NSU-Ausschuss

Sebastian Edathy: „Rechtsextreme Gefahr unterschätzt“

Wieso blieb das Zwickauer Terror-Trio von den Sicherheitsbehörden jahrelang unentdeckt? Welche Rolle spielten die V-Leute? Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses Sebastian Edathy.

Wie sehr ist das Vertrauen in den Verfassungsschutz erschüttert?

Sebastian Edathy: In einer Demokratie muss immer gewährleistet werden, dass das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates intakt ist. Dieses Vertrauen hat gelitten. Unsere Sicherheitsbehörden waren offenkundig nicht in der Lage, einer Terrorbande auf die Spur zu kommen, die über zehn Jahre lang raubend und mordend durch die Republik gezogen ist.

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Konnte der Verfassungsschutzpräsident Licht ins Dunkel bringen?

Edathy: Die Befragung von Heinz Fromm hat gezeigt, dass die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden in Deutschland in keinem guten Zustand ist. Beispielsweise wusste der Bundesverfassungsschutz bei seinen Operationen gegen die Neonazi-Szene in Thüringen nicht, welche Neonazis vom thüringischen Verfassungsschutz als V-Leute geführt werden.

Solche Missstände führen dazu, dass eine effektives Zusammenwirken im Interesse der öffentlichen Sicherheit erschwert wird.

Stichwort „Operation Rennsteig“. Der Rennsteig war mir bisher nur als Thüringer Wanderweg bekannt. Worum ging es bei dieser Operation? Konnte Herr Fromm etwas dazu sagen – auch zur Rolle des Bundesamtes sowie der Landesämter?

„Man hat schlichtweg die Gefährdung durch einen zunehmend gewaltbereiter werdenden Rechtsextremismus unterschätzt.“

Edathy: Bei der sogenannten „Operation Rennsteig“ ging es darum, sich zwischen 1997 und 2003 Informationen über die Neonazi-Szene in Thüringen zu verschaffen – insbesondere über den sogenannten „Thüringischen Heimatschutz“. Beteiligt waren neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz das Landesamt in Thüringen sowie der Militärische Abschirmdienst, also der Nachrichtendienst der Bundeswehr. Letzteres war der Fall, weil etliche der jungen Männer, die im „Thüringischen Heimatschutz“ aktiv waren, Wehrpflichtige waren.

Wir haben uns bisher nur ein Bild verschaffen können von den Aktivitäten des Bundesamtes. Das Bundesamt hat 49 Neonazis aus dem Bereich dieser Kameradschaft als mögliche V-Leute ins Auge gefasst. In vielen Fällen ist davon Abstand genommen worden, am Ende wurden acht Personen als V-Leute gewonnen.

Es stand der Verdacht im Raum, dass sich unter diesen acht Personen Leute aus dem Umfeld der Terroristen oder sogar Mitglieder der Terrorzelle selber befunden hätten. Ich habe selber alle vorhandenen Akten mit den Klarnamen der Betroffenen gesichtet. Sie sind nach Auskunft der Behörde jedenfalls hinsichtlich der Personenangaben vollständig. Wenn das stimmt, kann man sagen, der Verdacht war unbegründet, die einschlägigen Namen tauchen nicht auf.

Und was ist mit den V-Leuten des Militärischen Abschirmdienstes und des thüringischen Verfassungsschutzes?

Edathy: Wir müssen als Ausschuss die Unterlagen zu V-Leuten im Bereich des thüringischen Landesamtes für Verfassungsschutz und des Militärischen Abschirmdienstes vorgelegt bekommen.

Uns ist zugesichert worden, dass wir diese Informationen auch erhalten. Erst dann können wir uns ein abschließendes Bild zur „Operation Rennsteig“ machen.

Die bisher bekannt gewordenen Pleiten und Pannen offenbaren zahlreiche Schwächen bei der Zusammenarbeit vom Bundesamt für Verfassungsschutz und den Landesämtern. Hat der Verfassungsschutzpräsident aufklären können, wo Informationen nicht weiter gegeben wurden?

Edathy: Das Bundesamt ist über eine Reihe von Erkenntnissen aus dem Bereich der Landesämter nicht informiert worden. Beispielsweise darüber, dass dem Landesamt in Thüringen bekannt war, dass der NSU die rechte Szene eine Weile nach dem Untertauchen wissen ließ, das Trio sei jetzt finanziell unabhängig.

Heinz Fromm hat gesagt, das hätte möglicherweise die Alarmglocken im Bundesamt klingeln lassen. Das hätte als Indiz interpretiert werden können, dass die Gruppe zwischenzeitlich durch Straftaten zu Geld gekommen ist.

Heute wissen wir, genauso war es: Sie hatten angefangen, Banken auszurauben.

