Johnny Van Hove: Das Medienmagazin ZAPP der ARD zeigte vor einigen Wochen, wie Schwarze Deutsche Schauspieler_innen hauptsächlich für exotische, migrantische oder kriminelle Rollen in öffentlichen Fernsehserien gecastet werden. Ist der Umgang der Medien mit Ihnen ähnlich stereotyp und kolonialistisch geprägt?
Noah Sow: Der Umgang der Dominanzgesellschaft mit People of Color (PoC) ist ganz grundsätzlich davon geprägt, wie diese gelernt hat, uns wahrzunehmen. Nämlich als Vertreter_innen eines Kollektivs, gefährlich, übersexualisiert, fremd, als zu betrachtende oder zu bevormundende Objekte und so weiter. Das schlägt sich in Begegnungen mit den meisten Menschen nieder, selbstverständlich auch mit denjenigen, die in den Medien arbeiten.
Wie schätzen Sie den ZAPP-Beitrag im Allgemeinen ein? Too little, too late? Oder als ein positives Zeichen für eine gesteigerte Sensibilität in Bezug auf dominante Diskurse innerhalb der öffentlichen Sender?
Sow: Ich finde es positiv, dass der ZAPP-Beitrag entstanden ist und gesendet wurde, und denke, dass die politische und soziale Bildungsarbeit der letzten Jahrzehnte wohl auch nicht an hundert Prozent der Medienschaffenden spurlos vorübergegangen ist. Aber nach wie vor werden Themen aus dem Diskriminierungsspektrum Rassismus medial noch oft als „Probleme“ der „Betroffenen“ verhandelt. Betroffen sind in einem System der Ungleichbehandlung jedoch immer alle, nicht nur die Benachteiligten. Und insbesondere die, denen daraus Vorteile entstehen, gewollt oder ungewollt. Ich habe den Eindruck, dass diese Tatsache ganz langsam zunehmend in solchen Beiträgen anklingt, zumindest gesagt werden kann ohne komplett herausgeschnitten zu werden. Mir zeigt das, dass wir uns möglicherweise als Gesellschaft entwickeln: weg vom „wir Weißen gegen die Schwarzen“ hin zu einem „wir Leute, die wir alle keine Lust auf Diskriminierung haben und gemeinsam etwas verbessern wollen – gegen die unsympathischen Besitzstandswahrenden“. Das hoffe ich zumindest. Ich bin im Grunde Romantikerin.
PoC sind äußerst unterrepräsentiert an relevanten Positionen in den Redaktionen. Wer sind denn eigentlich die dominanten Gruppen in den Medien?
Noah Sow (1974) ist Autorin, Musiker- in, Aktivistin, Medi- en kritikerin, Produ- zentin und Künstler- in, die sich intensiv in unterschiedlichen Projekten der Anti- rassismus-Arbeit engagiert. 1990 bis 2007 war sie als Moderatorin, Produ- zentin, Redakteurin im Radio und TV tätig. 2001 war sie Mitglied der Jury in der Casting-Show Popstars, stieg aller- dings während der Staffel aus, weil sie den von einem ihrer Ansicht nach „un- möglichen Mensch- enbild“ geprägten Umgang mit den Kandidaten nicht mittragen wollte. Sie ist Gründerin und Vorsitzende des media-watch-Vereins der braune mob. 2008 veröffentlichte sie das Buch: „Deutschland Schwarz Weiss“
Sow: Die dominanten Gruppen sind überall dieselben. Für jede Rolle, jede Wohnung, jeden Arbeitsplatz, die eine PoC aus rassistisch motivierten Gründen nicht bekommt, wird letztlich eine weiße Person bevorzugt. Vor allem mit Blick auf Institutionen ist es wichtig, sich dessen bewusst zu sein, unter anderem auch, damit ein Grundverständnis von „Rassismus“ überhaupt erst entwickelt werden kann. Der ist nämlich entgegen landläufiger Meinung keine „Einstellung“ oder bösartige Handlung, sondern ein System, in dem die Gruppe der PoC konsequent und automatisch benachteiligt und die Gruppe der weißen Deutschen ebenso systematisch bevorzugt wird. Da dies momentan noch der Status Quo in der BRD ist, durchzieht er auch alle möglichen Systeme, Einrichtungen und Institutionen. Sogar die meisten „Antirassismusbeauftragten“, jedenfalls die, die Geld dafür bekommen, sind weiß.
