Kerim Pamuk

„Man kann unseren Leuten leider nicht vorwerfen, dass sie selbst initiativ sind.“

Kerim Pamuk, der türkische Kabarettist und Buchautor aus Hamburg, spricht mit MiGAZIN über Chancengleichheit, Integration und die Rolle der Hodschas. Mit neun Jahren nach Deutschland gekommen, beleuchtet er kritisch Versäumnisse auf beiden Seiten und fordert mehr Eigeninitiative. Über seine Leidenschaft – das Schreiben – sagt er: „Man muss es tun.“

MiGAZIN: Herr Pamuk, Sie sind mit neun Jahren aus der Türkei nach Deutschland eingewandert. Welches Land und welche Kultur, würden Sie sagen, hat Sie eher geprägt?

Kerim Pamuk: Inzwischen mehr die deutsche Kultur. Aber da ich erst mit neun Jahren hierher kam, war die erste Prägung doch türkisch, was auch immer werteprägend bleiben wird. Natürlich lebe ich seit 30 Jahren hier aber ich denke, dass ich Beides in mir trage und immer tragen werde, weil eben die ersten neun Jahre doch prägend für mich waren.

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Kerim Pamuk (* 1970 in der Türkei) ist ein deutscher Schriftsteller und Kabarettist türkischer Herkunft. Geboren wurde Pamuk in einem Dorf an der türkischen Schwarzmeerküste. Als seine Eltern nach Deutschland einwanderten, blieben er und seine Schwester zunächst beim Großvater. Als Neunjähriger wurde er dann nachgeholt, schaffte es, innerhalb zwei Jahren Deutsch zu lernen, absolvierte Realschule, Aufbaugymnasium und Abitur. Beim Orientalistik-Studium lernte er seine spätere Ehefrau, eine Islamwissenschaftlerin, kennen. Gemeinsam leben beide mit zwei Kindern in Hamburg. Quelle: Wikipedia.

MiGAZIN: Da wären wir auch schon bei der nächsten Frage: Wie würden Sie sich denn definieren? Lieber als Deutscher, als Türke oder doch eher Deutsch-Türke, wie es so heißt?

Pamuk: Ich sage immer: „Ich bin Hamburger Türke.“ Weil ich nun Mal seit 30 Jahren in Hamburg lebe und weil ich nun Mal Türke bin. Es ist unsere Lebenssituation. Wir kennen und leben Beides, was für viele Deutsche immer noch schwer zu verstehen ist – dass es Menschen gibt, die Beides in sich tragen und sich nicht entscheiden wollen. Ich sage einfach immer, dass ich Hamburger Türke bin, denn darin ist alles enthalten, was meine Identität ausmacht: das Türkische wie auch das Hamburgerische.

MiGAZIN: Aber viele sogar hierzulande geborene Jugendliche können sich immer noch nicht mit Deutschland identifizieren. Woran kann das denn liegen?

Pamuk: Es hat sehr viele Ursachen, wie so oft bei schwierigen Fragen und komplizierten Themen. Sicherlich ist es eine der Ursachen, dass sie sich hier nicht gut aufgehoben und anerkannt fühlen. Weil man aber beide Seiten betrachten sollte, muss man sich zum einen die türkische Seite anschauen, was unsere Leute machen, was die türkischen Eltern leisten, um ihren Kindern hier gute Voraussetzungen zu geben, damit sie hier zurechtkommen, und zum anderen wie die deutsche Gesellschaft auf diese Leute reagiert. Meiner Meinung nach gibt es auf beiden Seiten immer noch große Missstände.

