Nebenan

Meinungsfreiheit

Deine Freiheit endet da, wo meine Nase beginnt. Und warum wir Gewalt in einem Falle angeekelt ablehnen und sie im anderen Falle nachvollziehen können. Ein paar Gedanken zu Frankreich.

Meinungsfreiheit heißt zuerst einmal, jede Meinung frei sagen zu dürfen. Nicht frei von jedem Widerspruch allerdings: Die Gegenrede, die manche Menschen nicht aushalten wollen, ist ebenso von der Meinungsfreiheit gedeckt, wie deren eigene Äußerungen. Auch ist freie Meinungsäußerung kein Freibrief, Lügen frei von jedem Kontakt zur Realität zu verbreiten. Zunächst einmal bedeutet die freie Meinungsäußerung nur, in der Meinungsäußerung frei von staatlicher Zensur zu sein.

Ohne also relativieren zu wollen oder gar zu verteidigen: Wer heute die Mohammed-Karikaturen zeigt, weiß und muss wissen, dass er einen Teil seiner Mitbürger damit auf das Schärfte beleidigt und Hass schürt – wenn auch in erster Linie auf sich selbst. Natürlich ist das Verfallen auf Gewalt verurteilenswert und dass der Täter mittlerweile tot ist, ist sicher auch nicht die schlechteste Auflösung der Situation, selbst wenn ich die Todesstrafe grundsätzlich ablehne – aber um es mal bildlich auszudrücken: „Deine Freiheit endet da, wo meine Nase beginnt.“ Jener französische Lehrer hat vor einer Reihe Nasen keinen Halt gemacht, sodass sich unter Millionen Beleidigten irgendwann ein Einzelner (bei einem Nazi würde man wohl von einem „Einzeltäter“ und einem „möglichen politischen Hintergrund“ – und nicht eben von einem Terroristen – sprechen) gefunden hat, der sich zur verachtenswerten, extremsten aller Taten hat verleiten lassen.

___STEADY_PAYWALL___

„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ Das deutsche Grundgesetz setzt der freien Meinungsäußerung nicht ohne Grund Grenzen. Und so wie ich mit einem alten Mann, der allein, mit Kippa und Pejot, auf das Schild-und-Schwert-Festival geht, um allen Anwesenden zu erklären, dass Nazis so dumm sind, wie ihr Pimmel klein, wenig Mitleid hätte, wenn er in der Folge vom anwesenden Mob aufgeknüpft würde (auch wenn er für mich damit zum Märtyrer würde, denn: wie geil wär das denn?!), hätte ich natürlich auch wenig Mitleid mit der naiven jungen Ärztin, die sich frisch von der Uni auf macht ins Schwabenländle, um den Menschen dort von der Kulturleistung des Impfens zu berichten, nur um dafür auf dem Scheiterhaufen zu landen. Diese Form der puren Provokation um der Provokation willen, kann Folgen haben – und so sehr wir die Folgen in Form von Gewalt in einem Falle angeekelt ablehnen, können wir sie im anderen Falle vielleicht selbst nachvollziehen: vor allem dann nämlich, wenn nicht jemand anderes, sondern wir selbst gemeint sind.

Ein echtes Problem haben wir da, wo nicht mehr nur Arschlöcher und Hassprediger, selbstbewusste agent provocateur, bedroht sind auf die Fresse zu fliegen, die es genau darauf anlegen – auch wenn das natürlich schon problematisch ist. Ein echtes Problem haben wir, wo auch der ganz normale Deutsche mit jüdischem Imaginationshintergrund nicht mehr auf die Straße kann, weil Minderbepimmelte mit islamistischem Imaginationshintergrund oder mit faschistischem Gesinnungsvordergrund, dessen reine Existenz für eine Provokation halten, noch bevor er die Möglichkeit hat, den Mund aufzumachen und zu beginnen, wie der sprichwörtliche Rohrspatz diese zu beleidigen und zu beschimpfen.

Und auch dann, wenn der niederländische Rundfunk seine Logos von seinen Fahrzeugen entfernen muss, weil ihm so viel Hass aus dem, von „rechtspopulistischen“ Parteien angestachelten, illiberalen Milieu – von Coronaleugnern und Impfgegnern, von protestierenden Bauern und Verschwörern – entgegenschlägt, dass der verbitterte Vorwurf, „fake news“ zu verbreiten und „Lügenpresse“ zu sein, im Vergleich der harmlose Alltag ist: wenn Fahrzeuge auf der Autobahn ausgebremst und so tödliche Unfälle provoziert werden, nur weil sie das Logo des öffentlichen Rundfunks tragen. Wobei wir uns angewöhnen sollten, islamfeindliche Faschisten wie Geert Wilders und seine PVV oder die autoritär-nationalradikalen „Gemäßigten“ in der AfD auch so zu benennen, statt „rechtspopulistisch“ als Chiffre hierfür zu nutzen – selbst wenn wir damit Gefahr laufen, dass uns einer dieser minderbepimmelten Hassbürger dafür auf die Fresse haut.