Rabbiner zum Beschneidungsurteil

„Schwerster Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust“

Die Europäische Rabbinerkonferenz ruft die jüdischen Gemeinden auf, die religiöse Beschneidung trotz des Kölner Urteils fortzuführen. Deutschland habe sich verpflichtet, die jüdischen Gemeinden wiederaufzubauen. Ohne Beschneidung gehe das nicht.

Die Europäische Rabbinerkonferenz hat die jüdischen Gemeinden in Deutschland aufgerufen, die religiöse Tradition der Beschneidung von Jungen trotz des Kölner Urteils fortzuführen. Ein Verbot wäre ein „fundamentales Problem für die weitere Existenz der jüdischen Gemeinden“ in Deutschland, sagte der Präsident der Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, am Donnerstag in Berlin. Orthodoxe Rabbiner aus mehr als zehn europäischen Ländern hatten seit Dienstag über Konsequenzen aus dem Kölner Urteil beraten.

Die Beschneidung sei ein Grundgesetz der jüdischen Religion. Sollte das Kölner Urteil zum Maßstab werden, gebe es für den größten Teil der jüdischen Gemeinden in Deutschland „keine Zukunft“, gab Goldschmidt, zu bedenken. Es herrsche Konsens unter allen Juden, dass die 4.000-jährige Tradition nicht zur Disposition stehen könne.

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Teil eines Angriffs auf religiöse Minderheiten
Der Gesetzgeber sei gefordert, eine schnelle Lösung herbeizuführen. „Keiner von uns kann warten, bis Karlsruhe entscheidet“, sagte der Rabbiner Avichai Apel von der orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland. Dieses Urteil sei der schwerste Angriff auf jüdisches Leben in Deutschland seit dem Holocaust. Das würde einen „kompletten Wandel“ der deutschen Nachkriegspolitik bedeuten. Dabei habe sich Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg verpflichtet, die jüdischen Gemeinden wieder aufzubauen. Sollte das Urteil aber Bestand haben, „sehe ich für die Juden in Deutschland keine Zukunft“, so Goldschmidt.

Das Urteil sei Teil einer Folge von Angriffen auf religiöse Minderheiten in Europa, sagte Goldschmidt nach einer Sitzung von rund 40 europäischen Rabbinern. Dazu gehörten die Einschränkungen für den Minarettbau in der Schweiz, das Burkaverbot in Frankreich sowie das Schächtverbot in den Niederlanden.

Urteil ist maximale Ausgrenzung
Beruhigend sei allerdings die Ankündigung des deutschen Botschafters in Israel. Die Bundesregierung werde alles tun, um eine gesetzliche Basis dafür zu schaffen, dass die Religionsfreiheit in Deutschland weiter gewährleistet wird. Danach schaut es derzeit auch aus. So zeigte sich etwa Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) am Mittwochabend in Bückenburg entschlossen: „Wir dürfen uns nicht angewöhnen, zu meinen, erlaubt sei nur das, was allen plausibel erscheint.“ Man müsse lernen, auch das zu respektieren, was einem selbst fremd sei. „Was manchen nicht plausibel erscheint, ist anderen heilig“, so Schavan.

Gegen das Kölner Landgerichtsurteil stellte sich am Donnerstag auch der niedersächsische Hartmannbund der Ärzte. „Eine bisher allgemein akzeptierte religiöse Handlung von Minderheiten unter Strafe zu stellen, stellt das Maximum an Ausgrenzung dar, das denkbar ist“, sagte Bernd Lücke, Chef des Hartmannbundes Niedersachsen. Es sei legitim, wenn Eltern ihren Kindern die Zugehörigkeit zur eigenen Religionsgemeinschaft ermöglichen wollten. Sonst müssten künftig auch kosmetische Operationen von „Segelohren“ unterbleiben, argumentiert der Ärztebund weiter. Auch diese seien medizinisch nicht notwendig.

In der kommenden Woche ist ein Trialog-Treffen zwischen der Deutschen Bischofskonferenz, Juden und muslimischen Geistlichen in Stuttgart geplant. (eb)