Bei unseren Türken ist es oft so, dass immer noch die Einstellung vorherrscht, sie müssen lediglich die Kinder zeugen und in das Schulalter bringen. Den Rest macht die Schule oder der Staat. Die Eigeninitiative oder der Gedanke, dass sie selber mitverantwortlich sind, ist bei unseren Leuten leider nicht sehr ausgeprägt. Weiterhin spielt die Lebensart der ersten Generation eine Rolle, die für Jugendliche auch sehr prägend ist: alle haben Satellitenschüsseln, alle gucken türkisches Fernsehen, fast alle lesen türkische Zeitungen, und das, was sie den Kindern vorleben, hat mit Deutschland nichts zu tun. Für die Kinder heißt dies wiederum – auch wenn sie hier in der dritten oder vierten Generation geboren sind – dass sie in zwei Parallelwelten leben. Zum einen die der Türkei zugewandte Welt zum anderen die Deutsche in der Schule. Das ist sicherlich ein weiterer Hemmschuh.

Dazu muss man aber auch ganz klar sagen, dass die Chancengleichheit durch die deutsche Gesellschaft auch nicht gegeben ist. Es gibt nach wie vor Benachteiligungen. Ich denke, dass es Schwarzköpfe schwerer haben als andere. Was wissenschaftliche Untersuchungen belegt haben, ist z.B., dass natürlich die soziale Herkunft und vor allem der materielle Hintergrund insbesondere bei der Schulbildung eine entscheidende Rolle spielen.

So würde ich vereinfacht sagen, dass viele Gründe existieren und man beide Seiten betrachten muss, da es auf Beiden große Versäumnisse gibt – sowohl auf türkischer, als auch auf deutscher Seite. Und das sind, denke ich, die Gründe, warum sie sich nicht sagen „Ich bin Deutscher“ oder „Ich fühle mich hier wohl“.

MiGAZIN: Damit wäre die Antwort auf die nächste Frage eigentlich bereits beantwortet. Wo müsste man das Problem Ihrer Ansicht nach anfassen?

Pamuk: Etwas, was in meinen Augen sehr entscheidend ist: Man kann unseren Leuten leider nicht vorwerfen, dass sie selbst initiativ sind. Man kann nicht sagen, dass sie aktiv sind, um an der Situation etwas zu verändern. Wenn man aber eine Sache ändern möchte, muss man damit zunächst selbst anfangen. Wir neigen oft dazu, dass wenn etwas nicht läuft, immer den Schuldigen woanders zu suchen. Die Schuld immer auf andere zu schieben. Die deutsche Gesellschaft, die deutsche Politik, die deutschen Behörden etc. Es wäre zumindest ein guter Beginn, wenn wir das Bestmögliche tun würden, was in unserer Hand steht, um unseren Kindern eben einen guten Start zu ermöglichen. Um sie sozusagen mit dem auszustatten, was sie brauchen, um sich hier zurechtzufinden. Und da, finde ich, liegt sehr viel bei uns im Argen.

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Mit orientalischer Gelassenheit blickt Kerim Pamuk auf Bier in der Badewanne, DIN-Normen und kalendarische Brückentage. Kurz: auf alles, was uns Deutschen lieb und teuer ist. Ich grüße euch aus dem Land der selten aufgehenden Sonne, liebe orientalische Schwestern und Brüder! Staunt mit mir über die Welt der Deutschen! Denn sie ist nicht gottgegeben wie die unsere, sondern das Ergebnis von Wille und Vorstellung: Die Germanen verlängern den Sommer durch Heizpilze gleich um Monate, versichern den Hund gegen Blitzschlag und verleihen ihren Babys durch die hohe Kunst des Dauerstillens magische Kräfte. Meine Nachbarn Bine&Manni haben mich übrigens per sms für heute Abend zu ihrer Party eingeladen. Zu essen gibt es das, was die Gäste mitbringen, also fünf Nudelsalate und drei Mal Tomate-Mozzarella. Da bin ich mit meinem Bulgur-Salat fein raus, auch wenn Manni stundenlang nach den Zutaten fragen wird. Aber für solche Situationen gibt’s ja Orientalpop-CDs: einfach einlegen, und die Deutschen vergessen alles um sich herum. Die sind wirklich sehr nett hier. Man muss es ihnen nur sagen. Grüße aus dem Abendland! Euer Kerim Pamuk