Sie werfen dem heutigen hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier vor, zu seiner Zeit als hessischer Innenminister im Jahr 2006 die Ermittlungen gegen einen Beamten des Landesverfassungsschutzes Hessen nach dem NSU-Mord in Kassel behindert zu haben. Worum geht es genau?

Edathy: Wir haben in einer der letzten Sitzungen den Leiter einer hessischen Polizei-Sonderkommission als Zeugen vernommen. Dieser war mit der Aufklärung des Mordes an Halit Yozgat 2006 in Kassel beauftragt. Dieser Mord ist Bestandteil der Serie, die heute dem NSU zugerechnet wird. Der Beamte hat sich bitter beklagt, dass seine Arbeit durch den hessischen Verfassungsschutz behindert worden sei. Und das mit Billigung des damaligen Innenministers und heutigen Ministerpräsidenten Bouffier!

„Polizei und Staatsanwaltschaft wollten V-Leute vernehmen… Diesen V-Mann zu vernehmen, ist vom hessischen Verfassungsschutz abgelehnt worden. Und zwar mit dem unglaublichen Argument, wenn es sich ’nur‘ um ein Tötungsdelikt handele, sehe man sich nicht zur Kooperation … verpflichtet.“

Damals galt ein hessischer Verfassungsschutzbeamter als Mordverdächtiger. Heute wissen wir, das war eine falsche Vermutung. Polizei und Staatsanwaltschaft wollten V-Leute vernehmen, die von diesem Beamten geführt worden sind. Einer der V-Leute gehörte der rechtsextremen Szene an. Und mit diesem hat der Verfassungsschutzbeamte, der am Tatort war, am Tag der Tat nachweislich telefoniert.

Diesen V-Mann zu vernehmen, ist vom hessischen Verfassungsschutz abgelehnt worden. Und zwar mit dem unglaublichen Argument, wenn es sich „nur“ um ein Tötungsdelikt handele, sehe man sich nicht zur Kooperation mit Polizei und Staatsanwaltschaft verpflichtet.

Dieser Streit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft auf der einen und dem hessischen Verfassungsschutz auf der anderen Seite wurde dem damaligen Innenminister Bouffier zur Entscheidung vorgelegt. Und der hat sich auf die Seite des Verfassungsschutzes gestellt. Der Eindruck, der sich aus den Akten ergibt und den der Soko-Leiter im Untersuchungsausschuss bestätigt hat ist, dass Herr Bouffier dem Quellenschutz seines hessischen Nachrichtendienstes einen höheren Stellenwert beigemessen hat als dem rechtsstaatlichen Interesse an Ermittlung und Strafverfolgung in einem Mordfall.

Hessens Ministerpräsident Bouffier hält die Vorwürfe für Unsinn…

Edathy: Herr Bouffier wird sich dazu am 28. September im Untersuchungsausschuss zu äußern haben. Vorher werden wir den damaligen Direktor des hessischen Verfassungsschutzes vernehmen.

Wie gesagt, der damals zuständige Polizeibeamte hat bereits ausgesagt. Und er hat so ausgesagt, wie ich es eben geschildert habe. Wenn der Vorwurf Unsinn wäre, hätte der Zeuge gelogen und zudem wären die Akten unrichtig.

Heinz Fromm leistete im Jahr 2006 erbittert Widerstand gegen den damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, als dieser die Abteilung Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit der Abteilung Linksextremismus zusammenlegen ließ. Hat der Verfassungsschutzpräsident Aussagen gemacht, inwieweit dies das Bundesamt im Kampf gegen den Rechtsextremismus geschwächt hat?

Edathy: Die Zusammenlegung der Abteilungen für Links- und Rechtsextremismus beim Bundesamt für Verfassungsschutz war ein Fehler. Die Entscheidung ist damals von Schäuble politisch gewollt gewesen – gegen den fachlichen Rat unter anderem von Heinz Fromm. Mittlerweile wurde dieser Fehler korrigiert.

Fairerweise muss man dazu sagen, dass zu dem Zeitpunkt der Zusammenlegung bereits etliche Morde geschehen waren. Ich würde deshalb nicht die These vertreten, man hätte dem Trio ohne diese Fehlentscheidung eher auf die Spur kommen können. Das vermute ich ausdrücklich nicht.

Mein Eindruck ist, dass die Defizite an zwei Stellen zu finden sind: Zum einen an den Unzulänglichkeiten, was die Kooperation der Sicherheitsbehörden betrifft. Zum anderen an dem, was Herr Fromm in seiner Vernehmung selber als „Borniertheit“ bezeichnet hat: Man hat schlichtweg die Gefährdung durch einen zunehmend gewaltbereiter werdenden Rechtsextremismus unterschätzt.