Raten und Quoten

Ein Hoch auf Geburten und Hausfrauen

Kurz nachdem Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen am Montag (16.02.2009) höchst erfreuliche Zahlen aus dem Familienreport 2009 vorgestellt hatte, stieg die Moral in Deutschland. Doppelmoral machte sich breit.

Laut Statistischem Bundesamt sei die Geburtenrate pro Frau von 1,33 auf 1,37 angestiegen. Während 2006 in Deutschland 672.724 Kinder geboren worden seien, sei die Zahl im Jahre 2007 auf 684.862 gestiegen. Auch für 2008 bestätige sich die positive Entwicklung.

Nach Ankündigung dieser Zahlen ging ein Freudenschrei durch Deutschland. Die Familienministerin lobte die eigene Familienpolitik, Regierungsmitglieder lobten die eigenen Reformen vergangener Jahre, die Medien freuten sich über den Kinderzuwachs und die neu entdeckte Kinderfreundlichkeit in Deutschland. Einzig einige Oppositionsparteien kritisierten das Eigenlob der Bundesregierung und warfen Schönfärberei vor angesichts vieler ungelöster Sozial- und Finanzprobleme in Familien mit Kindern.

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In einem Punkt waren sich Medien, Regierung und Opposition aber einig: Die steigende Geburtenrate ist eine positive und erfreuliche Entwicklung. Ein Hoch für Deutschland! Ein Hoch für die Mütter! Ein Hoch für deutsche Mütter?

Eine Aufschlüsselung nach Herkunft oder Abstammung der Mütter enthält der Familienreport nicht. Auch das das Bundesamt für Statistik differenziert allenfalls nach deutschen und ausländischen Müttern. Aufschluss bietet möglicherweise aber die Ende Januar 2009 veröffentlichte Integrationsstudie des Berliner Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, worin der Mikrozensus aus dem Jahre 2005 ausgewertet wurde. Laut dieser Studie gibt die durchschnittliche Haushaltsgröße eine erste Orientierung hinsichtlich der Geburtenraten verschiedener Herkunftsgruppen.

Die durchschnittliche Haushaltsgröße ist mit 2,0 Personen bei den Einheimischen und der Gruppe aus den 25 EU-Ländern am niedrigsten. Die mit Abstand größte Haushaltsgröße weisen hingegen Türken aus (3,2). Auch bei der Aufschlüsselung nach Familien mit zwei oder drei Kindern führen Türken mit 63,3 % die Tabelle an. Schlusslicht sind auch hier die Einheimischen mit 29,5 % und Migranten aus den 25 EU-Ländern mit 29,6 % – die zwei bestplatzierten Gruppen in der Gesamtauswertung der Berliner Integrationsstudie.

Was haben diese Zahlen und der Vergleich mit der eingangs erwähnten Integrationsproblematik zu tun, mag sich der eine oder andere jetzt fragen. Nun, die Berliner Studie subsumierte Frauen, die sich in Elternzeit befinden, zu den Hausfrauen, was wiederum als ein Indikator für nicht gelungene Integration gewertet wurde. Je höher die Hausfrauenquote – inklusive Mütter in Elternzeit – desto weniger integriert seien die einzelnen Migrantengruppen.

Türkischstämmige Frauen haben hierbei mit einer Hausfrauenquote von 48 Prozent äußerst schlecht abgeschnitten. Sie erhielten den schlechtesten Bewertungsschlüssel: 1 von 8, was sich auf das Gesamtergebnis der Studie auswirkte – Türken sind die am schlechtesten integrierte Migrantengruppe. Medien berichteten ausgiebig über das Ergebnis und konzentrierten sich fast ausschließlich auf Türken; Politiker ließen keine Gelegenheit aus, ein Statement über die Integrationsverlierer abzugeben.

Ohne auf weitere Einzelheiten und Verzerrungsfaktoren der Berliner Studie einzugehen, zeigt sich bereits an diesem Vergleich zum Familienreport 2009, dass in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen wird. Während wenige Wochen zuvor die hohe Hausfrauenquote – zwangsläufig mit bedingt durch hohe Geburtenraten – bei den Türken als ein Zeichen nicht gelungener Integration gewertet und angeprangert wurde, freut sich heute ganz Deutschland über gestiegene Geburtenraten und damit auch zwangsläufig über mehr Hausfrauen.

Möchte man, dass sich Migranten in Deutschland heimisch fühlen, sich mit diesem Land identifizieren und ein Loyalitätsgefühl entwickeln, muss man dafür sorgen, dass ihre Leistungen entsprechend gewürdigt werden. Im Lichte der Ausführungen des Familienreports sind insbesondere kinderreiche türkischstämmige Familien Vorbilder für die Gesamtgesellschaft. Wo aber bleibt das Hoch für sie?

Fazit: Innerhalb weniger Wochen wurden zwei Studien veröffentlicht. Türken nahmen in der Berliner Studie, wo sie als vermeintliche Verlierer dargestellt wurden, die Hauptrolle des Bösewichts ein. Im Familienreport hätten sie, wo sie vorbildlich abgeschnitten hätten, wenn man differenziert hätte, die Heldenrolle übernehmen können, wurden aber mit keiner Silbe erwähnt.

Ein Hoch auf das Integrationsland Deutschland! Anstoßen und trinken bis alle Lichter ausgehen. Die Doppelmoral wird sonst unerträglich.