MiGAZIN: Thema der letzten Monate waren skandalöse Aussagen Sarrazzins bezüglich Türken und Araber, insbesondere über deren Berufe. In Ihrer Kurzgeschichte „Kokon“ ihres zweiten Buches „Alles roger, Hodscha?“ geht es genau um das Thema Berufe und Berufswünsche: Ziele setzen und verwirklichen, vor allem was die Zukunft betrifft. Darin möchte der Hauptcharakter Fotografin werden, ist aber Kellnerin und damit unzufrieden, da sie ihren Traum nicht verwirklichen konnte. Sehen sie die berufliche Situation der Einwandererkinder ebenso problematisch oder ist ein Positivtrend hin zu gehobeneren Berufszweigen zu beobachten?

Pamuk: Den Trend gibt es durchaus. Vor allem die Mädchen schneiden fast durchgehend besser ab als die Jungs, sowohl in der Schule als auch im sozialen Umgang miteinander. Aber wenn man einige Werte vergleicht, die Prozentzahlen an den Universitäten beispielsweise, oder wie viel Prozent der türkischen Jugendlichen überhaupt einen Abschluss erreichen, ist es immer noch deprimierend, wie klein der Anteil ist. Es gibt schon eine minimale Entwicklung zum Positiven hin, zu mehr türkischstämmigen Akademikern, aber leider noch viel zu gering. Es wäre schön, wenn nach 50 Jahren Migration die Anzahl wesentlich höher wäre.

MiGAZIN: Was wirkt Ihrer Ansicht nach integrationshemmend? Was steht der Integration der Migranten in Deutschland im Wege, das den ganzen Prozess erschwert?

Pamuk: Zuerst ein Mal ganz banal und hauptsächlich die Sprache. Wenn Sie bedenken, dass selbst türkische Kinder der zweiten und dritten Generation in keiner Weise in der Lage sind, sich sowohl im Türkischen, als auch im Deutschen auszudrücken, dass sie nur in einem Kauderwelsch aus beiden Sprachen aufwachsen, dann ist das sicherlich ein gewaltiger Nachteil, um sich hier zurechtzufinden. Bei der ersten Generation kann man das vielleicht noch nachvollziehen, weil sie nicht hier geboren sind. Wenn aber Kinder, die eben hier geboren und aufgewachsen sind, große Sprachprobleme haben, dann ist es sicherlich der größte Hemmschuh für eine gute Entwicklung, sowohl in der Schule als auch später.

MiGAZIN: Würden Sie denn sagen, dass man erst die türkische Sprache erlernen soll, damit der Zugang zur deutschen Sprache einfacher wird, oder sollten die Eltern lieber zuerst ihren Kindern das Deutsche beibringen?

Pamuk: Da gibt es die unterschiedlichsten Theorien, weil man sozusagen immer noch nicht genau weiß, wie der Spracherwerb funktioniert. Ich bin selber davon betroffen, weil ich kleine Kinder habe, bei denen ich auch versuche, den richtigen Weg zu finden. Ich würde sagen, dass es sicherlich für die Kinder sinnvoll wäre, zuerst die deutsche Sprache zu lernen, aus einem ganz einfachen Grund: Sie müssen bedenken, dass die meisten Türken – selbst wenn sie wollen, dass ihre hier geborenen Kinder mit ihrer Muttersprache aufwachsen – selber nicht gerade das beste Türkisch sprechen. Das heißt, dass der erste Spracherwerb der Kinder schon fehlerhaft ist. Das theoretische Fundament, das man mit der ersten Muttersprache legen könnte, ist bereits sehr brüchig. Weil eben die Eltern, die ja 30, 40, 50 Jahre alt sind, teilweise selber sehr schlechtes Türkisch sprechen, geht da etwas schief. Da ist schon etwas defekt.

Deshalb ist es sinnvoller, dass sie eben vernünftig Deutsch sprechen. Wenn den türkischen Eltern ihre eigene Kultur und Sprache so wichtig ist, wie sie immer tun, dann ist es deren Aufgabe, ihnen auch Türkisch beizubringen. Aber ich glaube eben nicht, dass deren Sprachfähigkeiten eine gute Grundlage für den Zweitsprachenerwerb sind.

