Polizeigewalt in der Diskussion

Gewalt, Beleidigungen und Nötigungen

Polizistinnen und Polizisten vertreten das staatliche Gewaltmonopol. Opfervereine klagen, dass einzelne Polizisten nicht immer verantwortungsvoll damit umgehen. Die Polizeigewerkschaft spricht von falscher Wahrnehmung.

Wer zu Biplab Basu von der „Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt“ (KOP) in Berlin kommt, fühlt sich meist als Opfer – von Polizisten. Betroffen seien besonders häufig Menschen mit Migrationserfahrung, Sinti und Roma, psychisch Kranke und Obdachlose. Menschen, die keine Lobby haben und ohnehin in der Gesellschaft unterrepräsentiert sind, sagt Basu. Monatlich kämen mal sechs oder sieben, mal bis zu 18 Personen zur KOP – und das nur aus Berlin und dem näheren Umland.

Basu ist ehrenamtlicher Berater der Initiative. Rechtswidrige Gewalt in der Polizei sei weiter verbreitet, als viele wahrhaben wollten. „Wenn Menschen allgemein in der Gesellschaft keinen Respekt erfahren, behandelt auch die Polizei sie nicht respektvoll“, sagt er. Zurück bleibe bei den Opfern das Gefühl, keine vollwertigen Bürgerinnen und Bürger zu sein. Immer wieder fragten seine Klientinnen und Klienten, warum sie so behandelt würden, sie seien doch auch deutsch. „Man sollte kein Deutscher sein müssen, um Rechte zu haben“, sagt der Deutsch-Inder.

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Wie oft rechtswidrige Polizeigewalt tatsächlich vorkommt, lässt sich laut dem Bochumer Kriminologen Tobias Singelnstein nicht genau sagen. „Im Hellfeld bewegen wir uns bei mehr als 2.000 Verdachtsfällen jährlich, die von den Staatsanwaltschaften bearbeitet werden“, sagt er. Das Dunkelfeld sei aber wesentlich größer. „Wir gehen von einem Verhältnis von eins zu fünf aus“, sagt er. Auf ein Ermittlungsverfahren bei rechtswidriger Polizeigewalt kommen demnach fünf Fälle, in denen nicht ermittelt werde. Blickt man auf die Urteile, werden Beamte wegen Körperverletzung im Amt selten schuldig gesprochen, im vergangenen Jahr waren es laut Strafverfolgungsstatistik 19 Amtsträgerinnen und Amtsträger.

Gewalt, Beleidigungen und Nötigungen

Die Polizei vertritt in Deutschland das Gewaltmonopol des Staates. Trotzdem sind die Beamtinnen und Beamten „nur ausnahmsweise zum Gewalteinsatz befugt“, sagt Singelnstein. Etwa wenn sich Maßnahmen nicht mehr auf anderem Wege durchsetzen ließen.

Basus Klientinnen und Klienten erleben Übergriffe „in der Regel als Körperverletzung im Amt“, sagt der Aktivist. Diese reichten von Hämatomen über Schürfwunden bis hin zu Fällen, in denen die Opfer mehrere Wochen im Krankenhaus lägen. Dazu kämen Beleidigungen, Beschimpfungen und Nötigungen. „Immer wieder werden Menschen auch mit Handschellen abgeführt und dann stundenlang unschuldig festgehalten“, erzählt Basu.

Gewerkschaft der Polizei: Es fehlt an Verständnis

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, fordert eine klare Unterscheidung zwischen „tatsächlich rechtswidriger und als rechtswidrig empfundener Gewalt“. Viele Menschen wüssten nicht, welche Maßnahmen erlaubt sind und warum sie angewendet würden. „Wenn die Beamten zum Beispiel die Identität einer Person feststellen wollen, ist das auf der Dienststelle oft einfacher. Das wird dann mit einer Festnahme gleichgesetzt, was es aber nicht ist“, betont der Polizeihauptkommissar.

Rechtswidrige Polizeigewalt ist nach seiner Meinung keine gängige Praxis. Ansonsten gäbe es mehr Verurteilungen durch deutsche Gerichte. Zugleich gebe es natürlich Fälle von antisemitischem oder rassistischem Verhalten wie in bestimmten Chat-Gruppen oder bei den Drohmails gegen Personen mit Migrationshintergrund. Dass die Polizei aktuell von manchen Menschen als so gewalttätig wahrgenommen werde, habe andere Ursachen: Es fehle das Verständnis für die Arbeit der Polizei.

Angst vor Repressalien

Beamtinnen und Beamten würden zunehmend in ihrer Arbeit gestört. Teilweise würden die Polizistinnen und Polizisten angegriffen, entweder von Unbeteiligten oder von der Person, gegen die sich die Maßnahme richtet. „Das kann nicht sein. Wenn jemand das Gefühl hat, er wurde unrechtmäßig behandelt, muss das ein Gericht klären“, sagt der Polizeihauptkommissar.

Phillipp Krüger, Polizei-Experte bei Amnesty International in Deutschland, kennt Fälle, in denen Beamtinnen und Beamten bei unrechtmäßigem Verhalten von Kollegen in Einsätzen gerne eingegriffen hätten, sich aber nicht trauten. „Dass es ein Problem gibt, sehen auch Menschen in der Polizei“, sagt er. Es gebe aber Angst vor Repressalien durch das Kollegium. Nichtsdestotrotz gebe es immer wieder Polizistinnen und Polizisten, die an die Menschenrechtsorganisation herantreten und Rat suchen. (epd/mig)