Sinneswandel

Grüne in Niedersachsen fordern Burkaverbot

Die Ganzkörperverschleierung durch Burkas soll für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in Niedersachsen verboten werden – das fordert die Grünen-Fraktion entgegen bisherigen Bekundungen.

In einem jetzt bekannt gewordenen Parteibeschluss vom 29. März 2011 fordern die Grünen im niedersächsischen Landtag ein Verbot von Burkas im Öffentlichen Dienst. Das Tragen des Ganzkörperschleiers stelle „wahrscheinlich eine Überforderung der Toleranz der Gesellschaft dar“ und wirke „somit integrationspolitisch kontraproduktiv“, heißt es darin. Die staatliche Pflicht zur Neutralität und das Recht auf negative Religionsfreiheit seien für das geforderte Burkaverbot die maßgeblichen Gründe. Auf ein allgemeines Verbot im öffentlichen Raum nach französischem Vorbild wollen die Grünen ihre Forderung nicht ausdehnen – allerdings aus verfassungsrechtlichen Gründen.

Hannover gegen Berlin
Das überrascht aus mehreren Gründen: Zum einen hatte sich die Grünen-Landtagsfraktion 2004 gegen das „Kopftuchverbot“ für Lehrkräfte ausgesprochen, weil es integrationspolitisch als falsches Signal gewertet wurde. Jetzt wird argumentiert, dass ein Ganzkörperschleier eine deutlich stärkere Wirkung als ein Kopftuch habe. Auch seien die islamischen Verbände bisher in der Mehrheit gegen das Tragen des Ganzkörperschleiers im öffentlichen Dienst.

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Zum anderen setzen sich die Grünen in Hannover damit deutlich von der Bundestagsfraktion ab. Nachdem sich Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann sich im Frühjahr für ein Burkaverbot ausgesprochen hatte, bezeichnete Konstantin von Notz, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, das als „populistisches“ Punktesammeln. Schünemann warf er vor, „anti-islamische Ressentiments zunutze zu machen“.

Plötzlicher Sinneswandel
Am meisten dürfte allerdings der plötzliche Sinneswandel der niedersächsischen Grünen-Fraktion überraschen. Noch im Februar 2011 kritisierte Grünen-Fraktionsvorsitzender Stefan Wenzel Schünemanns Forderung als überflüssig und voreilig.

Auch sah Filiz Polat, Grünen-Landtagsabgeordnete im niedersächsischen Landtag, in Schünemanns Forderung eine Instrumentalisierung eines nicht existierendes Problems. In einer Pressemitteilung vom 4 Februar 2011 bedauert sie, dass mit der Debatte um ein Burkaverbot ein muslimisches Frauenbild gezeichnet wird, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Die Argumente zählen allem Anschein nach nich mehr. Denn das knapp zwei Monate darauf beschlossene Papier wurde von Polat mitverfasst.

Und das, obwohl sich an der Sachlage nichts geändert hat. Bis heute ist in Niedersachsen keine einzige Beamtin bekannt, die eine Burka trägt. Auch die Fraktion selbst stellt fest, dass es sich bei der Debatte um das Tragen des Ganzkörperschleiers „um absolute Einzelfälle handelt“. Die Debatte müsse daher „rational und sachlich“ geführt werden. „Es verbietet sich für eine verantwortungsvolle Politik, die Burkadebatte zu instrumentalisieren, um Ängste und Vorurteile gegen MuslimInnen und dem Islam zu schüren“, ist in dem Beschluss zu lesen.

Download: Beschluss der Grünen im niedersächsischen Landtag zum Tragen des Ganzkörperschleiers muslimischer Frauen im Öffentlichen Dienst kann hier (PDF) heruntergeladen werden.

Ein populistischer Zug
Doch genau das müssen sich die Grünen nun anhören: „Die Grünen sind auf einen populistischen Zug aufgesprungen und haben sich so von einer sachlichen Integrationsdebatte verabschiedet“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Pia Zimmermann.

Als Frauenrechtlerin sehe sie die Verschleierung zwar auch sehr kritisch, ein allgemeines Verbot ohne Anlass sei jedoch lediglich die unrühmliche Fortsetzung einer Scheindiskussion. Zimmermann weiter: „Innenminister Schünemann hat mit diesem Thema eine Phantomdebatte eröffnet. Dass die Grünen sich dem Innenminister jetzt anschließen, ist ein Armutszeugnis für ihre Integrationspolitik.“ Es bleibe zu hoffen, dass die Grünen am Ende vernünftig werden und ihre Position überdenken.

Grünen als Hilfskraft
Denn das könnte entscheidend werden, wenn das CDU-geführte Innenministerium, das Burkaverbot im Herbst in das Beamtenrecht aufnehmen will. Rückendeckung erhielt Schünemann vom Koalitionspartner FDP – bisher jedenfalls – nicht. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Jan-Christoph Oetjen, warnte im Frühjahr ebenfalls vor „einer reinen Symbolpolitik“: „Der Großteil der muslimischen Frauen lehnt eine Komplettverschleierung ohnehin ab. Die Diskussion geht an der Lebenswirklichkeit in deutschen Ämtern vorbei.“ Sollte die FDP standhaft bleiben und ein Burkaverbot nicht mittragen, könnten nun die Grünen einspringen. (bk)