„Man soll das Vaterland nicht mehr lieben als einen Menschen“, schreibt der schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt. Besonders jetzt zur EM sieht man die Innenstädte, Autos und Menschen in eine schwarz-rot-gelbe Pracht gehüllt. Alles eigentlich kein Problem. Denn der Patriotismus ist das Gegengift zum Nationalismus. Während nach Ernest Gellner der Nationalismus „auf der Annahme beruht, dass soziale Bindung von kultureller Übereinstimmung abhängt“, sieht dagegen der Patriotismus oder die Vaterlandsliebe das Gemeinwohl und nicht das Gruppeninteresse im Vordergrund eines gesellschaftlichen Handelns.
Ausschließungspraktik
Die Tageszeitung „Die Welt“ hat gestern in ihrer Onlineausgabe einen Artikel mit dem Titel „Antideutsche erklären dem Patriotismus den Krieg“ veröffentlicht. Darin sieht der Autor es vor allem als problematisch an, dass sich Migranten nur scheinbar patriotisch zeigen, indem sie Deutschlandtrikots anziehen und Fahnen auf die Wangen malen würden. Dies bezeichnet der Autor als „Integration per Farbstrich“. Er erwartet indes ein tieferes Bekenntnis zur Geschichte und Tradition des eigenen Landes, er will daher, dass man in den „Kern der Nation“ vordringt oder zu ihrem „Wesen“.
Damit vertritt der Autor jedoch, wissentlich oder unwissentlich, eine Ausschließungspraktik. Denn der Kern oder das Wesen einer Nation wird immerzu kulturalistisch definiert. Doch was sollte ein eng kulturalistisch geprägtes Verständnis von einer Nation anderes bewirken, als Menschen auszuschließen? Hier gilt: Das schnellste Tier, das zum Ausschluss führt, bleibt der Rassismus, der gleichsam ein Bruder des kulturalistisch verstandenen Patriotismus ist.
Vor diesem Hintergrund ist auch seine Argumentation zu verstehen, wenn er der Antifa, Grünen Jungend und den Migranten vorwirft, nicht an die Fahne zu glauben, sondern nur an „etwas, zu dem man sich kurzfristig mit dem Kauf eines T-Shirts bekennt und eben nicht via Geburt oder Pass erwirbt“. Er nennt es den „warenhaften Charakter der Nationalmaskerade“, den auch junge Migranten für sich nutzen würden.
Verfassungspatriotismus als besserer Weg
Die Frage nach dem Wesen und dem Kern der Nation, die der Autor aufstellt, ist zugleich jedoch eine höchst gefährliche Herangehensweise, wie übrigens bereits die Geschichte gezeigt hat. Vielmehr tut es daher Not, eine nicht-kulturalistische Form des Patriotismus zu vertreten, die pragmatisch das friedliche Zusammenleben und das Wohl der gesamten Gemeinschaft zum Ziel hat. Und das ist einzig durch einen Verfassungspatriotismus zu gewährleisten. Aus diesem Blickwinkel wäre es dann auch leichter und voruteilsfreier zu verstehen, dass auch ein Migrant Fahnenstriche auf sein Gesicht malt, Fahnen am Auto befestigt oder Deutschlandtrikots trägt.
Den Verfassungspatriotismus skizziert indes der Politikwissenschaftler Dolf Sternberger am eindrucksvollsten, wenn er schreibt: „Wenn mich die Geburt oder meine freie Erziehung mit einem Staat vereinigen, dessen heilsamen Gesetzen ich mich unterwerfe, Gesetzen, die nicht mehr von meiner Freiheit entziehen, als zum Besten des ganzen Staates nötig ist, alsdann nenne ich diesen Staat mein Vaterland.“
Ich für meinen Teil kann dieses Land mit ruhigem Gewissen als mein Vaterland bezeichnen. Eine Liebe zum Vaterland folgt daraus jedoch noch nicht, sondern ein klares Bekenntnis zu den Grundlagen der Gesellschaft und den Grund- und Menschenrechten. Denn meine ganze Liebe gehört bereits einer besonderen Tochter dieses Landes. Und das ist auch gut so.