Rechtsextremismus und Islamfeindlichkeit sind tief verankert in der gesellschaftlichen Mitte Deutschlands. Das zeigt eine am Mittwoch (13.10.2010) in Berlin vorgelegte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Leipziger Wissenschaftler Oliver Decker und Elmar Brähler, die die Studie durchgeführt hatten, sprachen von einer dramatischen Trendwende: „Im Jahr 2010 ist eine signifikante Zunahme antidemokratischer und rassistischer Einstellungen zu verzeichnen.“
Dabei wurden die Menschen im April 2010 befragt, also noch vor Thilo Sarrazins Thesen zur Integration. „Hätten wird die Befragung heute durchgeführt, wären die Befunde sicher noch extremer“, sagte Brähler.
Auch Wolfang Benz, Antisemistismusforscher an der Technischen Universität Berlin, sieht einen Zusammenhang: „Der Stammtisch fühlt sich bestärkt, wenn auch der Ministerpräsident einen Zuwanderungsstopp fordert,“ sagte er in Anspielung auf die jüngsten Aussagen von CSU-Chef Horst Seehofer. Insbesondere das Anwachsen der Islamfeindlichkeit sei für ihn wenig überraschend: „Wer sich heute als Antisemit öffentlich darstellt wird geächtet. Wer sich hingegen mit ganzen ähnlichen Methoden, Unterstellungen und Vermutungen als ein sogenannter Islamkritiker positioniert, bricht kein Tabu,“ sagte Benz.
Feindseligkeit gegen Muslime besonders ausgeprägt
So ist der Studie zufolge die Feindseligkeit gegenüber dem Islam besonders ausgeprägt. 58 Prozent würden die Religionsausübung für Muslime „erheblich einschränken“. Dabei ist bemerkenswert, dass islamfeindliche Einstellungen selbst bei der Hälfte der Deutschen verbreitet sind, die rechtsextremen Aussagen an sich überwiegend kritisch gegenüberstehen. Das sei ein Wandel hin zu einem „modernen Rassismus“, so die Forscher. Nicht eine „genetische Rassenzugehörigkeit“ würde in den Vordergrund gerückt, sondern vornehmlich kulturelle und religiöse Unterschiede.
Im Osten sind den Forschern zufolge Ausländer- und Islamfeindlichkeit stärker ausgeprägt, obwohl der Migrantenanteil dort am geringsten ist. Ein Grund sei die hohe Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern. Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit führen laut Brähler eher zu rechtsextremen Einstellungen.
Logik des Ressentiments
Etwa ein Drittel sieht die Bundesrepublik „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“. Über 34 Prozent der Bevölkerung ist der Meinung, dass Ausländer nur kommen, „um unseren Sozialstaat auszunutzen.“ Ebenso viele denken zudem, dass man bei knappen Arbeitsplätzen „Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken“ sollte.
Für die Studie „Die Mitte in der Krise – Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“ wurden im Frühjahr mehr als 2.400 Menschen im Alter von 14 bis 90 Jahren in direkten Interviews befragt. Die Studie kann auf den Seiten der Friedrich-Ebert-Stiftung als PDF-Datei kostenlos heruntergeladen werden.
Und dabei hätten Argumente „nur wenig Chancen gegen die Logik des Ressentiments“, so Decker. Zunächst würden Migranten von den gesellschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten systematisch ausgeschlossen, um ihnen dann die Folgen einer verfehlten Integrationspolitik anzulasten.
13 Prozent wünschen sich „Führer“
Laut Studie ist fast jeder Vierte der Meinung, dass Deutschland jetzt „eine einzige starke Partei“ braucht, „die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. In diesem Zusammenhang überrascht nicht, dass der Zuspruch für eine Diktatur als Staatsform wächst. Einen „Führer“ wünschen sich rund 13 Prozent der Deutschen, damit „Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert“ wird. „Unter bestimmten Umständen“ halten knapp neun Prozent sogar eine Diktatur für „die bessere Staatsform“. So sind auch gut 10 Prozent der Meinung, dass der Nationalsozialismus „auch seine guten Seiten“ gehabt habe.
Rechtsextreme Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft
Auch rechtsextremistische Einstellungen haben der Studie zufolge zugenommen. Die Forscher führen diesen Anstieg auf Abstiegsängste zurück. Dies habe mit der Wirtschafts- und Finanzkrise zugenommen und betreffe alle Gesellschaftsgruppen. Allerdings stimmten ältere und Menschen mit geringem Bildungsniveau wesentlich häufiger rechtsextremen Aussagen zu als junge und gebildete Menschen.
Rechtsextremismus ist den Forschern zufolge aber kein Randphänomen. In der Mitte der Gesellschaft sei sie ebenso vertreten. So hätten der Untersuchung zufolge alle Parteien Anhänger mit rechtsextremen Ansichten. Ein weiterer Befund sei, dass unter den Mitgliedern der evangelischen und katholischen Kirche diese Gedanken sogar noch etwas verbreiteter sei als unter Konfessionslosen.