EU-Osterweiterung

Positive Effekte durch Arbeitsmigration

Simulationsrechnungen zufolge erhöht die Migration aus den Beitrittsländern das Bruttoinlandsprodukt in der erweiterten EU um 0,2 Prozent oder um 24 Mrd. Euro. Dabei steigt das BIP der Einwanderungsländer, das der Auswanderungsländer fällt.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eine der vier Grundfreiheiten des Gemeinsamen Binnenmarktes der Europäischen Union (EU). Für die jüngsten Mitgliedstaaten der EU aus Mittel- und Osteuropa wird diese Grundfreiheit schrittweise umgesetzt. Im Jahr 2009 beginnen neue Phasen der Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit, deren wirtschaftliche Auswirkungen bereits im Vorfeld untersucht wurden. In diesem Kurzbericht werden die wesentlichen Ergebnisse zu den Arbeitsmarkteffekten von Migration zusammengefasst.

Angesichts des hohen Einkommensgefälles zwischen ihren alten und neuen Mitgliedstaaten hat die EU in den Beitrittsverträgen mit den Ländern aus Mittel- und Osteuropa Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit vereinbart. Diese sehen vor, dass die einzelnen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten nach der „2+3+2“-Formel bis zu sieben Jahre aussetzen können.

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INFOBOX 1: Die neuen EU-Mitgliedstaaten aus Mittel- und Osteuropa
Zum 1. Mai 2004 sind acht neue Länder aus Mittel- und Osteuropa (NMS-8) der EU beigetreten: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik und Ungarn.

Die zwei Inselstaaten Malta und Zypern sind der EU auch zum 1. Mai 2004 beigetreten, unterliegen aber nicht den Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Am 1. Januar 2007 kamen zwei weitere osteuropäische Länder dazu: Bulgarien und Rumänien (NMS-2).

In der letzten Phase kann die Arbeitnehmerfreizügigkeit nur eingeschränkt werden, wenn eine schwere Störung des Gleichgewichts auf dem Arbeitsmarkt vorliegt. Im Jahr 2009 beginnt die dritte Phase der Übergangsfristen für die acht neuen Mitgliedstaaten aus Mittel- und Osteuropa, die zum 1. Mai 2004 der EU beigetreten sind, und die zweite Phase für Bulgarien und Rumänien.

Aus diesem Anlass hat das IAB gemeinsam mit fünf weiteren Forschungseinrichtungen in Europa die wirtschaftlichen Auswirkungen der Übergangsfristen für die Europäische Kommission untersucht (Brücker et al. 2009). In diesem Kurzbericht werden die Ergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Analyse der Arbeitsmarkteffekte der Migration, die im Rahmen dieser Studie erstellt wurde, zusammengefasst.

Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit
Die Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit wurden von den einzelnen Mitgliedstaaten der EU sehr unterschiedlich angewendet. Großbritannien, Irland und Schweden haben für die acht neuen Mitgliedstaaten (NMS-8), die 2004 beigetreten sind, ihre Arbeitsmärkte bereits unmittelbar nach dem Beitritt geöffnet. Die meisten anderen Mitgliedstaaten haben die Freizügigkeit während der zweiten Phase der Übergangsfristen ab dem Jahr 2006 eingeführt. Inzwischen halten neben Deutschland nur noch Belgien, Dänemark und Österreich ihre Beschränkungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit aufrecht.

Gegenüber den zwei neuen Mitgliedstaaten Bulgarien und Rumänien (NMS-2), die 2007 beigetreten sind, wenden mit Ausnahme von Schweden und Finnland alle Mitgliedstaaten der Gemeinschaft Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit an. Allerdings haben Spanien und Italien den Zugang zum Arbeitsmarkt für Bürger aus den beiden neuen Mitgliedstaaten bereits zu Beginn dieser Dekade stark liberalisiert.