Warum sollten dominante Gruppen sich überhaupt für Gleichberechtigung interessieren? Lohnen tut sich das ja ganz offensichtlich nicht für sie.
Sow: Es gibt vielfältige positive Anreize, auch für Angehörige der Dominanzkultur, Gleichberechtigung und Gleichbehandlung anzustreben. Vorteile sind zum Beispiel, dass die eigene Würde dadurch wiedergewonnen wird, da das Erreichte sich nicht auf Ungleichbehandlung stützt. Andere Vorteile: Eine unvorbelastete Interaktion wird möglich, die Selbstwahrnehmung wird weniger fremdgesteuert, der eigene Horizont wird immer mehr erweitert, Schuldgefühle werden weniger, und Energie, die zuvor in Abwehr gesteckt wurde, wird frei, z.B. für Kreativität. Erreicht werden kann das durch das bewusste Aufgeben von Privilegien. Zum Beispiel: nicht zwanghaft immer und überall das letzte Wort zu allen interkulturellen Themen haben zu wollen, oder sich nicht trotz mangelnder dekolonialer Bildung als allwissend zu imaginieren.
Unparteilichkeit und Objektivität bleiben bei vielen Journalist_innen – zumindest in der Rhetorik – ein zentrales Anliegen. Warum, denken Sie, beharren so viele Medienschaffenden auf ihre vermeintliche Neutralität?
Sow: Die Objektivitäts- und Neutralitätsmythen sind wichtige Bausteine von white Supremacy. Wenn ich mich hinter einer solchen Position, die ja immer auch als übergeordnet gilt, verstecken kann, kann ich Menschen oder Geschehen einordnen, ohne dass das Ganze auf mich zurückfällt. Natürlich gibt aber in Wirklichkeit kein Mensch die eigene Sozialisierung und das bisweilen stark eurozentrisch geprägte Weltbild an der Redaktionstüre ab.
Viele Journalist_innen tun und glauben trotzdem, dass ausgerechnet ihnen dieses Zauberstück gelingen könnte…
Sow: Ich glaube eigentlich, dass niemand sich wirklich einbildet, objektiv zu sein, sondern dass vielmehr gelernt wurde, dass es als Schutzbehauptung, als Abwehr, als Rechtfertigungsformel funktionieren kann. Auf dem anderen Ende der Wippe werden Ge-anderte üblicherweise als befangen, betroffen, nicht-objektiv empfunden. Ihre Positionen im Diskurs können dementsprechend abgetan oder zumindest als etwas eingestuft werden, was unbedingt nur eine „persönliche Meinung“ sei. Da bei Ungleichheit, wie ich eben schon erwähnte, immer alle betroffen sind, können wir die Denkfehler „Neutralität“ „Unparteilichkeit“ und „Objektivität“ jetzt aber ruhig langsam streichen.
Sie plädieren für das Offenbar-machen der eigenen Position in der journalistischen Arbeit. Was sind die Vor- und Nachteile für die Medienmacher_innen und Mediennutzer_innen?
Sow: Eine Positionierung ist wichtig, vor allem ausgehend von Angehörigen der Dominanzkultur, eben weil sie dadurch die Chance haben, das Privileg aufzugeben, sich hinter einer imaginierten „Neutralität“ zu verstecken. Nebenbei kommunizieren sie dadurch dann auch, dass sie die Zuhörenden oder Lesenden mit Marginalisierungshintergrund als Rezipierende mitdenken, was leider noch selten der Fall ist. In dem Moment, in dem die Sprechenden und Schreibenden ehrlich zugeben, dass sie ebenfalls eine Perspektive haben – z.B. eine männliche, heterosexuelle, weiße und so weiter – fällt der Claim weg, allwissend zu sein und wird die Positioniertheit, die sowieso besteht, hör- und sichtbar. Somit kann das Ganze dann auch als zugewandte Geste verstanden werden: „Ich beharre nicht darauf, dass ich alles einschätzen kann und über alle denkbaren Perspektiven verfüge. Ich erkenne an, dass das nicht die einzige Sicht der Dinge ist, dass ich über bestimmte Erfahrungen nicht verfüge, sondern eben nur über meine.“
Kann der Journalismus, der eingesteht subjektiv zu sein, noch ernst genommen werden?