MiGAZIN: Nochmals zu den Integrationshindernissen: In „Alles roger, Hodscha?“ waren es zum Teil auch die Imame, die Hass gegenüber Deutsche sowie die Abschottung und Abgrenzung von der „westlichen Welt“ gepredigt haben. Ist diese Anschuldigung nicht überspitzt und tun Sie Imamen nicht unrecht, die Integrationsarbeit leisten?

Pamuk: Natürlich ist es zunächst einmal eine fiktive Geschichte und keine Dokumentation. Es ist allerdings ein großes Problem, das darin verborgen liegt. Sie müssen bedenken, dass diese Imame und die Hodschas an türkischen Moscheen selten hier geboren und in das Leben hierzulande integriert sind und wenn sie nun, sagen wir es freundlich, konservativer Gesinnung sind, dann fällt es mir schwer zu glauben, dass ausgerechnet diese Menschen die richtigen Leute darstellen, um türkischen Kindern den richtigen Weg in der deutschen Gesellschaft zu zeigen. Aus ganz banalen Gründen: Wie viele von diesen Imamen und Hodschas sprechen selber Deutsch? Wie viele sind in das Leben hier integriert? Und in welcher Welt leben sie? Was ist ihre Kompetenz, um türkische Kinder darauf vorzubereiten?

Die meisten türkischen Eltern denken, dass wenn sie ihren Kleinen zum Hodscha schicken, sie nicht nur den Koran lernen, sondern auch erzogen werden sollen. Das würde ich bezweifeln. Bei vielen Menschen steht schlicht und ergreifend ihre religiöse Überzeugung der Integration im Wege. Deswegen glaube ich schon, dass es eine Schnittstelle ist, die ich für sehr bedenklich halte, wenn es um Integration geht. Da gibt es bessere Kandidaten und andere Stellen, die geeigneter wären, den türkischen Kindern hier den Weg zu weisen. Das sind meiner Meinung nach sicherlich nicht religiöse Würdenträger.

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Die gute Nachricht: Auch in Kerim Pamuks zweitem Buch kommen lustige Türken vor. Die noch gutere Nachricht: nicht nur! Da ist auch die zarte Liebesgeschichte eines Kioskbesitzers. Ein phlegmatischer Hamburger zuckert seinen Peiniger, und ein kurdischer Filmemacher hat Stress mit einem türkischen Esel – Zehn Geschichten, in denen charmanter Humor in allen deutsch-türkischen Variationen vorgeführt wird.

MiGAZIN: Als Kabarettist und deutsch-türkischer Autor nehmen Sie mit Ihrer Erfolgsgeschichte zweifelsohne auch eine Vorbildposition für junge Migranten ein. Wie haben Sie es als Migrantenkind bis hierher geschafft?

Pamuk: Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich im Gegensatz zu meinen Eltern nicht bei null angefangen habe. Ich habe sicherlich Glück gehabt, gut ich habe mich auch nicht ganz so doof angestellt, und ich war in einer Position, dass ich zumindest nach einer Zeit genau wusste, was ich wirklich machen will. Das ist eines der Hauptprobleme der heutigen Jugend: Sie wissen nicht, in welche Richtung das Ganze gehen soll. Die Voraussetzung dafür, dass ich all das machen konnte, haben meine Eltern gesetzt. Sie sind hierher gekommen und haben bei null angefangen – sogar bei minus zehn, könnte man sagen. Sie haben uns alle Möglichkeiten gegeben, uns zu entwickeln. Sie haben uns keine Steine in den Weg gelegt, weder meinen Schwestern, noch mir. Uns standen alle Türen offen, sie hatten all diese Möglichkeiten nicht. Bei meinem Beruf gehört aber auch sicherlich Arbeit, Talent und auch immer eine große Portion Glück dazu, dass man mit dem, was man machen möchte, auch Erfolg hat.

