Spracherwerb kinderleicht

„Je jünger, desto besser“

Die Notwendigkeit ist bekannt: Kinder mit Migrationshintergrund sollen Deutsch sprechen. Doch wer bringt es ihnen bei und wie schwierig ist das? Die Sprachwissenschaftlerin Eva Breindl kennt die Probleme.

MiGAZIN: Frau Breindl, wie haben Sie eigentlich Deutsch gelernt?

Eva Breindl: Ich habe Deutsch spielerisch gelernt. Denn als Kind greift man auf angeborene Spracherwerbsmechanismen zurück. Darum ist es auch für Kinder mit Migrationshintergrund kein Problem, Deutsch als Zweitsprache zu erlernen. Je jünger die Kinder sind, desto besser.

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Heißt das, Kinder mit Migrationshintergrund sollten möglichst viel mit deutschen Kindern spielen?

Eva Breindl promovierte an der LMU München in Germanistik, Deutsch als Fremdsprache und Italianistik. Im Auftrag des bayerischen Kultusministeriums hat sie rumäniendeutsche Lehrer geschult. Besonders in ihrem Schwerpunkt Deutsch als Fremdsprache hat sie einige Veröffentlichungen zur Grammatik herausgebracht. Seit November 2010 ist sie Professorin für germanistische Linguistik mit Schwerpunkt Deutsch als Fremdsprache an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen.

Breindl: Ja, das ist sehr wichtig. Kinder, die hier in Deutschland aufwachsen und an der Gesellschaft teilhaben wollen, müssen selbstverständlich die Landessprache beherrschen. Das funktioniert vor allem dann, wenn sie der deutschen Sprache frühzeitig ausgesetzt werden. Der Kindergarten ist hierfür das ideale Umfeld. Bei einer normalen Entwicklung erlernen die Kinder die Zweitsprache bis zum Schuleintritt. Gerade der Erwerb der Grammatik verläuft in diesem Alter rasant.

Ist es dann für Kinder mit Migrationshintergrund besser, wenn auch zu Hause Deutsch gesprochen wird?

Breindl: Das muss nicht unbedingt sein. Wenn die Eltern keine Muttersprachler sind, besteht sogar die Gefahr, dass sich die Kinder gerade davon eine falsche Grammatik aneignen. Dabei funktioniert es wunderbar, wenn man eine Familiensprache hat, die nicht Deutsch ist. Denn Kinder sind mühelos dazu in der Lage, mehrere Sprachen gleichzeitig zu erlernen. Sie müssen dazu nicht komplett mit einer Sprache in Berührung kommen. Wichtig ist nur, dass das Kind in Situationen kommt, in denen es die Sprache sprechen muss.

Wie kommt ein Kind in solche Situationen?

Breindl: Dafür gibt es in Kindergärten sprachfördernde Maßnahmen. Geschultes Erzieherpersonal und Sprachpädagogen betreuen die Kinder in Kleingruppen.

Wie läuft diese Betreuung ab?

Breindl: Zunächst stellen Pädagogen fest, inwieweit die Kinder in ihrer sprachlichen Entwicklung fortgeschritten sind. Je nach Entwicklungsstand hilft man den Kindern die nicht vorhandenen Sprachkenntnisse auszubauen. Sie sollten in Situationen gebracht werden, in denen sie sich spielerisch verständigen müssen. Dabei ist besonders wichtig, dass das Sprachangebot vielfältig und individuell auf das Kind abgestimmt ist. Die Integration verläuft auf diese Art und Weise spielerisch – so wie es eigentlich sein sollte.

Können diese Aufgaben von einer Lernsoftware übernommen werden?

Breindl: Vielleicht kann eine Lernsoftware ein zusätzliches Angebot sein, um den Wortschatz auszubauen. Wozu sie sicherlich nicht taugt, ist die Förderung des ganzheitlichen Spracherwerbs, insbesondere der Grammatik. Ob man dreijährige Kinder überhaupt vor den Computer setzten sollte, halte ich für durchaus diskutabel. Für mich besteht die Gefahr, dass die Software als Beruhigungspille dient – ein Etikett „Wir tun ja was für die Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund“. Das könnte dazu verleiten, weniger Geld für Sprachförderung auszugeben.

Kinder müssen also individuell gefördert werden. Ist das bei Kindern mit Migrationshintergrund schwieriger als bei Deutschen?

Breindl: Nein, das kann man so nicht sagen. Die sprachliche Entwicklung hängt von vielen Faktoren ab, zu denen das Alter, die Familiensituation und die Familiensprache gehören. Auch die Umgebung, in der die Kinder leben, beeinflusst den Spracherwerb. Verzögerungen in der Sprachentwicklung sind ganz normal, da die Kinder eine Zweitsprache erlernen. Es ist auch völlig in Ordnung, wenn sie in diesem Alter die Sprachen vermischen. Die drei Jahre bis zum Schuleintritt reichen aus, dass die Satzstruktur in Ordnung ist. Einen umfangreichen Wortschatz und komplizierte Satzstrukturen müssen sich auch deutsche Kinder in diesem Alter erst noch aneignen.