Migranten hoffen auf Biden

Partystimmung an der US-Grenze

Zehntausende Mittelamerikaner warten in Mexiko darauf, in die USA einreisen zu dürfen. Mit dem künftigen Präsidenten in Washington könnten sie ihr Ziel erreichen. Ob Joe Biden seine Versprechen halten wird, ist jedoch nicht sicher.

Sollte er es endlich schaffen? Seit über einem Jahr hängt Guillermo in der nordmexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez fest und kommt nicht auf die andere Seite des Rio Bravo. „Nun wandeln sich die Dinge zum Guten“, hofft der Honduraner. „Die Ergebnisse dieser Wahl eröffnen uns Migranten eine neue Perspektive.“ Mit Joe Biden als Präsident würden die Chancen für die Einreise in die USA steigen, sagt er. „Vorausgesetzt, der künftige Staatschef hält sein Versprechen, uns zu helfen.“

Guillermo, 43 Jahre alt, kräftig gebaut, will seinen Nachnamen lieber nicht genannt haben. In der Migrantenherberge „Pan de Vida“ im Stadtviertel Anapra ist er zwar in Sicherheit, aber er befürchtet negative Folgen für sein Verfahren. Im August 2019 hat er mit seinem zehnjährigen Sohn die Grenze in die USA überquert, sich dort der Migrationspolizei gestellt und in der Nachbarstadt El Paso Asyl beantragt.

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Biden: grausame Politik

Doch die Beamten schickten die beiden zurück. Seither warten sie auf eine Entscheidung der US-Behörden. So sieht es das „Protokoll zum Schutz von Migranten“ (MPP) vor, das Präsident Donald Trump mit der mexikanischen Regierung vereinbart hat. Allein Ciudad Juárez musste letztes Jahr über 20.600 Schutzsuchende aufnehmen, insgesamt harren 70.000 Asylbewerber in Mexikos Grenzstädten aus und hoffen darauf, dass die US-Behörden ihre Asylanträge bewilligen.

Hält Biden Wort, wird nicht nur das umstrittene MPP-Protokoll wieder abgeschafft. Trumps Mauer werde keinen Zentimeter weitergebaut, und seine „grausame sinnlose Politik“ der Trennung von Kindern und Eltern in Gefängnissen an der Grenze aufgehoben, versprach er. Grund genug für Guillermo und Tausende weitere Migranten und Flüchtlinge, den Sieg des Demokraten ausgiebig zu feiern.

Partystimmung

Ob in Tijuana, Matamoros oder Ciudad Juárez, in allen Grenzstädten verfolgten die Mittelamerikaner die US-Wahl an Fernsehern, Radios oder Smartphones. „Als sie gehört haben, dass Trump verloren hat, war Partystimmung“, erzählt Ismael Martínez Santiago, der Leiter der Herberge „Pan de Vida“. Ein Video zeigt, wie Menschen mit Mundschutz „Biden, Biden, Biden“ rufen und applaudieren. Doch viele hätten das Warten nicht mehr ertragen, berichtet der 50-Jährige. Tausende seien verzweifelt in die Länder zurückgekehrt, aus denen sie vor Gewalt, Verfolgung oder Armut geflohen waren.

Martínez‘ Herberge liegt nur wenige Meter von dem Metallzaun entfernt, der Mexiko von den USA trennt. Derzeit wohnen etwa 140 Schutzsuchende aus El Salvador, Guatemala, Kuba und anderen Staaten in den Häuschen auf dem Gelände. Sie teilen sich improvisierte Küchen und Schlafzimmer, in denen ein Hochbett neben dem nächsten steht.

Große Hoffnung

Auch Karla, die ihren kompletten Namen ebenfalls nicht nennen will, lebt dort. Seit 15 Monaten wartet die Honduranerin darauf, dass die US-Behörden ihren Fall bearbeiten. Den letzten Termin hatte die 25-Jährige im März. Doch der wurde verschoben, weil die USA wegen der Corona-Pandemie die Grenze schlossen. Nun soll Karla im Februar den Asylrichtern ihre Fluchtgründe erklären. „Mich stört es nicht, zu warten“, sagt sie, „denn jetzt habe ich große Hoffnung auf Erfolg“.

Enrique Vidal vom Menschenrechtszentrum Fray Matías ist weniger optimistisch. Das Zentrum kümmert sich in der Stadt Tapachula an der Grenze zu Guatemala um Migranten und Flüchtlinge, die auf dem Weg in die USA sind. Auch Präsident Barack Obama, dem Biden als Vize diente, habe Druck ausgeübt, damit Mexiko die Migration eindämmt. Mexikanische Beamte sorgten seither dafür, dass Schutzsuchende die US-Grenze nicht erreichten, erklärt Vidal dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Eine radikale Wende in der US-Migrationspolitik wird es nicht geben“, vermutet er.

Bidens Versprechen

Dennoch glaubt auch Vidal, dass sich manches zum Besseren verändern wird. „Biden hat versprochen, den Aufenthaltsstatus von Migranten in den USA zu regulieren. „Dadurch könnten die Angehörigen in den Herkunftsländern die Angst verlieren und eine Familienzusammenführung anstreben“, erklärt er. Zudem könnten die Übergriffe bei Festnahmen und Abschiebungen, etwa Folter und sexuelle Gewalt, eingeschränkt werden. „Und das wäre ja schon viel“, sagt Vidal.

Derzeit stoppt jedoch vor allem das Coronavirus die Migration in die USA. In der Herberge „Pan de Vida“ in Ciudad Juárez halten sich nur halb so viele Menschen wie 2019 auf, in Tapachula sind im Sommer 90 Prozent weniger Schutzsuchende angekommen. Ein historisches Tief, erklärt Vidal: „Covid-19 hat geschafft, was weder Mauern noch Migrationsbeamte erreicht haben.“ (epd/mig)