Migrationsumlenkung durch Übergangsfristen
Die Öffnung der Arbeitsmärkte im Zuge der EU-Osterweiterung hat zu einem deutlichen Anstieg der Zuwanderung aus den neuen Mitgliedstaaten geführt: Nach den vorliegenden Daten ist die Zahl der ausländischen Staatsbürger aus den NMS-8 in der EU-15 von 0,9 Millionen zum Jahresende 2003 auf 1,9 Millionen zum Jahresende 2007 gestiegen – das sind durchschnittlich 250.000 Personen pro Jahr. Die Zahl der ausländischen Staatsbürger aus Bulgarien und Rumänien ist im gleichen Zeitraum von 0,7 Millionen Personen auf ebenfalls 1,9 Millionen Personen gewachsen.

Die selektive Anwendung der Übergangsfristen hat die regionale Struktur der Zuwanderung aus den neuen Mitgliedstaaten offenbar stark beeinflusst: Im Jahr 2003 lebten noch knapp zwei Drittel der ausländischen Staatsbürger aus den NMS-8 in Deutschland und Österreich. Seit der EU-Osterweiterung entfallen rund 70 Prozent der Migrationsflüsse aus diesen Ländern auf Großbritannien und Irland (vgl. Tabelle 1). Im Falle von Bulgarien und Rumänien hat die partielle Öffnung der Arbeitsmärkte in Spanien und Italien dazu geführt, dass seit der Jahrtausend-wende rund 80 Prozent der Zuwanderung auf diese beiden Länder entfallen, während zu Beginn der 1990er Jahre noch Deutschland und Österreich die wichtigsten Zielländer waren.

Wirkung der Arbeitsmigration
Die Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist in den Zielländern wie in den Herkunftsländern mit Ängsten verbunden. In den Zielländern wird befürchtet, dass die Zuwanderung zu steigender Arbeitslosigkeit und zu sinkenden Löhnen führt. Umgekehrt befürchten die Herkunftsländer, dass die Migration mit einem ‚Brain Drain’ verbunden ist, der wiederum ein niedrigeres Einkommen insbesondere der geringer Qualifizierten bewirkt.

Aus Sicht der ökonomischen Theorie ist zwar zu erwarten, dass die Migration aus den Beitrittsländern zu einem produktiveren Einsatz von Arbeit und damit zu einem Anstieg von Produktion und Einkommen in der erweiterten EU führt. Einzelne Gruppen in den Ziel- und Herkunftsländern können durch die Veränderung des Arbeitsangebotes jedoch gewinnen und andere verlieren. Die Effekte hängen davon ab, in welchem Umfang Migranten mit einheimischen Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren, wie flexibel die Löhne auf die Ausweitung des Arbeitsangebotes reagieren und wie schnell sich der Kapitalstock anpasst.

Hier werden die Wirkungen der Migration für Gesamtwirtschaft und Arbeitsmarkt in den Ziel- und Herkunftsländern auf Grundlage eines Modells untersucht, dass systematisch den Zusammenhang zwischen Lohnbildung und Arbeitslosigkeit berücksichtigt. Lohnrigiditäten können im Rahmen dieses Modells bewirken, dass die Ausweitung des Arbeitsangebots durch Migration zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führt. Das Modell berücksichtigt auch die Anpassung des Kapitalstocks.

INFOBOX 2: Der Modellansatz
Die Lohn- und Beschäftigungseffekte der Migration werden hier im Rahmen eines Gleichgewichtsmodells, das Lohnrigiditäten und Arbeitslosigkeit berücksichtigt, untersucht. Theoretische Grundlage des Modells ist die Annahme, dass die Löhne mit steigender Arbeitslosigkeit fallen, sich aber nicht vollständig an Veränderungen des Arbeitsangebotes und der Arbeitsnachfrage anpassen müssen (vgl. Layard et al., 2003). Zuwanderung kann deshalb nicht nur zu fallenden Löhnen, sondern auch zu steigender Arbeitslosigkeit führen.

Die Arbeitsnachfrage wird aus einer gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion abgeleitet. Verwendet wird eine Produktionsfunktion mit konstanter Substitutionselastizität, die Arbeit in drei Nestern nach Ausbildung, Berufserfahrung und nationaler Herkunft unterscheidet. Die Substitutionselastizitäten zwischen den einzelnen Formen von Arbeit werden empirisch geschätzt. Die Ausweitung des Arbeitsangebotes durch Migration in einem Arbeitsmarktsegment kann deshalb – in Abhängigkeit von den geschätzten Elastizitäten – zu einer Erhöhung wie auch Verringerung der Arbeitsnachfrage in anderen Arbeitsmarktsegmenten führen.

