Christa Preissing auf der Inklusionsfachtagung von Kinderwelten im Herbst 2011
Im April 2012 jährt sich die Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) zum zwanzigsten Mal. Doch auch nach 20 Jahren UN-KRK haben in Deutschland Kinder ohne deutschen Pass, insbesondere wenn sie keinen Aufenthaltstitel besitzen, häufig Schwierigkeiten, ihre Rechte aus der Konvention in Anspruch zu nehmen. Und das, obwohl die dort verbrieften Rechte ausnahmslos für alle Kinder gelten. Asylsuchende und geduldete Kinder sind in etlichen Bereichen benachteiligt und illegalisierten Kindern bleibt der Zugang zu den grundlegendsten Rechten verwehrt.
Besonders betroffen sind davon rund 16.000 Kinder. Sie warten auf eine Entscheidung im Asylverfahren. Daneben gibt es nach Schätzungen 3.000 bis 6.000 Kinder, die ohne Eltern als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland leben und die zum Teil ebenfalls keinen festen Aufenthaltsstatus haben. Unter einem unsicheren Status und den damit einhergehenden besonderen Einschränkungen leiden etwa 24.000 minderjährige „geduldete“ Kinder und Minderjährige ohne legalen Aufenthaltsstatus, zu deren Anzahl es keine fundierten Schätzungen gibt.
Fluchtgründe
Viele Flüchtlingskinder leben hier, weil in ihren Ländern Diktaturen, Bürgerkrieg und Terror herrschen oder sie aus politischen, ethnischen oder religiösen oder geschlechtsspezifischen Gründen verfolgt wurden. Sie sind Opfer von Kinderhandel oder Zwangsprostitution geworden oder wurden als Kindersoldatinnen und -soldaten ausgebeutet.
Inklusion darf Flüchtlingskinder nicht vergessen
Die Zukunftsvision einer inklusiven Gesellschaft, die auf der Grundlage von Werten wie Gleichheit, Rechten, Teilhabe, Lernen, Gemeinschaft, Anerkennung von Vielfalt, Vertrauen und Nachhaltigkeit basiert (Tony Booth), muss sich auch mit den Rechten von Kindern auf der Flucht befassen und zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen beitragen. „Kinderrechte sind die Rechte aller Kinder, auch der Kinder auf der Flucht. Sie sind sogar ganz besonders die Rechte der Kinder, die außerhalb ihres Herkunftslandes, ihrer Sprachgruppe und ihrer Kultur ihren Weg suchen müssen, denn sie sind noch mehr darauf angewiesen, dass ihr Wohl gewahrt, ihre Stimme gehört und ihre Entwicklung gefördert wird. Sie brauchen uns, unser Vertrauen und unser Eintreten für ihre Rechte, “ so Lothar Krappmann, Schirmherr der Kampagne „Jetzt erst Recht(e) für Flüchtlingskinder!“
Das Recht auf Familie – in Deutschland verwehrt
Jedes Kind muss bis es Erwachsen ist das Recht haben, auf ein Leben in seiner Familie – unabhängig davon, ob die bereits in Deutschland lebenden Familienmitglieder über genügend Wohnraum verfügen und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können. Zudem werden Familien auch in Deutschland durch Residenz- oder Wohnpflicht getrennt.
Kinder, die allein nach Deutschland reisen, brauchen sofortigen Schutz und eine kindgerechte Unterstützung. Das schließt mit ein, dass die Kinder nicht in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben müssen.
Kinder müssen auch, so Pro Asyl, auf das Asylverfahren vorbereitet werden – kultursensibel und geschlechterreflektiert. Sie brauchen eine rechtliche Beratung durch Fachleute. Sie benötigen Beistand – auch über das 16. Lebensjahr hinaus.
