Es ist Samstagmorgen, halb acht. Nur vereinzelt sieht man Menschen, dick eingepackt in Wintermänteln, das Gesicht schützend vor der Kälte im Schal verborgen. Die Sonne geht langsam auf und die ersten Sonnenstrahlen lassen die Eisschicht, die der Winter über die Stadt gelegt hat glitzern. „Guten Morgen! Sie gucken so interessiert. Haben Sie sich schon über die Wahlen informiert?“, spricht eine junge Frau ein älteres Ehepaar an, was grade aus der Bäckerei kommt.
Es ist Canan Ulufer. Sie ist die einzige türkischstämmige Kandidatin, die auf der Liste der Grünen Alternativen Liste (GAL) im Wahlkreis 3 (Altona) für die Wahlen am 20. Februar für die Hamburgische Bürgerschaft kandidiert. Doch das wirklich Interessante an Ulufers Erscheinung, ist nicht etwa ihr türkischer Hintergrund, sondern die Tatsache, dass sie ein Kopftuch trägt. Wenn sie gewählt werden sollte, wäre sie die erste Frau mit Kopftuch, die für eine etablierte Partei in ein deutsches Parlament einzieht. „Kulturelle Vielfalt muss auch in der Politik sichtbar sein!“, sagt Ulufer motiviert.
Sie sucht das Gespräch und den Austausch mit den in Altona lebenden Menschen. Es ist ihr erster Wahlkampfstand als Kandidatin. „Ich habe viele positive Rückmeldungen erhalten. An so einem Wahlkampfstand offenbart man sich den Menschen“, erzählt sie, während sie die Wahlprogramme und Flyer auf dem Tisch sortiert. Besonders junge, deutsche Akademiker_innen reagierten positiv auf die herzliche und offene Art der Kandidatin und seien begeistert von ihrer euro-islamischen Lebensweise, die ihr auf Grund der Art und Weise ihr Kopftuch zu tragen zugeschrieben werde. Oft sei Religion und Kultur ein Thema am Wahlkampfstand. „Die Leute sind immer ganz irritiert, wenn ich erzähle, dass ich riesiger Fußballfan bin“, lacht die junge Frau, die in der Türkei Galatasaray und in Hamburg dem FC St. Pauli die Daumen drückt.
Canan Ulufer ist 31 Jahre alt und wurde in Hamburg als älteste von drei Kindern türkischer Einwanderer geboren. Heute ist sie eine studierte Sozialpädagogin. Der Weg dorthin war allerdings nicht einfach und führte von der Hauptschule zur Realschule über zwei Ausbildungen – als Kinderpflegerin und Erzieherin – zur Fachhochschule. Ihre Eltern, die sich selber ihre Träume nicht erfüllen konnten aber dafür immer an ihre Tochter glaubten, seien dabei ihre größte Stütze und ihre größten Vorbilder gewesen. Sie machten ihr klar, dass man in Deutschland nur mit einer guten Bildung zu seinen Rechten käme. Und auch, wenn sie mit ihr weder deutsche Bücher lesen, noch mit ihr Diktate üben konnten, sei die emotionale Wärme und Fürsorge umso wichtiger gewesen.
Schon früh hat sich Ulufer für Politik interessiert „als Mädchen mit 12 Jahren die Bravo gelesen haben, habe ich politische Zeitschriften gelesen“. Zu den Grünen, so Ulufer, sei sie durch Cem Özdemir gekommen. Er war der erste türkischstämmige Abgeordnete im Deutschen Bundestag und sei lange Zeit ihr Vorbild gewesen. „Vielfalt ist das, was die grüne Partei ausmacht. Wir sprechen alle Menschen an. Wir geben jedem eine Chance, unabhängig von Alter, Religion, Bildungsstand oder kultureller Herkunft“, die junge Frau rückt ihr Kopftuch zurecht „Natürlich werde ich viel zum Islam gefragt aber jeder lebt seinen Glauben unterschiedlich. Ich kann nur sagen, was ich richtig und wichtig finde. Ich bin eine integrative Figur und Brückenbauerin. Menschen haben Vorurteile und sind verunsichert durch die Islamdebatte. Ich zeige ihnen, dass Glaube vielfältig ist“.
Vor sechs Jahren erhielt die junge Frau ihre deutsche Staatsangehörigkeit. „Herzlichen Glückwunsch, jetzt sind sie deutsch“, sagt der Beamte in der Behörde zu ihr. „Menschen brauchen einen natürlichen Zugang zum Deutsch-sein, das ist kein bürokratischer Prozess. Man muss Jugendlichen das Gefühl geben dazu zu gehören. Viele Jugendliche identifizieren sich mit Hamburg. Sie sind Teil eines Fußballvereins, sie fühlen sich zuhause“, so die junge Politikerin. Wenn Ulufer am 20. Februar in die Bürgerschaft gewählt wird, so möchte sie sich vor allem für die doppelte Staatsbürgerschaft und gegen die Optionspflicht, für Frauen- und Familienpolitik und für Integration und Antidiskriminierung stark machen. Von Letzterem seien besonders Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund betroffen. Sie hätten oft mit Vorurteilen und Ablehnung zu kämpfen. Dies sei etwas, was sie nicht nur mit vielen in Hamburg lebenden Türk_innen verbände, sondern auch mit Menschen aus anderen Ländern.
Auf die Frage was sie mit ihrem Stadtteil Altona verbände, strahlt Ulufer übers ganze Gesicht „Heimat und zu Hause! Ich fühle und lebe in Altona meinen Ursprung, meine Wurzeln und mein zu Hause die Hansestadt Hamburg. Hier spiegelt sich die Vielfalt der Gesellschaft. Kulturen und Religionen verbinden sich. Das möchte ich weiter unterstützen. Es gibt keinen Stadtteil, in dem ich lieber wohnen würde!“
Ulufer drückt einer jungen Frau mit Kinderwagen einen Flyer in die Hand „Egal wie die Wahl ausgehen wird, allein Kandidatin zu sein ist ein Erfolg. Ich habe so viele Herzen gewonnen, dass das meinen Lebensweg bereichern wird. Auch wenn ich nicht genügend Stimmen bekommen werde, werde ich weiterhin die Stimme derer sein, die mich und meine politische Einstellung unterstützen. Das kann mit keiner nehmen“.