Sow: Die Positionierung macht den Journalismus gerade besonders seriös, also gibt es diesbezüglich eigentlich nur Vorteile. Nachteile fallen mir nur ein in der Gemengelage „Ego – Herrschaftsanspruch – Versteckenwollen – Angst vor Angreifbarkeit“. Alles Dinge, die zum diskriminierenden Status Quo führten und seiner Erhaltung dienen. Und nicht gerade professionell sind.
Inwieweit werden die Rassismen vieler Massenmedien durch wirtschaftliche Sachzwänge – wie beschränkte Zeitressourcen, Quotenorientierung vieler Medien – zusätzlich befördert? Was müsste sich auf struktureller Ebene tun?
Sow: Die „Wirtschaftlichkeits-“Ausrede zur Abwehr dekolonialer Bildung funktioniert schon allein aus demografischen Gründen nicht. Außerdem kommt es auch nicht von ungefähr, dass deutsche Medien im Ausland oft ausgelacht oder mit großem Kopfschütteln betrachtet werden. Sich ins 21. Jahrhundert zu begeben, wie soll das wirtschaftliche Nachteile haben? Sobald mehr als die weißdeutsche Perspektive als souveräne Medienproduktion zugelassen wird, ergibt sich doch automatisch eine Fülle an Wissen, die anderweitig verschlossen bleibt. Dieses Wissen ist bereits vorhanden, wird medial jedoch noch zu oft als marginal betrachtet, und dann wieder nur aufbereitet für die Mehrheitsgesellschaft. Wenn hier Veränderung – und wieder geht es dabei vor allem um Privilegien- und Besitzstandswahrung – weiterhin verpasst wird, werden wir uns im Ausland noch mehr blamieren, die Kluft zwischen Medien und der Gesellschaft wird wachsen und die Abonnierenden und Zuschauenden irgendwann auf eine kleine reaktionäre Interessengruppe zusammengeschrumpft sein. Wenn Verleger_innen sich das wünschen, nun gut, bitte. Strukturell könnte man auf jeden Fall damit beginnen, mit der Praxis aufzuhören, dass nur weiße, zumeist männliche, Chef- und Schlussredaktionen verkraftet werden.
Sind, wie in den Vereinigten Staaten, gesetzlich verordnete Quoten eine Lösung, um den Ungleichgewichten im redaktionellen Personal entgegenzuwirken?
„Es gibt bereits Quoten in Deutschland, und diese lauten: ungeachtet der Proportionalitäten der Bevölkerung kommen 99% Weiße in Führungspositionen, 80% deutsche Männer. PoC sind idealerweise nur „Farbtupfer“ zum Angeben, aber wenn es geht in untergeordneten Positionen.“
Sow: Es gibt bereits Quoten in Deutschland, und diese lauten: ungeachtet der Proportionalitäten der Bevölkerung kommen 99% Weiße in Führungspositionen, 80% deutsche Männer. PoC sind idealerweise nur „Farbtupfer“ zum Angeben, aber wenn es geht in untergeordneten Positionen. Dass sich daran ohne eine Änderung dieser gesellschaftlich präsenten Quoten nichts ändert, sehen wir schon allein am Frauenanteil in Führungspositionen der größten Unternehmen. Seilschaften funktionieren nach wie vor hervorragend. Um diesen rückwärtsgewandten und unfairen Status Quo zu ändern, können Quoten ein erfolgreiches Mittel sein. Wäre unsere Gesellschaft fair, würde sich in jedem Job die Bevölkerung widerspiegeln. Da sie es nicht ist, müssen wir uns etwas überlegen, um dorthin zu gelangen. Freiwillige Selbstverpflichtungen haben bisher jedenfalls noch nicht viel gebracht.
Die redaktionelle Abwesenheit von PoC führt dazu, dass hauptsächlich weiße, deutsche Journalist_innen über PoC-Gemeinschaften berichten. Was halten Sie davon?