Das Recht auf Bildung – in Deutschland verwehrt
Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung – ganz gleich welchen Ausbildungsstatus es hat. Das beinhaltet, dass die Bildungseinrichtungen – Kindergärten, Schulen, Sprachlernkurse – den Kindern örtlich zugänglich sind und Kinder mit Lehrmitteln ausgestattet werden. „Die Politik fordert von Einwanderern, sich zu integrieren, Deutsch zu lernen und gute Bildungsabschlüsse zu machen. Gleichzeitig zwingt man Flüchtlingskinder in die Isolation. Das ist widersinnig“, so Günter Burkhardt, Vorstand der STIFTUNG PRO ASYL.
Die Kampagne: Jetzt erst Recht(e) für Flüchtlingskinder! Ziel der Kampagne von AWO, Pro Asyl und vielen anderen Trägern ist es, ein Jahr lang mit kreativen Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit und politischem Druck Gesetzesänderungen und konkrete Verbesserungen für Flüchtlingskinder in Deutschland zu erreichen. Denn obwohl die Bundesregierung im Juli 2010 offiziell den seit 18 Jahren bestehenden Vorbehalt zur UN-Kinderrechtskonvention zurückgenommen hat, werden Flüchtlingskinder im Vergleich zu Kindern mit deutschem Pass weiterhin massiv benachteiligt. Weitere Informationen unter www.jetzterstrechte.de
Das Recht auf ein Leben ohne Armut – in Deutschland verwehrt
Seit langem kritisieren Verbände das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) aus dem Jahr 1993, das Asylsuchende und Geduldete aus der Sozialhilfe und der Grundsicherung für Arbeitssuchende ausschließt. Sie erhalten weniger als zwei Drittel der Leistungen für Sozialhilfeempfänger. „Um die Ausgrenzung und Chancenlosigkeit zigtausender Asylsuchender, Geduldeter und Bleibeberechtigter zu beenden, muss das diskriminierende Leistungsgesetz endlich abgeschafft werden“, fordert der AWO Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler. Das AsylbLG und weitere Regelungen bewirken, dass Kinder in Deutschland unter Bedingungen heranwachsen, die ihnen elementare Lebenschancen vorenthalten. Eine gesunde Entwicklung ist so nicht möglich! Kinder haben nur bei einer akuten Erkrankung oder Schmerzen das Recht auf medizinische Behandlung. Brillen, Hörgeräte, Zahnspangen, Rollstühle oder die Behandlung schlecht verheilter Knochenbrüche werden in der Praxis nicht oder nur nach zähen Verhandlungen gewährt.
Das Recht auf ein Zuhause – in Deutschland verwehrt
Die meisten Flüchtlingskinder müssen in Deutschland in einer ersten längeren Phase in Gemeinschaftsunterkünften leben. Dort aber herrschen Bedingungen, die die grundlegenden Bedürfnisse von Kindern massiv einschränken: keine Rückzugsmöglichkeit, schlechte hygienische Zustände, ständige Unruhe. Immer wieder geraten Jugendliche, die im Asylverfahren sind, in Abschiebehaft, damit sie reibungsloser abgeschoben werden können.
Das Recht hier zu bleiben – in Deutschland verwehrt
Rund 12 000 Roma, Ashkali und Kosovo-Ägypter sollen in den kommenden Jahren ausreisen – ein Abkommen der Bundesregierung und der kosovarischen Regierung. 5 000 Betroffene sind minderjährig. Fast zwei Drittel von ihnen sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Das Kindeswohl wurde in diesen Fällen wohl kaum geprüft. Denn auf die meisten Roma-Kinder warten im Kosovo materielle Armut, Sprachbarrieren und Diskriminierung. Eine Schule können sie laut einer UNICEF-Studie kaum mehr besuchen, Schulzeugnisse aus Deutschland fehlen, durch fehlende Geburtsurkunden bleiben sie im Kosovo unregistriert. „Wenn die theoretischen Rechte für Kinder in der Realität für Flüchtlingsfamilien nicht gelten, muss etwas getan werden. Statt symbolischer Gesten muss das reale Kindeswohl nach Jahren der Vernachlässigung endlich wieder in den Blick der Behörden geraten“, so Heiko Kauffmann von PRO ASYL.