Das Modell berücksichtigt auch die Anpassung des Kapitalstocks an die Migration von Arbeit. Theoretisch ist langfristig eine vollständige Anpassung des Kapitalstocks an eine Veränderung des Arbeitsangebots zu erwarten. Dies wird auch empirisch bestätigt. In diesem Fall verändert sich auf gesamtwirtschaftlicher Ebene der Lohn durch Migration nicht, aber es können sich Veränderungen der Entlohnung und der Arbeitslosigkeitsrisiken zwischen den einzelnen Gruppen im Arbeitsmarkt ergeben. Auch kann es während des Übergangs zum langfristigen Gleichgewicht in den Zuwanderungsländern zu fallenden Löhnen und steigender Arbeitslosigkeit kommen.

Die einzelnen Parameter des Modells wurden empirisch für die EU-15 und die Beitrittsländer geschätzt. Dabei zeigt sich, dass der Lohn wie erwartet mit steigender Arbeitslosigkeit fällt, aber Lohnrigiditäten existieren. Der Kapitalstock passt sich langfristig vollständig an eine Ausweitung des Arbeitsangebotes an. Die Halbwertszeit der Anpassung beträgt drei bis fünf Jahre. Schließlich konkurrieren ausländische Arbeitnehmer nur unvollkommen mit inländischen Arbeitnehmern auf dem Arbeitsmarkt, auch wenn sie über die gleiche Ausbildung und Berufserfahrung verfügen. Es ist deshalb zu erwarten, dass Ausländer stärker als Inländer von der Zuwanderung aus den Beitrittsländern betroffen sind.

Zur ausführlichen Beschreibung des Modells vgl. Brücker/Jahn (2008) und zur Darstellung der Schätzergebnisse vgl. Baas et al. (2009).

Das Modell gliedert den Arbeitsmarkt nach Ausbildung, Berufserfahrung und nationaler Herkunft. Migranten konkurrieren deshalb nicht zwangsläufig mit einheimischen Arbeitskräften. Im Gegenteil, die Ausweitung des Arbeitsangebots durch Migration in einem Arbeitsmarktsegment kann zu einer steigenden Arbeitsnachfrage in einem anderen Arbeitsmarktsegment und damit dort zu steigenden Löhnen und geringerer Arbeitslosigkeit führen. Die einzelnen Parameter des Modells wurden geschätzt.

Annahmen der Simulationen
Hier werden die Ergebnisse von zwei Simulationen präsentiert: Im ersten Schritt werden die Effekte der durch die EU-Osterweiterung bedingten Arbeitsmigration in den ersten vier Jahren, d.h. in den Jahren 2004 bis einschließlich 2007, simuliert. Im zweiten Schritt werden die Effekte einer vollständigen Einführung der Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den NMS-8 in allen Staaten der EU-15 im Vergleich zu einer Fortsetzung des Status quo – d.h. bei einer Beibehaltung der noch existierenden Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit – in den Jahren 2008 bis 2011 simuliert.

Dieses Szenario beruht auf einer ökonometrisch gestützten Migrationsprojektion, die das Wanderungspotenzial im Falle einer Fortsetzung des Status quo bzw. der Einführung der Freizügigkeit aus den Beitrittsländern in die EU-15 prognostiziert. Im ersten Fall würde die ausländische Bevölkerung aus den NMS-8 von 1,9 Millionen am Jahresende 2007 auf 2,7 Millionen zum Jahresende 2011 steigen, im zweiten Fall auf 2,8 Millionen.

Gesamtwirtschaftliche Wirkungen während der Übergangsfristen
Insgesamt ist die Zahl der Erwerbspersonen in der EU-15 durch die EU-Osterweiterung im Zeitraum 2004 bis 2007 um knapp 0,4 Prozent gestiegen und in den NMS-8 um rund 1,2 Prozent gesunken. Tabelle 2 fasst die wichtigsten gesamtwirtschaftlichen Wirkungen dieser Veränderung des Arbeitsangebots zusammen. Zu unterscheiden sind die kurzfristigen Wirkungen – wenn sich der Kapitalstock noch nicht vollständig an die Ausweitung des Arbeitsangebots angepasst hat – von den langfristigen Wirkungen.

