu diesem Zweck produzierte Orientbilder finden ihren erkennbaren Niederschlag beispielsweise im Karl Mays Orientzyklus sowie in den Märchen aus 1001 Nacht.
Heute leben viele Menschen aus dem imaginierten islamischen Orient in Deutschland und mir drängt sich förmlich die Frage auf, welchen Einfluss memorierte Orientbilder auf das hiesige interkulturelle, -religiöse sowie -ethnische Zusammenleben haben. Die mehrheitliche Ablehnung der Zugehörigkeit des Islam zur Bundesrepublik Deutschland lässt annehmen, dass die (un-)bewusste Anhäufung von verzerrten Orientvorstellungen, Fremdbildern, Vorstellungen über Muslime etc. einen fortwirkenden Einfluss auf die Gegenwart haben. Sie scheinen sich zu einer unüberwindbaren Fremdheit aufgetürmt zu haben, welche durch die ständige mediale Hervorhebung der Andersartigkeit der islamischen Religion aufrechterhalten wird.
Dabei dienen vor allem medienwirksame Diskurse über Muslime/innen als Ressource für die Bestätigung und Bekräftigung der Geltung von überlieferten Vorstellungen über den islamischen Orient, was darauf hinweist, dass viele Menschen in Deutschland gemessen an ihren überkommenen Fremdheitsängsten in ihren binären Denk- und Wahrnehmungsstrukturen verhaftet geblieben sind.
Info: Dieser Text ist eine kurze Zusammenfassung des Artikels „Die Kontinuität und Wirkmächtigkeit von Fremdheitskonstruktionen in antiislamischen Diskursen“, die hier zu finden ist.
Die tragische Tragweite der Angst vor Identitätsverlust und Unterminierung zivilisatorischer Gewissheiten bemisst sich an dem vorurteilsbelasteten Umgang mit Muslimen/innen, der häufig schnell in einen distanzierten, degradierenden und – leider auch – diskriminierenden Umgang mit rassistischen Zügen umschlägt.
Und es schließen sich weitere Fragen an, die ich gerne zur Diskussion freigeben möchte: Können Fremdheitsängste durch Assimilation verringert bzw. beseitigt werden? Wie sind öffentlich eingeforderte Integrationspostulate in diesem Zusammenhang einzuordnen und inwieweit sind sie vor dem dargestellten Hintergrund annehmbar? Und schließlich pointiert gefragt:
Wie sollen sich Muslime/innen mit den zentralen Zielen der deutschen Mehrheitsgesellschaft identifizieren, eine gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, gesellschaftliche Chancen und Möglichkeiten wahrnehmen sowie eine intakte emotionale Bindung zu Deutschland herstellen, wenn ihnen aufgrund ihres zugeschriebenen Fremdheitsstatus eine soziale Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft aberkannt wird?