Leos Wochenrückblick

Burka, Dänen, österreichische Muslime, Rechtspopulisten, Kopftücher

Grüne contra Burka, Dänen pro Grenzkontrollen, 18% Deutsche pro Rechtspopulismus, Augstein gibt contra, österreichische Muslime pro Integration, Türken pro und contra Kopftuch

Burkaverbot im Öffentlichen Dienst
Den Vorwurf, nun selber populistisch zu agieren, hat sich die Landtagsfraktion der Grünen Niedersachsen eingehandelt, als sie einen Beschluss gefasst hat, das Burkaverbot für den Öffentlichen Dienst zu unterstützen.

Den Fall findet man dargestellt im MiGAZIN, im Kommentaranhang darunter die hervorragend differenzierende Argumentation pro und contra des MiGAZIN-Lesers NDM. Am Ende schreibt er:

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Das bedeutet nun einmal auch, dass der Staat, also auch der öffentliche Dienst, nicht religionsbetont auftreten sollte. Das ist beim Gesichtsschleier in stärkstem Maße der Fall, aber nicht auf diesen beschränkt.

Ich hätte mir von den niedersächsischen Grünen daher gewünscht (und das würde ihnen entsprechen), dass die Unterstützung eines solchen Vorhabens an die Bedingung geknüpft wird, dass öffentliche Einrichtungen unterschiedslos von der Benutzung sämtlicher religiöser Symbole Abstand nehmen. Ganz oder gar nicht.

Ich stimme zu. Aber ich möchte NDM fragen:

Muss man auch das Kruzifix im Klassenzimmer, das Habit des katholischen Priesters, das sichtbare Kreuz vor der Brust des Lehrers, die Zeichen des orthodoxen Juden, das Kopftuch der muslimischen Frau, die gelbe Krawatte des FDPlers und den offenen Hemdknopf des Alternativen auf diese Stufe stellen und die „negative Religions- und Weltanschauungsfreiheit“ auch hier fordern?

Irgendwo wird man eine Grenze ziehen müssen. Aber wo? Und wie begründet man sie?

Dänemark und die Wiedereinführung der Grenzkontrollen?
Es ist wohl den Dänen selbst noch nicht ganz klar, was sie jetzt an den Grenzen machen werden – wie die „Zollkontrollen“ (die ja doch eigentlich die vom Schengener Vertrag abgeschafften Personenkontrollen bedeuten) nun durchgeführt werden können, so dass Dänemark nicht aus dem Schengener Abkommen fliegt und wieder Visumsland wird.

Spiegel Online gibt einen guten Überblick über den Stand der Dinge.

Der Standpunkt der Regierung in Kopenhagen lautet: Es liegt kein Verstoß gegen Schengen vor, weil es sich nicht um Polizei-, sondern um Zollkontrollen handelt. „Es wird keine Pass- oder Personenkontrollen geben“, sagte der dänische Minister für Integration, Sören Pind. „Wir haben viele Probleme mit grenzüberschreitender Kriminalität und wir denken, dass wir durch strengere Zollkontrollen innerhalb von Schengen in der Lage sein werden, einige dieser Probleme zu lösen.“ Ein Beispiel hat Pind auch parat: Etwa „wenn eine merkwürdige Anzahl von Menschen an Bord eines merkwürdig aussehenden Fahrzeugs“ auffalle.

Meines Wissens läuft das ohnehin auf allen wichtigen Straßen, in Deutschland jedenfalls – auch ohne Grenzkontrollen. Hat eigentlich in Dänemark in den letzten Jahren die Kriminalität zugenommen? Vermutlich nicht.

Grünen-Europaparlamentarier Daniel Cohn-Bendit sagt: „Man kann nicht durch irgendwelche absurden symbolischen Aktionen Gesetze umgehen.“ Die Dänen müssten sich jetzt entscheiden. „Machen sie Ernst mit den Grenzkontrollen, müssen sie raus aus dem Schengen-Raum. Dann brauchen sie selbst aber auch wieder Visa, wenn sie durch Europa reisen. Für jeden europäischen Staat eins.“

Möglicherweise braucht eine Hälfte der Europäischen Bürger aber erst einmal Anschauungsunterricht darüber, was sie verlieren würden, würde man Europa preisgeben.

Wie rechtspopulistisch sind wir?
Der Freitag hat eine Studie in Auftrag gegeben, die in Zahlen (PDF) deutlich machen soll, wie stark der Rechtspopulismus in Deutschland ist.

Hier in Prozent das Ja und das Nein zu den vier „rechtspopulistischen“ Positionen:

1. Deutschland gibt insgesamt zu viel Geld nach Europa: 70:26
2. Die Zuwanderung nach Deutschland sollte drastisch reduziert werden: 49:49
3. Der Islam ist mit unserem westlichen Lebensstil unvereinbar und eine Bedrohung unserer Werte: 38:59
4. Wir brauchen ein unabhängiges Deutschland ohne den Euro, in das keine Europäische Union hineinregiert: 30:68

Mir scheint, dass man hier zwei Einschränkungen machen sollte:
Die Formulierung der Positionen ist gemäßigt. Man kann auch unter Vorbehalt zustimmen – was viele tun, ohne in den rechtspopulistischen Fanatismus zu verfallen. Als rechtspopulistisch sollte man deshalb nur bezeichnen, wer der Aussage „voll und ganz“ zustimmt – und wer außerdem allen vier Aussagen zusammen zustimmt – erst in ihrer Kombination ergeben sie eine politisch identifizierbare Haltung.

