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Amsterdam: Kein Maulkorb für Geert Wilders!

Der Prozess gegen den niederländischen Rechtspopulisten ist eine Farce: Die Meinungsfreiheit gilt auch für Wilders. Und das schadet ihm letztendlich mehr als ein Redeverbot.

In Amsterdam ging Anfang Februar der Prozess gegen Geert Wilders in die zweite Runde. Der Vorsitzende der rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid (PVV) ist wegen Volksverhetzung und Beleidigung von Moslems angeklagt.

Um den Hintergrund des Prozesses zu verstehen, ist es nötig, einen Blick in den zeitlichen Rückspiegel zu werfen. Zu diesem Zwecke folgen zwei Beispiele, die der Anklage neben zahlreichen anderen Äußerungen als Beweise dienen:

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Eine typische Kostprobe der brachialen Wilders-Rhetorik stammt aus dem Jahre 2007: Im August hatte er der renommierten Tageszeitung De Volkskrant einen Brief mit dem Titel „Genoeg is genoeg“ geschickt. Darin steht unter anderem:

„Ich rufe es schon seit Jahren: einen gemäßigten Islam gibt es nicht. […] Der Kern des Problems ist der faschistische Islam, die kranke Ideologie Allahs und Mohammeds, so wie sie im islamischen ,Mein Kampf‘ niedergeschrieben ist: dem Koran.“ Am Ende steht der Appell: „Ich habe genug vom Islam in den Niederlanden: kein Moslemimmigrant mehr hinein. Ich habe genug von der Anbetung Allahs und Mohammeds in den Niederlanden: keine Moschee mehr hinzu. Ich habe genug vom Koran in den Niederlanden: verbietet das faschistische Buch. Genug ist genug.“

Geert Wilders‘ umstrittener, 16-minütiger Koranfilm „Fitna“ aus dem Jahre 2008 endet mit einem Schwarzbild. Der Zuschauer hört ein Reißen. Dann folgt der Text:

„Das Geräusch, das Sie hörten, war eine Seite aus einem Telefonbuch. Denn es ist nicht an mir, sondern an den Moslems selbst, die hasserfüllten Verse aus dem Koran zu reißen. Moslems möchten, dass Sie dem Islam Spielraum geben, aber der Islam bietet Ihnen keinen Spielraum. Der Staat möchte, dass Sie Respekt vor dem Islam haben, aber der Islam hat überhaupt keinen Respekt vor Ihnen. Der Islam möchte herrschen, unterwerfen und strebt die Vernichtung unserer westlichen Kultur an. Im Jahre 1945 wurde in Europa der Nazismus besiegt. Im Jahre 1989 wurde in Europa der Kommunismus besiegt. Jetzt muss die islamische Ideologie besiegt werden. Stoppt die Islamisierung. Verteidigt unsere Freiheit.“

Keine Frage: Ein überzeugter Demokrat, dem der Zusammenhalt der Gesellschaft und wahrhaft freiheitliche Grundwerte am Herzen liegen, kann die Form und den Inhalt der eindimensionalen, hasserfüllten Wilders-Botschaft nur ablehnen.

Aber ein überzeugter Demokrat muss sich auch die Frage stellen, ob diese Wilders-Botschaft straftrechtlich im Gerichtssaal bekämpft werden sollte.

Oder mit anderen Worten: Ist es wünschenswert, dass einem Politiker von Richtern der Mund verboten wird? Wäre solch ein Eingriff in den politischen Diskurs nicht ein herber Verstoß gegen die Meinungsfreiheit?

Auch als Wilders-Gegner sage ich klipp und klar: Dieser Prozess ist eine Farce.

Geert Wilders erhält ein Podium, auf welchem er sich einmal mehr im Scheinwerferlicht als unerschrockener Freiheitskämpfer und Märtyrer in Szene setzen kann. Er, die „nationale Obsession“ (Bas Heijne, im NRC Handelsblad 2009) genießt die mediale Aufmerksamkeit in vollen Zügen.

Doch das ist nur eine Randnotiz. Viel wichtiger ist die Frage nach den Grenzen der Meinungsfreiheit. Diese Frage rührt nämlich an den Grundfesten der Demokratie.

Im Falle einer Verurteilung müsste sich ein Politiker in der Zukunft sehr gut überlegen, was er sagt und wie er es sagt. Er müsste sich vor allem sehr gut überlegen, ob er sich noch zu heiklen Themen wie „Kirche/Religion“ und „Integration/Einwanderung“ positioniert. Manches heiße Eisen bliebe unberührt.

Egal, was man von Wilders‘ Standpunkten halten mag: In einer Demokratie ist es absolut legitim, den politisch korrekten Mainstream zu verlassen, sich frei zu äußern und gegebenenfalls zuzuspitzen. Mehr noch: Es ist dringend erforderlich, dies zu tun. Auch wenn es schmerzt. Das gehört dazu. Das muss jeder von uns aushalten können.

Die uneingeschränkte Freiheit des Wortes ist das Lebenselexier einer Demokratie. Redeverbote schüren nur Hass. Redeverbote schaffen Märtyrer. Und Märtyrer können viel mehr Schaden anrichten als Vorsitzende einer Partei, die wie die PVV nur 1,5 von 16 Millionen Niederländern repräsentiert. Die deutsche Diskussion über die Sinnhaftigkeit eines Verbotes der stümpernden Splitterpartei NPD lässt grüßen!

Also, liebe Richter in Amsterdam:

Kein Maulkorb für Geert Wilders! Macht ihn nicht zum Märtyrer! Rüttelt nicht aus überzogener Angst vor seiner Botschaft des Hasses und der Ausgrenzung an den freiheitlichen Grundwerten eurer Verfassung! Erinnert euch an Voltaire, der einst – im Duktus seiner Zeit – schrieb: „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“

Die Menschen im Polderland müssen sich konstruktiv mit der Anti-Islam-Botschaft der PVV auseinandersetzen (können). Dann wird die Mehrheit erkennen, dass die Wilders-Partei keine tragfähigen Lösungen in der dringend erforderlichen Integrationsdebatte anbietet: Ihr Lebenselixier ist die Spaltung der Gesellschaft in „die“ und „wir“. Mehr als die Benennung eines Sündenbocks, einer Out-group, über deren Ablehnung sich eine selbst ernannte verunsicherte In-group definiert, haben Wilders und Co. nicht anzubieten. Zu den großen Fragen der Gegenwart – z.B. Klimawechsel, Finanzkrise, demografischer Wandel – schweigen sie lautstark. Und das sollten alle Menschen weiterhin hören dürfen. Dann entzaubert sich das Phänomen Wilders von allein.