Kurzfristig steigt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der erweiterten EU um rund 0,1 Prozent und lang-fristig um rund 0,2 Prozent. Das ergibt mit 24 Milliarden Euro einen erheblichen Integrationsgewinn. In den Zielländern der EU-15 steigt das BIP etwas stärker als im Durchschnitt der erweiterten EU, während es in den Herkunftsländern durch die Abwanderung von Arbeit sinkt.

Das BIP pro Kopf sinkt in den Einwanderungsländern der EU-15 kurzfristig leicht, steigt aber langfristig nach der Anpassung des Kapitalstocks. Dies ist u.a. auf die höhere Erwerbsbeteiligung der Migranten aus den NMS zurückzuführen. Das Faktoreinkommen der einheimischen Bevölkerung, d.h. die Einkommen aus Arbeit und Vermögen, sinken in den Zielländern kurzfristig geringfügig, steigen aber langfristig um 0,1 Prozent.

Die Arbeitslosenquote in der EU-15 steigt kurzfristig geringfügig an, bleibt aber langfristig fast konstant. Demgegenüber ergibt sich in den Sendeländern kurzfristig ein deutlicher Rückgang der Arbeitslosenquote, so dass die Arbeitslosenquote in der erweiterten EU leicht sinkt. Die Löhne fallen in den Einwanderungsländern der EU-15 im Durchschnitt mit 0,09 Prozent leicht, während sie langfristig, nach der Anpassung des Kapitalstocks, konstant bleiben.

In den beiden am stärksten betroffenen Ländern, Irland und Großbritannien, ergibt sich langfristig nur ein geringer Anstieg der Arbeitslosenquote um 0,1 Prozentpunkte (Großbritannien) bzw. 0,4 Prozentpunkte (Irland). Tatsächlich ist die Arbeitslosenquote in beiden Ländern in dem Zeitraum 2004-2007 konstant geblieben oder sogar leicht gesunken.

Verteilung der Arbeitsmarkteffekte
Aufgrund der ausgewogenen Qualifikationsstruktur der Zuwanderer aus den NMS-8 sind alle Beschäftigten ähnlich betroffen: Die Löhne der Geringqualifizierten sinken kurzfristig nur etwas stärker als die der Hochqualifizierten. Langfristig profitieren Hochqualifizierte leicht durch die Zuwanderung, während die Löhne der Mittel- und Geringqualifizierten in etwa konstant bleiben. Dies gilt im Wesentlichen für alle EU-Mitgliedstaaten, allein in Irland sind die Effekte geringfügig stärker. In den Sendeländern gibt es kurzfristig leichte Lohnanstiege, die langfristig jedoch wieder verschwinden.

Deutlicher sind die Unterschiede zwischen den Effekten der Zuwanderung aus den NMS-8 auf Löhne und Arbeitslosigkeitsrisiken von einheimischen und ausländischen Arbeitskräften in der EU-15: Während die Löhne der einheimischen Arbeitskräfte kurzfristig nur um 0,07 Prozent sinken und langfristig um 0,02 Prozent steigen, fallen die Löhne der ausländischen Arbeitskräfte kurzfristig um 0,41 und langfristig um 0,34 Prozent. Analog steigt die Arbeitslosigkeit der einheimischen Arbeitskräfte langfristig gar nicht und kurzfristig nur marginal um 0,03 Prozentpunkte, während die Arbeitslosenquote der ausländischen Arbeitnehmer kurzfristig um 0,19 und langfristig um 0,16 Prozentpunkte zunimmt.

Auswirkungen einer Einführung der Freizügigkeit ab 2009
Eine Einführung der Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den Beitrittsländern in allen Ländern der EU-15 würde gegenüber der Fortsetzung der bisherigen Regelungen nach dieser Projektion nur einen geringen Anstieg der Zuwanderung auf der Ebene der EU bewirken. Das ist darauf zurückführen, dass mit Ausnahme von Deutschland, Österreich, Belgien und Dänemark alle EU-15-Länder ihre Arbeitsmärkte bereits geöffnet haben. Allerdings ergäbe sich eine Umverteilung der Wanderungsströme nach Deutschland und Österreich.