MiGAZIN: Es gab aber auch sicherlich Schwierigkeiten, vor allem als Kind und Jugendlicher in der Schule und später auch im Berufsleben. Würden Sie vielleicht ein solches Ereignis oder eine Erinnerung mit uns teilen?

Pamuk: Die größte Schwierigkeit bestand darin, dass ich die deutsche Sprache nach der friß-oder-stirb-Methode erlernen musste – was im Nachhinein für mich zwar gut aber damals als Kind nicht so lustig war. Wir wurden nachgeholt und meine Eltern haben in einem gutbürgerlichen Viertel in Hamburg gelebt. In der Klasse, in die ich geschickt wurde, gab es außer mir nur ein weiteres türkisches Mädchen, die ich nicht kannte. Alle anderen waren ausnahmslos Deutsche.

Es hatte den enormen Nachteil, dass ich mich mit neun Jahren mit niemandem verständigen konnte und die ersten Monate im Unterricht nichts verstanden habe. Und dann habe ich die Sprache sozusagen langsam Stück für Stück gelernt. Im Nachhinein war aber der Vorteil, dass ich gezwungen war, Deutsch zu sprechen, weil ich mich eben nicht auf Türkisch unterhalten konnte, was unter den türkischen Jugendlichen heutzutage viel öfter passiert, wodurch sie dann eher Türkisch als Deutsch sprechen. Ich war in einer Position – damals misslich aber im Nachhinein gut – dass ich eben Deutsch lernen musste. Was dafür gesorgt hat, dass ich in zwei Jahren mit den gröbsten sprachlichen Problemen durch war. Aber am Anfang, als neunjähriger Kleiner Dötz, war es ein enormes Problem. Du sitzt in der Klasse wie vor einer Wand und verstehst nichts.

Hinzu kam, dass der Wechsel auch sehr abrupt war. Der Unterschied von einer türkischen Kleinstadt zu einer deutschen Großstadt war enorm. Und das alles zu verdauen und zu verarbeiten und sich zurechtzufinden hat zehn Jahre gedauert. Da waren sehr viele Sachen dabei, die sehr lustig waren. Ganz klar.

MiGAZIN: Vielleicht ein spezielles Ereignis?

Pamuk: Ein ganz Banales, was jeder Türke auch kennt. Natürlich hatte ich irgendwann einen deutschen Kumpel, der mich dann mal mit nach Hause genommen hatte. Das war das erste Mal, als ich in einem deutschen Haushalt war. Wir standen bei ihm im Flur und auf dem Tisch war eine Schale mit Äpfeln. Er nahm sich einen Apfel und fragte mich, ob ich auch einen möchte und ich bejahte. Daraufhin fragte er seine Mutter „Mama, darf ich Kerim einen Apfel geben?“, und die Mama sagte aus der Küche: „Wenn genug da sind, ja.“ Sie können sich vorstellen, dass dies für einen türkischen Jungen, der in einem anatolischen Dorf aufgewachsen ist, das Krasseste ist, was er erleben kann, weil natürlich so etwas bei uns niemals passieren könnte. Die türkische Mutter würde mit dem Jungen schimpfen, wenn er eine solche Frage stellen würde. In dem Moment bin ich natürlich erstarrt und hab den Apfel nicht mehr angerührt, weil ich völlig belämmert war.

Ein weiteres Erlebnis, dass ich mit einen Kumpel an der Realschule hatte, dem ich in Mathe geholfen habe: Ich war nicht besonders gut aber es reichte aus, um ihm den Dreisatz beizubringen. Irgendwann verschwand er in der Küche und ich nahm Gerüche wahr – es wurde gekocht. Dann hörte ich, wie er mit seiner Mutter sprach. Er kam zurück, schaute mich mit einer leichten Rötung im Gesicht an und sagte: „Duuu, Kerim, eeehm meine Mutter und ich wollen jetzt essen.“ Dann meinte ich „alles klar“, und bin dann gegangen. So gab es eben diverse Erlebnisse, die eben typisch deutsch waren und mich schwer irritiert haben.

