Türkische Presse Europa

28. und 29.03.2010 – Merkel, Türkei, Demo Duisburg, Moschee

Die Europaausgaben der türkischen Zeitungen beschäftigen sich am Wochenende und am Montag vornehmlich mit der Türkei-Reise der Bundeskanzlerin. Des Weiteren wird umfangreich über die Proteste gegen Anti-Islam-Demonstrationen der rechtspopulistischen Gruppierung „Pro NRW“ und der NPD in Duisburg berichtet. Weitere Themen sind türkische Gymnasien, Visafreiheit, Sprachtests, u.v.m.

28.03.2010

Streit um türkische Gymnasien
Die HÜRRIYET veröffentlicht kurz vor der Türkei-Reise der Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Reportage mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Auf die deutliche Ablehnung Merkels, in Deutschland türkische Gymnasien zu gründen, reagierte Erdogan mit scharfen Worten: „Warum dieser Hass auf die Türkei? Ich verstehe es nicht“, sagte Erdogan. „Das hätte ich von der Kanzlerin nicht erwartet. Ist die Türkei der Prügelknabe?“

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Malik Karabulut vom Türkischen Elternbund Hamburg kann die Aufregung über türkische Gymnasien ebenfalls nicht nachvollziehen. Zweisprachige Schulen hätten in Deutschland Tradition. Wieso wolle man das nun für Türkischstämmige verbieten, fragt sich Karabulut. Auch Kadir Daglar, Vorsitzender der Föderation Türkischer Elternvereine in NRW, unterstütze den Vorschlag, soweit Deutsch das gewichtigste Fach bleibe. Der türkischstämmige Europaabgeordnete Ozan Ceyhun warf deutschen Politikern, die türkische Gymnasien ablehnen, sogar Doppelmoral vor.

Die Expertin für Interkulturelle Bildung Ursula Neumann lehne den Vorschlag allerdings ab. „Wahrscheinlich hat Herr Erdogan aber eher türkische Exklaven in Deutschland im Sinn“, so die Hamburger Professorin. Wenn er aber türkische Gymnasien meine, die zweisprachig sind, und die auch deutsche Schüler besuchen, „dann ist das sicher ein guter Ansatz – auch mit Blick auf die Integration“, sagte Neumann. (SABAH)

Merkel: „Wir verstehen unter Integration nicht etwa Assimilation oder die Aufgabe der eigenen Heimat“
Bei der Integration türkischstämmiger Menschen in Deutschland sieht Bundeskanzlerin Angela Merkel viele Fortschritte. Das unterstreicht sie in ihrer wöchentlichen Videobotschaft, berichtet die SABAH. Sie rede mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan „sehr häufig über die Integration der bei uns lebenden türkischstämmigen Frauen und Männer, genauso wie der Jugendlichen.“

Die Kanzlerin lehnte erneut eine Assimilationspolitik ab. „Wir verstehen darunter (Integration) nicht etwa Assimilation oder die Aufgabe der eigenen Heimat, sondern wir wollen, dass sich Menschen, die über viele Generationen bei uns leben, in dieses Land integrieren – das heißt, teilhaben an dem gesellschaftlichen Erfolg, teilhaben im Arbeitsleben, teilhaben im Familienleben.“

Haderthauer: „Es ist nicht unsere Aufgabe den Menschen türkisch beizubringen“
Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) hat mit scharfen Worten die Forderung des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, türkische Gymnasien in Deutschland aufzubauen, kritisiert. Es wäre schön, wenn der türkische Ministerpräsident „die Integrationsbereitschaft seiner Landsleute fördern würde, statt mit solchen Forderungen Blockaden aufzubauen“, sagte sie dem Münchner Merkur. Erdogans Argument, man müsse erst die eigene Sprache beherrschen, ehe man deutsche Sprachprobleme beheben könne, sei „beinahe Volksverdummung. Es kann ja wohl nicht unsere Aufgabe sein, Menschen, die hier hergekommen sind, ihre Heimatsprache beizubringen. Ich halte es für ungemein wichtig, dass in jeder Schule ordentlich Deutsch gelernt wird.“

Haderthauer kritisierte auch Erdogans Warnung vor Assimilation der in Deutschland lebenden Türken: „Erdogan spaltet. Er versucht, die hier lebenden Türken als Faustpfand für eine Einflussnahme auf die deutsche Außenpolitik zu nehmen.“

„Minarette machen den Islam transparent und sichtbar“
Im Hamburger „taz salon“ diskutierten Wissenschaftler und Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaften und der evangelischen Kirche über die Bedeutung muslimischer Gebetshäuser in der Hansestadt. Mustafa Yoldas, Vorsitzender des Rates der islamischen Gemeinschaften in Hamburg, betonte, dass Minarette genauso wie Kirchtürme untrennbare Elemente eines Gotteshauses sind. „Moscheen sind nur mit Minaretten wahrnehmbar und sichtbar. Sie machen den Islam transparent und sichtbar“, so Yoldas. (TÜRKIYE)

Gabriel: „Moscheen sind das Symbol der Integration“
„Moscheen sind das Symbol der Integration“, habe der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel während eines Moscheebesuchs in Bochum gesagt, berichtet die TÜRKIYE. Er rief alle Bürger auf, bei den Landtagswahlen eine demokratische Partei zu wählen.

