Arbeitsgericht Berlin

Drei Monatsgehälter Schadensersatz für Diskriminierung wegen Kopftuch

Gericht spricht einer jungen Frau Schadensersatz in Höhe von drei Monatsgehältern zu. Sie wurde aufgrund ihres Kopftuches nicht eingestellt. Die Begründung des Gerichts: Das Kopftuch ist kein Schmuckstück.

In einem jetzt bekannt gewordenen und seit Ende September rechtskräftigen Urteil (Az.: 55 C1 2426/12) hat das Arbeitsgericht Berlin einer Kopftuchträgerin eine Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern zugesprochen. Der beklagte Zahnarzt verlangte von der Klägerin, die sich um einen Ausbildungsplatz bewarb, ihr Kopftuch während der Arbeitszeit abzulegen. Dieser Aufforderung kam die Bewerberin nicht nach und lies sich zunächst beim Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (ADNB des TBB) beraten.

Gemeinsam wurde entschieden, gegen die Zahnarztpraxis zu klagen. Rechtsanwältin Maryam Haschemi Yekani hatte der Klage aufgrund der Beweislage gute Chancen eingeräumt und zeigt sich sehr erfreut über dieses Urteil: „Das Urteil ist vor allem deshalb wichtig, da hier eindeutig die individuelle Glaubensüberzeugung von Menschen vor Diskriminierungen geschützt wird. Gleichzeitig stellt das Urteil fest, dass ein Kopftuch (auch) in medizinischen Berufen mit der üblichen Kleiderordnung vereinbar ist und der Arbeitgeber nicht das Recht hat, dies durch eine individuelle Entscheidung zu unterbinden.“

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Kopftuch kein Schmuckstück
Das Kopftuch stellt laut Urteil, die dem MiGAZIN vorliegt, „nicht ein gewöhnliches Kleidungs- oder Schmuckstück dar, bei welchem der Ausbilder aus Gründen der Arbeitssicherheit, der Ästhetik, der Gleichbehandlung oder der Normsetzung im Rahmen einer Kleiderordnung das Ablegen begehren könnte. Vielmehr stellt es den unmittelbaren Ausdruck der eigenen Religiosität gegenüber der Umwelt dar, und sein Tragen ist Akt der Religionsausübung. Das Tragen des Kopftuches steht nicht im Belieben der Klägerin, sondern ist Bestandteil ihres Bekenntnisses.“

Eva Maria Andrades, juristische Mitarbeiterin des ADNB, die die Klägerin als Beistand in der Verhandlung unterstützte, hebt hervor: „Dieses Urteil lässt keinen Zweifel daran, dass Arbeitgeber sich nicht über das Recht auf Gleichbehandlung hinwegsetzen können. Es soll Menschen, die Diskriminierung erfahren, ermutigen, sich dagegen zur Wehr zu setzen.“

Diskriminierung wegen Kopftuch kein Einzelfall
Wie Andrades dem MiGAZIN weiter mitteilt, melden sich viele Frauen mit ähnlichen Problemen beim ADNB. Insbesondere im Arbeitsleben würden Frauen mit Kopftuch häufig diskriminiert. Die meisten würden den Rechtsweg aus Kostengründen oder aufgrund der schwierigen Beweislage scheuen. Andrades: „Dabei reichen nach dem AGG Indizien aus, um eine Beweislastumkehr zu erreichen.“ So müsse der Arbeitgeber beweisen, dass es keine Diskriminierung gegeben hat.

Andrades rät allen Betroffenen, in einem Gedächtnisprotokoll den Diskriminierungssachverhalt festzuhalten. Außerdem sollte man E-Mails oder Schriftwechsel aufbewahren und Zeugen benennen, falls vorhanden. Je besser eine Diskriminierung dokumentiert sei, desto größer seien auch die Erfolgsaussichten einer Klage. In jedem Fall aber sollten sich Betroffene möglichst zeitnah beraten lassen, um keine Fristen zu versäumen. Wichtig sei die Beratung aber auch einem anderen Grund: „Wir dokumentieren Diskriminierungsfälle.“ Das sei ganz wichtig, um das Ausmaß des Problems zu aufzuzeigen.

Gesetzliche Kopftuchverbote färben ab
Viele Menschen hätten immer noch kein Unrechtsbewusstsein entwickelt. Vielen sei nicht einmal klar, dass sie gegen Gesetze verstoßen. Nach Ansicht der ADNB-Rechtsexpertin kann man Diskriminierung allein mit dem AGG nicht verhindern. Die rechtliche Schiene sei nur ein Strang. „Der Staat muss aktiv werden und viel klarer auftreten, Beratungsstellen unterstützen und Aufklärungskampagnen starten“, fordert sie. Das sei zwar ein langer aber wichtiger Prozess.

Essenzielles Problem seien aber auch die gesetzlichen Kopftuchverbote für bestimmte Berufe im öffentlichen Dienst oder auch die Kirchenklausel im AGG. Danach dürften kirchliche Einrichtungen wie Krankenhäuser Menschen anderer Konfessionen ganz offen aufgrund der Religion ausgrenzen, ohne eine Sanktion befürchten zu müssen. „Ist das der richtige Weg? So etwas hat doch Signalwirkung auf die gesamte Gesellschaft“, stellt Andrades fest. Solche Verbote und Regelungen färbten ab, so wie im vorliegenden Fall.

AGG als Erziehungsprogramm
Der angeklagte Zahnarzt hatte die Ablehnung der Bewerberin aufgrund ihres Kopftuches zugestanden, sah darin aber keine Diskriminierung. Er allein könne bestimmen, wer in seiner Praxis arbeitet. Deshalb begrüßt Zülfukar Çetin, Vorstandsmitglied des TBB, neben dem Urteil auch die klaren Worte, die der Richter gefunden hat: Dass der Richter im AGG einen Versuch eines „gesellschaftlichen Erziehungsprogramms“ sieht, ist ein großer Schritt in Richtung einer Antidiskriminierungskultur.“