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„Wir wollen die über dreißigjährige Ignoranz auf beiden Seiten, die immer noch vorhandenen Vorurteile und Stereotypen hegen, pflegen und würdigen“. Kerim Pamuk erzählt mit treffsicherer Komik vom türkisch-deutschen Zusammenleben. Ob er über die sprachlichen Eigentümlichkeiten der dritten Generation sinniert, das anarchische Chaos einer türkischen Hochzeit schildert oder das neue Ethno-Marketing der Deutschen Telekom erläutert. In Sprich langsam, Türke gibt Pamuk letztgültige Antworten auf so wichtige Fragen seiner türkischen Landsleute wie die, warum die Deutschen die besten Autos bauen, aber trotzdem dieselbe Straße dreimal im Jahr aufreißen. Gerechterweise erklärt er den Deutschen aber auch den Kinderreichtum der Türken, die Ursachen für die lustige und derzeit viel imitierte Sprechweise türkischer Jugendlicher oder die Technikbegeisterung der Anatolen.

MiGAZIN: Welche Tipps könnten sie denn jungen Menschen mit einer Leidenschaft für das Schreiben mit auf den Weg geben?

Pamuk: Den einfachsten, banalsten und wichtigsten Tipp: sie sollen es machen. Es bringt nichts, darüber zu reden oder mit irgendwelchen Träumen herumzulaufen. Man muss es tun. Irgendwo anfangen zu tun. Als ich schreiben wollte, habe ich auch Bammel gehabt und dachte mir „Kann ich schreiben? Wird das was?“. Ich hatte aber einen sehr guten Lehrer an der Realschule, der mir immer gesagt hat: „Mach dir keinen Kopf, ob das, was du schreibst, etwas werden wird. Sag dir einfach: Du schreibst, es wird Schrott, was du schreibst, aber schreib.“ Und so würde ich eben jedem Jugendlichen raten – egal was er machen will, dass er es ausprobieren soll. Und wenn er es probiert, wird er schon merken, wohin die Reise geht.

MiGAZIN: Sie haben bereits mehrere Bücher geschrieben, in denen Sie sich mit Humor u.a. über Kulturunterschiede zwischen Deutschen und Türken ausgelassen haben und in denen auch, wie es so schön heißt, immer „lustige Türken“ vorkommen. Welchen Ihrer Charaktere haben Sie denn ganz besonders in Ihr Herz geschlossen und weshalb?

Pamuk: Es gibt verschiedene Charaktere. Was ich mag, sind lebenskluge türkische Männer und Frauen, Leute, die eine gewisse Bauernschläue haben, die ein eigenes Weltbild haben, mit dem sie zurechtkommen, und einen eigenen Humor, einen eigenen Witz. Das beispielsweise ist ein typischer Charakter. Ich mag Menschen, deren Lebensklugheit sich nicht nur auf Bildung oder eine akademische Laufbahn, sondern auf das Leben gründet. Und von diesen lebensklugen Menschen gibt es sehr viele bei uns Türken, die ich als Charakter sehr schätze.

MiGAZIN: Dann zu unserer letzten Frage: Welche Bücher würden Sie denn unseren Lesern empfehlen, die Sie als ganz besonders wertvoll oder spannend erachten?

Pamuk: Das lässt sich wirklich schwer sagen, weil es eine ganze Reihe von Büchern gibt. Ich persönlich lese querbeet. Sehr viele Sachbücher, sehr viele Geschichtsbücher und auch sehr viel Literatur. Was ich gerade für Leute, die schreiben wollen, sagen kann, ist, dass sie Kurt Tucholsky lesen sollten. Er ist ein großartiger Autor, der eine wunderbare Schreibe hatte und bei dem man sehr viel zur Methodik des Schreibens lernen kann. Dann gibt es eine ganze Reihe von englischen Autoren, die ich sehr schätze, wie beispielsweise Alan Sillitoe und diverse amerikanische Krimiautoren, die auch eine wunderbare Art haben zu erzählen. Ich kann jetzt aber nicht sagen: Das eine Buch muss jeder gelesen haben. Das gibt es nicht.