Gabriel kritisierte auch die Anti-Islam-Demonstrationen der rechtspopulistischen Gruppierung „Pro NRW“ und der NPD im Ruhrgebiet. Er kündigte an, an der Gegendemonstration in Duisburg teilzunehmen. Gabriel sagte: „Wir wollen der muslimischen Glaubensgemeinschaft zeigen: Wenn Rechtsradikale demonstrieren, ist das nicht Ihr Problem sondern unser aller.“ (MILLIYET, HÜRRIYET, SABAH)

Harun Gümrükcü mahnt Visaerleichterungen an
Prof. Dr. Harun Gümrükcü, Dozent an der Akdeniz Üniversitesi und Vorsitzender des Untersuchungsausschusses für Visafreiheit in Europa, dringt auf Reiseerleichterungen für Geschäftsleute aus der Türkei. In einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte Gümrükcü die Einhaltung der europäischen Grundsätze an. „Wenn es um die Türkei geht, werden Rechtsstaatlichkeit und Vertragstreue außer Kraft gesetzt“, kritisierte Gümrükcü. Hinsichtlich der Visafreiheit forderte er die Kanzlerin auf, das Urteil des EuGH zu befolgen. (TÜRKIYE)

UN: Nachweis der Sprachkenntnisse bei der Familienzusammenführung diskriminierend
Laut HÜRRIYET haben die Vereinten Nationen die Integrationstests der Niederlande im Ausland als „diskriminierend“ gerügt. Wenn im Ausland lebende Ehegatten zu ihrem Partner in die Niederlande ziehen wollen, müssen sie einen Test absolvieren. Damit sei beabsichtigt gewesen, die Migranten dazu zu bringen, nicht aus ihren Heimatländern zu heiraten, schreibt die Zeitung.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert, dass unter anderem auch Deutschland diesem Beispiel gefolgt ist und so die Familienzusammenführungen erheblich erschwert hat. Auch das Deutsche Rote Kreuz habe die Stärkung der Familie verlangt. DRK-Präsident Rudolf Seiters habe eine Reiseerleichterung für Familien gefordert. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel habe indes vorgeschlagen, die Sprachtests nach Deutschland zu holen. Einen Nachweis der Sprachkenntnisse bei der Familienzusammenführung lehne die SPD ab. Gabriel betonte allerdings die enorme Bedeutung von Sprachkenntnissen.

29.03.2010

Tauwetter zwischen Merkel und Erdogan
Die Zeitungen räumen der Türkei-Reise der Bundeskanzlerin Angela Merkel allesamt breiten Raum ein. In einem ganzseitigen Bericht geht Ali Yurttagül, Fachreferent der Europafraktion für Migration (Grüne), in der ZAMAN der Frage nach, warum Merkel die Türkei besucht. Schwerpunkt seiner Analyse sind die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Die SABAH, MILLIYET und ZAMAN meinen, dass Merkels einer heiklen Visite angetreten ist. Die Bundeskanzlerin habe dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ankara auch ein Geschenk mit Symbolkraft überreicht: eine Friedenstaube. Die Taube aus Ton stammt von einer neunjährigen Schülerin aus Unna in Nordrhein-Westfalen und ist Teil einer Friedensaktion, berichtet die HÜRRIYET.

Böhmer: „Wir nehmen die Muslime erst seit kurzem wahr“
Die Staatsministerin Maria Böhmer hob im Gespräch mit der TÜRKIYE die Bedeutung der Deutschen Islamkonferenz hervor. Deutschland nehme erst seit kurzem die Muslime wahr, so die Ministerin. Es sei insofern normal, dass man Fehler macht. Böhmer bat deshalb um Nachsicht. Zudem sprach sie sich für die Förderung der Muttersprache aus.

EKD: „Sympathischen Seiten des Islam zur Kenntnis zu nehmen“
Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider forderte auf „Welt Online“ die „sympathischen Seiten“ des Islam zur Kenntnis zu nehmen. Europa sei zwar jüdisch-christlich geprägt. „Aber nicht nur: Die heidnische Antike und der mittelalterliche Islam haben uns ebenfalls beeinflusst – denken Sie nur an Philosophie, Naturwissenschaften und Mathematik!“ Die Haltung von Islamkritikern, die meinen der Islam sei eine Ideologie, die sich nicht reformieren lasse, bezeichnete Schneider als „reine Polemik“.

„Deutschland hat seine Muslime und Moscheen in Schutz genommen“
Unter diesem Titel berichten die ZAMAN und TÜRKIYE über die Gegendemonstrationen in Duisburg. Knapp 6000 Menschen protestierten in Duisburg gegen Anti-Islam-Demonstrationen der rechtspopulistischen Gruppierung „Pro NRW“ und der NPD.

Auch SPD-Parteichef Sigmar Gabriel und die nordrhein-westfälische SPD-Chefin Hannelore Kraft reihten sich in den Demonstrationszug ein. Gabriel sagte: „Wir wollen der muslimischen Glaubensgemeinschaft zeigen: Wenn Rechtsradikale demonstrieren, ist das nicht Ihr Problem sondern unser aller.“ (SABAH) „In Deutschland ist insbesondere nach dem 11. September eine Islamophobie entstanden“, zitiert ihn die HÜRRIYET. Diese Angst müsse abgebaut werden.

Wowereit: „Integration ist eine Frage der Teilhabe, nicht der Herkunft”
Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit betonte, Integration sei eine Frage der Teilhabe, nicht der Herkunft. Er appellierte an die Unternehmen, mehr Beschäftigte aus Zuwandererfamilien einzustellen. Zu simpel nannte er dagegen die Forderung nach immer mehr Geld für Integration. „Wir müssen auch einmal in der Lage sein, bestimmte Systeme zu überdenken.“ Zudem verlangte er von den Migranten „Eigenbeiträge“. Sie müssten für ihre Kinder eine „Aufstiegsmentalität“ entwickeln, sagte Wowereit. (SABAH, ZAMAN)