Voll und ganz stimmen den vier Aussagen (in der obigen Reihenfolge) zu: 44% – 25% – 18% – 18%

Daraus schließe ich: Es sind dieser Studie gemäß nur maximal 18 Prozent, die in die Kategorie „rechtspopulistisch“ fallen.

Rechtspopulismus
Jakob Augstein stellt dennoch – angesichts der obigen Studie und dem rechtspopulistischen Trend in Europa – zurecht fest:

Die Parteien kommen ihrem Erziehungsauftrag nicht nach, den ihnen das Grundgesetz gibt: Mitwirkung an der politischen Willensbildung bedeutet auch, den Bürgern unbequeme Wahrheiten zu sagen. Auf Druck der Wirtschaft setzen sich Politik und Medien mit erstaunlicher Mühe für den Euro ein. Nicht weniger wichtig aber wäre aus polit-kulturellen Gründen ein ausgeglichenes Verhältnis zum Islam und aus demographischen Gründen eine tatkräftige Zuwanderungspolitik.

Bei beidem versagen zu viele Politiker und Medien aus Angst vor dem Ressentiment der Bevölkerung.

Die Deutschen haben sich in den vergangenen Jahren an ein positives Selbstbild gewöhnt. Frei von den Schatten der Vergangenheit. Sie haben dabei die Gefahren der Gegenwart übersehen. Irgendeine Immunität gegen rechts hat ihnen die Nazizeit nicht eingebracht. Man braucht keinen verworfenen deutschen Volkscharakter unterstellen, um sich über deutsche Anfälligkeit für rechtes Gedankengut zu sorgen.

Es ist schon schlimm genug, wenn die Deutschen hier keinen Deut besser sind als ihre Nachbarn.

Praktizierende Muslime in Österreich
Die Presse berichtet über eine Langzeitstudie in Österreich, deren Ergebnisse man vielleicht auch auf Deutschland übertragen kann.

48% der Muslime in Österreich praktizieren ihre Religion voll und ganz. Diejenigen der ersten Generation zu 54%, diejenigen der zweiten aber nur noch zu 29%.

48% der Österreicher neigen zu autoritärer Unterwerfung, 75% der 1. Generation der muslimischen Einwanderer, 50% der zweiten. Wieder zeigt sich der Integrationsprozess.

Eine treibende Kraft bei dieser Modernisierungsbewegung sind die Frauen. Sie haben eine deutlich geringere Unterwerfungsbereitschaft als Männer. Und sie entwickeln ihr Selbstverständnis schneller weg von traditionellen Rollenbildern. Aber auch bei den Männern der zweiten Generation deutet sich zunehmend ein moderneres Weltbild an. Insgesamt liegt der Anteil der „Modernen“ bei den Muslimen zweiter Generation in Zulehners Studie sogar höher als der österreichische Durchschnitt.

Den letzten Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Islamisierung in der Türkei?
Etwas von der Widersprüchlichkeit der türkischen Entwicklung fängt – unfreiwillig? – ein Artikel der WELT ein. Religion spiele in der Politik eine wachsende Rolle,

denn das Volk empfindet immer islamischer. Erdogans AKP ist Produkt und Motor dieser Entwicklung, sie hat eine Art kulturelle Revolution losgetreten. Wer den Propheten nicht ehrt, kann in der Türkei keine Wahlen mehr gewinnen.

Aber dann kommen diese verwirrenden Beobachtungen:

Eine der letzten Bastionen, die die AKP noch erobern könnte, wäre der Einzug Kopftuch tragender Frauen ins Parlament. Das ist laut Kleiderordnung in staatlichen Einrichtungen verboten – ein Verbot, das die AKP bislang nur für Studentinnen an Universitäten lockern konnte.

Nun aber lässt sie offenbar einen politischen Testballon steigen: Unter den 78 AKP-Kandidatinnen für das Hohe Haus ist auch eine Kopftuchträgerin. Sie hat bislang nicht erklärt, ob sie das Kopftuch denn auch tatsächlich im Parlament tragen würde, wenn sie gewählt wird.

Schützenhilfe und Widerstand kommt von unerwarteten Seiten: Liberale Feministinnen unterstützen eine Kampagne mit dem Namen „Keine Stimme ohne Kopftuch“. Das Ziel ist es, Kopftuchträgerinnen ins Parlament zu bringen.

Und Kritik kommt ausgerechnet aus der regierungsnahen, islamisch gesinnten Presse der Gülen-Anhänger, offenbar gerade deswegen, weil die Kampagne von Feministinnen gefördert wird. Kolumnist Ali Bulac schrieb, so werde das Kopftuch seiner religiösen Bedeutung beraubt und verkomme zu Frauenrechtlertum.

Dem Kopftuch ist da wohl keine große Zukunft vorherzusagen.

Man sehe sich zum Beispiel auch die Werbung in der Türkei an – die verrät, womit die türkische Frau von heute sich identifiziert.

Oder diese Episode (Quelle: Deutschlandfunk): In Istanbul arbeiten viele zurück in die Türkei gewanderte Deutschtürken in Callcentern für Deutschland. Eine der Deutschtürkinnen berichtet, sie habe in Istanbul Arbeit gesucht und keine gefunden – weil sie Kopftuch trägt. Sie wolle sich aber nicht vorschreiben lassen, was sie anzieht! So war sie froh, Arbeit im deutschen Callcenter zu bekommen. Da sei das Kopftuch kein Problem, da werde es locker akzeptiert.