Sow: PoC sind keineswegs redaktionell abwesend und sie publizieren durchaus umfangreich zu diesen Themen. Wir sind aber zahlenmäßig unterrepräsentiert, und noch mehr ist es unsere Perspektive. Selbst wenn in einer Redaktion PoC arbeiten, bedeutet das noch lange nicht, dass deswegen dort geduldet wird, dass etwa ein weißdeutsch-dominantes Narrativ sich automatisch ändern würde. Dieser Alleinherrschaftsanspruch wird auch und gerade in Anwesenheit von PoC energisch verteidigt. Das bedeutet für PoC: Verhandlungszwang, Aufreiben und zusätzlichen Stress. Das Forschen und berichten über ge-Anderte, die man zuvor marginalisiert und über einen Kamm geschoren hat, hat in Deutschland und Europa Tradition, auch akademische und journalistische. Nur weil jetzt plötzlich eine PoC anwesend ist, bedeutet das nicht gleichzeitig die Bereitschaft, sich von diesen Mustern zu lösen.
Aber schaden würde es wirklich nicht, wenn mehr PoC Zugang zu den Redaktionen bekommen würden…
Sow: Natürlich sind Anwesenheit und Zugang Voraussetzungen dafür, zu partizipieren und eine Perspektivenvielfalt zu erreichen. Wenn das System jedoch starr bleibt, gelingt uns das nicht. Auch hier kann Privilegienverzicht ganz heilsam sein. Nur weil Günther sich 2 Wochen in Uganda aufgehalten und jetzt Lust hat, einen Artikel über die dort wohnenden alleinerziehenden Mütter zu schreiben, muss er nicht zwingend dergestalt beauftragt werden. Er könnte einen Artikel über Männermythen schreiben, und die Reportage über alleinerziehende Frauen in Uganda macht dann eine – Sie ahnen es – alleinerziehende Kollegin mit Background von dort, die diesbezüglich höchstwahrscheinlich über viel mehr Wissen und Einschätzungsfähigkeit verfügt.
Inwieweit können Dominanzgruppen überhaupt glaubhaft über andere Kulturkreise berichten?
Sow: Diese „Berichte“ dienen mehrheitlich einer Etablierung des „wir“-Konsens und der gegenseitigen Beruhigung. Sie sind im Subtext meistens Inszenierungen der eigenen (imaginierten) „Fortschrittlichkeit“ und „Zivilisiertheit“. Ganz traditionsgemäß. Glaubhaft sind die „Berichte“ über „Andere“ nur, weil bei solchen Märchenstunden die rezipierende Gruppe das Präsentierte glauben will. Dass ein solcher Blick erst mal defizitär ist, und dass das Gesehene dadurch weniger verstanden oder decodiert werden kann, ist klar. Bei uns steht noch zu regelmäßig im Vordergrund, etwas „fremdes“ erwartungsgemäß in eurozentrische Vorstellungswelten einzubetten, anstatt offen zu sein für das ganze Spektrum an Wissensproduktion. Das erklärt das vorherrschend einseitige Bild in Reportagen über „Afrika“, „den Islam“, generell alles was zuvor ge-andert wurde.
Was bringt die Zukunft, Ihrer Meinung nach? Sehen Sie vielversprechende Gleichberechtigungsansätze in den Medien?
Sow: Vielversprechende Ansätze sehe ich vor allem in der noch zu oft unbezahlten Aufklärungs- und Empowerment-Arbeit, die viele Einzelne leisten. Das Ganze verharrt momentan in einem Wischiwaschi der Freiwilligkeit. „Ja, wir wollen mehr Frauen in Führungspositionen, wissen aber nicht genau warum und verschieben das Thema auf die übernächste Aufsichtsratssitzung. Quotieren lassen wir uns schon mal gar nicht.“ Wer auf Bildung über Gleichberechtigung verzichten will, ist derzeit noch in der Mehrheit und kann bestens damit davonkommen. Die großen Anstrengungen, die sich diejenigen leisten, die aktiv für ein diskriminierungsfreies Leben kämpfen, müssen sich diejenigen nicht machen, die unabhängig von ihren persönlichen Überzeugungen oder Neigungen vom Status Quo profitieren. Sie könnten natürlich trotzdem etwas dafür tun. Auch „die Medien“ sind keine homogenen Gruppen. Sie bestehen aus einzelnen Menschen, die ein Gehirn und ein Interesse haben. Je mehr diese Einzelnen sich informieren, sich in einen Prozess hinein begeben, der sie sich selbst, die eigene Positioniertheit und die Auswirkungen auf die Allgemeinheit besser verstehen lässt, desto mehr kann sich zum Positiven verändern.
Frau Sow, herzlichen Dank für das Gespräch.