Diese Neuausrichtung der Wanderungsströme würde in den Jahren 2008 bis 2011 dazu führen, dass in Deutschland das BIP pro Kopf kurzfristig um 0,1 Prozent fällt, langfristig aber um 0,1 Prozent steigt. Auch die Einkommen der Inländer aus Arbeit und Vermögen würden kurzfristig zwar leicht zurückgehen, sich aber langfristig um 0,1 Prozent erhöhen. Insofern würde die Bevölkerung in Deutschland von einer Einführung der Freizügigkeit profitieren.

Die Arbeitsmarktwirkungen der Zuwanderung aus den Beitrittsländern sind in Deutschland weitgehend neutral. Kurzfristig ergäbe sich ein geringfügiger Anstieg der Arbeitslosigkeit, langfristig bliebe die Arbeitslosenquote weitgehend konstant. Die Löhne würden kurzfristig leicht um 0,08 Prozent fallen, blieben langfristig aber konstant. Für die Verteilung der Arbeitseinkommen auf die einzelnen Gruppen im Arbeitsmarkt ergeben sich nahezu keine Effekte, ähnliches gilt für die Verteilung der Arbeitslosigkeitsrisiken.

Fazit
Die Integrationstheorie erwartet von der Beseitigung der Barrieren für Faktormobilität und Handel erhebliche Gewinne für den integrierten Wirtschaftsraum. Die makroökonomischen Simulationen bestätigen diese Erwartungen auf Grundlage eines Modells, das unvollkommene Arbeitsmärkte und die Anpassung des Kapitalstocks berücksichtigt. So hat die Beseitigung von Migrationsbarrieren im Zuge der EU-Osterweiterung das BIP der erweiterten EU den Analysen zufolge um 0,2 Prozent oder 24 Milliarden Euro erhöht. Dieser Betrag könnte sich bis zum Jahr 2011 sogar verdoppeln.

Die Einführung der Freizügigkeit in Deutschland und Österreich würde sich zwar auf der Ebene der EU kaum auswirken, kann aber durch die Neuausrichtung von Migrationsströmen zu einem deutlichen Anstieg der Zuwanderung in Deutschland und Österreich führen. Davon würde die einheimische Bevölkerung langfristig durch höhere Einkommen aus Arbeit und Vermögen profitieren. Die Arbeitsmarktwirkungen wären weitgehend neutral: Kurzfristig würde die Arbeitslosenquote um 0,08 Prozentpunkte steigen, langfristig bliebe sie unverändert. Ähnliches gilt für das Lohnniveau. Zu unterscheiden sind jedoch die Effekte für Inländer und Ausländer: Einheimische Arbeitskräfte gewinnen zumindest langfristig durch höhere Löhne und geringere Arbeitslosigkeitsrisiken, während Ausländer durch fallende Löhne und steigende Arbeitslosigkeit verlieren.

Insgesamt sind daher aufgrund der Modellergebnisse keine stark negativen Effekte der Öffnung der Arbeitsmärkte zu erwarten. Dennoch müssen zwei Einschränkungen bei dieser gesamtwirtschaftlichen Analyse beachtet werden:

Zum einen konnte die illegale Migration aus den neuen Mitgliedstaaten in dieser Analyse aufgrund einer fehlenden Datengrundlage nicht berücksichtigt werden. Die Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit führt zu einer Legalisierung des Aufenthaltsstatus und damit zu einem Rückgang der illegalen Migration. Diese Migranten werden bei Öffnung der Arbeitsmärkte als Neuzuwanderer gezählt, obwohl sie bereits vor der Öffnung im Land waren. Insofern könnten bei Öffnung der Arbeitsmärkte in Deutschland und Österreich höhere Migrationszahlen berichtet werden, als sie in diesem Modell zu Grunde gelegt wurden.

