In aller Einigkeit hat die Familie entschieden, dass ich Ruhe brauche. In regelmäßigen Abständen wird jedoch via Anruf oder mittels Textnachricht nachgefragt, ob ich denn auch nichts anderes brauche. Selbst Baba ist in der Leitung: „Junge“, wie er mich fast immer nennt, „ich hole dir Vitamine aus der Apotheke“. Nett gemeint, dabei haben wir ihm selbst erst vor zwei Tagen seine Medikamente holen müssen, weil er sich strikt weigert, bei Winterwetter das Haus zu verlassen. Das ist bei seinem Gesundheitszustand auch besser so.
Auch ich bin erleichtert, das Haus nicht verlassen zu müssen. Kaum hat Baba seinen Versuch aufgegeben, mir wider jede Vernunft helfen zu wollen, klingelt es. Nein, diesmal nicht das Telefon, sondern an der Tür. Meine Schwägerin steht mit einem Topf im Eingang. Sie will mir nur Tavuk Çorbası (Hühnersuppe) vorbeibringen, die sie schnell gekocht hat. Und zwar frisch. Wirklich unglaublich, wie sehr ich gehegt und gepflegt werde.
Das Telefon klingelt wieder: „Junge!“ Baba ist wieder am Apparat, Anne wolle mir eine Suppe kochen, will er mir lediglich mitteilen. Und das hat etwas zu heißen. In der Küche konzentriert sich Anne eigentlich nur noch auf das Wesentliche. 50 Jahre hat sie tagtäglich gekocht, mittlerweile hat sie die Nase voll. Zumal Baba mit der Zeit immer nörgelnder wurde und sonst eigentlich auch keine regelmäßigen Esser mehr im Haus sind. Anne scheint im Hintergrund fast schon etwas beleidigt, dass ihr ihre Tochter zuvorgekommen ist. Baba lässt sich davon nicht beirren, er empfiehlt mir stattdessen seine Hausrezepte. Schmackhaft klingt anders. Zum Glück gibt’s leckere Suppe.
Wobei mein Schwiegervater schon immer ein Faible für Wundermittelchen aus der Natur hatte. In der Hoffnung auf ein paar Zentimeter mehr Körpergröße für seine Kinder, hatte er seinerzeit in der Türkei Zutaten für eine Rezeptur gekauft, mit der er die Kinder einrieb. Statt eines Wachstumsschubs hatten die Mädchen jedoch nur einen Ausschlag. Baba ist so ein gutgläubiger Mann, der nur das beste will, aber eine solche Erfahrung möchte ich nicht teilen, so dass ich seine Wundermittel dankend ablehne.
Im Hintergrund scharrt Anne merklich mit den Hufen, weil auch sie mit ihrem Schwiegersohn sprechen möchte. Nachdem ihr Suppenplan über den Haufen geworfen wurde, will sie lediglich wissen, ob sie mir was anderes kochen könne, so eine Suppe sei eine gute Grundlage, aber ich müsste mehr zu Kräften kommen. Ihre Fürsorge ist herrlich. Aber auch das schlage ich dankend aus. Sie hat sich lange genug um ihren Mann kümmern und ihn pflegen müssen.
Zunächst hatte er vor 30 Jahren eine Rücken-OP, die ihn fast ein Jahr in eine Gipskorsage zwang, danach einen Herzinfarkt und noch heute seine Lungenprobleme. Schon längst ist sie die tatkräftige Instanz, die den Haushalt zusammenhält. Baba ist mittlerweile eher der stille Patriarch im Hintergrund. Mitunter zu seinem Leidwesen, da Anne auch die Kasse übernommen hat und Baba somit nicht mehr ohne weiteres Lotto spielen kann. Ich kann ihn im Hintergrund doch quengeln hören, dass er für morgen noch Lotto spielen will. Sie diskutieren, weshalb das Gespräch nun schnell beendet wird.
Nach dem Telefonat versuche ich für ein paar Minuten die Augen zu schließen. Der Tag ist schon fast vorüber. Es klingelt an der Tür. Es ist meine voll bepackte Freundin. Sie hat ein frisches Hühnchen in der Hand. Und will Suppe machen. „Was willst du essen?“, fragt sie mich freudestrahlend. „Ich habe extra ein frisches Hühnchen gekauft.“ Ich deute nur auf den Topf in der Küche. Sie greift zum Telefon, um ihre Schwester anzurufen. Ich lege mich auf die Couch und schmiege mich unter die Decke. Mein Kopf brummt, aber ich fühle mich schon besser. Kein Wunder. Bei so viel liebevoller Fürsorge. Maşallah.