EU-Agenda Türkei

Der Vorsitzende der Unabhängigen Türkei-Kommission Ahtisaari

In dieser Woche geht es in der EU-Agenda Türkei um die Analysen des Friedensnobelpreisträgers und ehemaligen finnischen Staatspräsidenten Martti Ahtisaari. Er ist zugleich auch der Vorsitzende der Unabhängigen Türkei-Kommission und hatte den EU-Kommissionsbericht „Türkei in Europa: den Teufelskreis brechen“ ausgearbeitet. Dieser Bericht war Gegenstand einer Konferenz am Brookings-Institut in Washington.

EU-Mitgliedschaft der Türkei
Gleich nach Aufnahme der Verhandlungen hätten einige EU-Länder mitgeteilt, dass die Türkei, selbst wenn sie die erforderlichen Kriterien erfüllt, nicht als Mitglied aufgenommen wird. Dies stehe im Widerspruch zu den beim EU-Gipfel einstimmig gefassten Beschluss. Der gefassten Beschluss sei klar. Die Verhandlungen zielten auf eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei ab.

Dennoch würden der Türkei Hindernisse im Verhandlungsprozess aufgestellt. Mehr als die Hälfte der 35 Verhandlungskapitel werde blockiert. Daher forderte Ahtisaari die EU-Länder auf, ihr Versprechen einzuhalten. Vor seinem Washington Besuch, sei Ahtisaari in verschiedene europäische Länder gereist und sie aufgefordert, die Türkei wie ein Kandidatenland zu behandeln und eine Verhinderung der Verhandlungen zu unterlassen. Wenn in einem Kapitel kein Fortschritt verzeichnet werde, sollte der Prozess nicht unterbrochen sondern ein neues Kapitel eröffnet werden. Die gegenüber der Türkei eingegangenen Versprechen seien klar und offen. Daher sollten keine Alternativen zur Vollmitgliedschaft ausgesprochen werden.

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Infolge dieser negativen Haltungen sei die Unterstützung für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei von mehr als 70 Prozent im Jahre 2000 auf 42 Prozent im vergangenen Jahr gesunken. Bei den Reformen sei eine Verlangsamung zu beobachten. Daher müsse Ankara seine zwischen 2000-2005 eingenommene energische Haltung wieder aufnehmen und die Reformen energischer vorantreiben.

Bei der Bekämpfung der Korruption, Gewährleistung der Meinungs- und Religionsfreiheit, Respektierung der Minderheitenrechte, Gesetze über neue politische Parteien sowie die Änderung des Artikel 301 bestehe noch Handlungsbedarf. Ahtisaari wies darauf hin, dass in der Türkei in den nächsten zwei Jahren keine Wahlen anstehen. Die Regierung müsse diese Zeit für weitere Reformen nutzen.

Allerdings gäbe es auch gute Entwicklungen. In diesem Rahmen seien die Annahme des Nationalen Programms, die Ernennung eines Chefunterhändlers, der Beginn von TRT-Sendungen auf Kurdisch, die Gründung von kurdischen Instituten an Universitäten, das Treffen zwischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und dem Vorsitzenden der Demokratischen Gesellschaftspartei, Ahmet Türk sowie die Gesetzesänderung, die eine Verurteilung von Militärs vor zivilen Gerichten ermöglicht, zu nennen.

Armenien-Frage
Besonders zufrieden zeigte sich Ahtisaari über die Fortschritte in den türkisch-armenischen Beziehungen. Er hoffe, dass diese Entwicklung eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern gewährleistet. In der Armenien-Frage herrsche in der Türkei in jüngster Zeit eine offenere Diskussionsatmosphäre.

Die Beteiligung von Historikern und der intellektuellen Gesellschaftsschicht an dieser Diskussion wertete Ahtisaari als sehr positiv. Die mit dem Armenienbesuch von Staatspräsident Abdullah Gül – anlässlich des Fußball-Länderspiels zwischen Armenien und Türkei – eingeleitete „Fußballdiplomatie“ sei nach Angaben von Ahtisaari dabei sehr wichtig.

Als Problem sehe Ahtisaari in diesem Zusammenhang Beschlüsse ausländischer Parlamente über die Vorfälle von 1915. Diese würden die Lösungsbemühungen hindern und führten auch zu scharfen Reaktionen in der Türkei sowie zu einem Vertrauensverlust. Dabei könnten gute Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien positive Auswirkungen auf den ganzen Kaukasus haben.

Zypern-Frage
In der Zypern-Frage müssten die Führer beider Volksgruppen nach Angaben von Ahtisaari die vor ihnen liegende Chance gut nutzen. Die Europäische Union müsse aber auch die Satzung über den direkten Handel umsetzen und die Isolation der Zypern-Türken beenden.

Die Türkei spielt laut Ahtisaari eine wichtige Rollen bei der Beilegung von Spannungen in diesem Gebiet. Sie bilde für Arbeitskreise innerhalb der Europäischen Union ein wichtiges Übergangstor nach Zentralasien.

Energie und Wirtschaft
Schließlich lobte Ahtisaari auch das Energie-Projekt Nabucco und schnitt in seiner Rede auch die Finanzkrise an. Die türkische Wirtschaft sei dynamisch und wachse. Sowohl beim Außenhandel als auch in den direkten ausländischen Investitionen sei ein Anstieg zu verzeichnen. Auch der Bankensektor in der Türkei sei im Vergleich zu anderen Ländern in einer besseren Situation.

Fazit:
Der Reformprozess sei Ahtisaari zufolge für die Türkei enorm wichtig, egal ob sie EU-Mitglied werde oder nicht. In diesem Prozess würden wichtige Fortschritte verzeichnet. Wann die Türkei EU-Mitglied werde, hänge vom Verlauf der Verhandlungen ab. Jedoch dürften der Türkei keine künstlichen Hindernisse und aufgestellt werden. Dies sei keine ehrenhafte Haltung. In solch einem Europa wolle Ahtissari nicht leben.