Zum anderen können die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Arbeitsmärkte und die Arbeitsmigration noch nicht genau abgeschätzt werden. Grundsätzlich gilt, dass die zu erwartende Krise zu einem deutlichen Rückgang der Zuwanderung führen wird. Dafür sind drei Gründe ausschlaggebend. Erstens wird erwartet, dass große Zielländer wie Deutschland und Großbritannien besonders stark von der globalen Krise betroffen sein werden. Zweitens wirkt ein Anstieg der Arbeitslosigkeit in den Ziel- und Herkunftsländern nicht symmetrisch auf den Umfang der Migration, weil die Migration sehr viel stärker von den Arbeitsmarktbedingungen in den Zielländern als in den Herkunftsländern abhängt. Drittens ist mit einem Anstieg der Rückkehrmigration zu rechnen, weil ausländische schneller als einheimische Arbeitskräfte entlassen werden. Insofern wirkt Migration als Puffer für einheimische Arbeitskräfte im Konjunkturabschwung. Alles in allem dürfte die Krise zumindest vorübergehend zu einer Abnahme der Migration aus den neuen Mitgliedsländern, und damit zu geringeren Erträgen, aber auch geringeren Risiken führen.

In aller Kürze

  • Die EU hat bei ihrer Osterweiterung Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit vereinbart. Die Fristen können schrittweise bis zu sieben Jahre verlängert werden.
  • In den ersten vier Jahren seit der Osterweiterung im Jahr 2004 ist die ausländische Bevölkerung aus den acht neuen mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten in der EU-15 von 0,9 Mio. auf 1,9 Mio. gestiegen.
  • Der Anstieg war mit einer Umlenkung der Migrationsströme nach Großbritannien und Irland verbunden. In Deutschland und Österreich ist die ausländische Bevölkerung aus den Beitrittsländern nur geringfügig gewachsen.
  • Simulationsrechnungen zufolge erhöht die Migration aus den Beitrittsländern das Bruttoinlandsprodukt in der erweiterten EU um 0,2 Prozent oder um 24 Mrd. Euro. Dabei steigt das BIP der Einwanderungsländer, das der Auswanderungsländer fällt.
  • Die Einkommen der einheimischen Bevölkerung in den Einwanderungsländern steigen langfristig, gehen aber kurzfristig leicht zurück.
  • Langfristig sind die Arbeitsmarkteffekte der Migration in den Ein- und Auswanderungsländern neutral, kurzfristig können die Löhne in den Einwanderungsländern leicht sinken und die Arbeitslosigkeit leicht steigen.
  • Eine Öffnung der Arbeitsmärkte für die Zuwanderung aus den Beitrittsländern wird in Deutschland langfristig positive Effekte haben.

Literatur
Baas, Timo; Brücker, Herbert; Hönekopp, Elmar (2007): EU-Osterweiterung: Beachtliche Gewinne für die deutsche Volkswirtschaft. IAB-Kurzbericht 6/2007.

Baas, Timo; Brücker, Herbert; Hauptmann, Andreas; Jahn, Elke J. (2009): Labour Mobility within the EU in the Context of Enlargement and the Functioning of the Transitional Arrangements: The Macroeconomic Consequences of Labour Mobility, Background Report, IAB Nürnberg.

Brücker, Herbert et al. (2009): Labour Mobility within the EU in the Context of Enlargement and the Functioning of the Transitional Arrangements, Final Report, IAB, CMR, fRDB, GEP, WIFO, wiiw, Nürnberg.

Brücker, Herbert; Damelang, Andreas (2009): Labour Mobility within the EU in the Context of Enlargement and the Functioning of the Transitional Arrangements: Analysis of the scale, direction and structure of labour mobility, Background Report, IAB Nürnberg.

Brücker, Herbert; Jahn, Elke J. (2008): Migration and the Wage Curve: A Structural Approach to Measure the Wage and Employment Effects of Migration, Institute for the Study of Labor (IZA), Bonn.

Layard, Richard; Nickell, Stephen; Jackman, Richard (2003): Unemployment: Macroeconomic performance and the labour market, 2nd Edition, Oxford, New York, Toronto und Melbourne: Oxford University Press.

Ottaviano, Gianmarco I. P.; Peri, Giovanni (2006): Rethinking the Effects of Immigration on Wages. NBER Working Paper 12497.

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