Interview mit Jonathan Fine

Museumschef für freiwillige Rückgabe von Kolonialismus-Objekten

Der Leiter des Ethnologischen Museums in Berlin, Jonathan Fine, hält die Rückgabe von gestohlenen oder unrechtmäßig erworbenen Objekten aus kolonialen Kontexten für selbstverständlich. Aber auch rechtmäßig erworbene Objekte sollten Herkunftsgesellschaften zur Verfügung gestellt werden, sagt der Kunsthistoriker im Gespräch.

Das Ethnologische Museum in Berlin verfügt unter anderem über eine rund 1.400 Objekte umfassende Namibia-Sammlung. Viele Objekte stammen aus sogenannten kolonialen Kontexten. Die meisten Gegenstände kamen den Angaben zufolge vor 1905 durch Missionare, Kaufleute, Kolonialbeamte und Militärs aus der früheren Kolonie Deutsch-Südwestafrika nach Berlin. Im Rahmen des Projekts „Confronting Colonial Pasts, Envisioning Creative Futures“ verfolgt der Direktor der Sammlung, Jonathan Fine, zusammen mit Wissenschaftlern in Namibia einen neuen Ansatz.

Seit mehr als einem Jahr arbeiten Sie jetzt mit Forscherinnen und Forschern aus Namibia zusammen. Dazu sind auch Objekte, darunter Schmuck und historisch Artefakte, nach Namibia geschickt worden. Was ist das Ziel der Zusammenarbeit?

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Jonathan Fine: Aus meiner Sicht ist ein zentrales Ziel unserer Arbeit mit unseren Kollegen in Namibia zu verstehen, was die Objekte aus Namibia in ihrem historischen Kontext bedeuteten, wie und warum sie nach Berlin kamen und was sie heute und für die Zukunft zu bedeuten haben, eigentlich ihre Provenienz. Die deutsche und namibische Kolonialvergangenheit war schwierig und gewalttätig. Sie beinhaltete nicht nur die Missionierung und den Diebstahl von Land von Menschen in Namibia, sondern auch den gewaltsamen Krieg gegen verschiedene namibische Bevölkerungsgruppen. Sie prägte aber auch die Umrisse der deutschen und namibischen Geschichte im 20. Jahrhundert. So schlossen sich beispielsweise Soldaten aus Deutschland, die von 1905 bis 1908 in Namibia kämpften, Organisationen an, die die Weimarer Republik destabilisierten und sich in den 1930er Jahren für die Wiederherstellung der ehemaligen deutschen Kolonien einsetzten.

Diese historisch gewachsenen Verbindungen wirken bis heute.

„Es ist offensichtlich, dass Objekte, die gestohlen oder unrechtmäßig erworben wurden, zurückgegeben werden müssen. Aber viele Objekte kamen auf damals unproblematische Weise nach Berlin: Zum Beispiel als Ausdruck der Freundschaft, als fairer Kauf oder als Dinge, die speziell für Europäer hergestellt wurden.“

Unsere gemeinsame Geschichte beeinflusst nach wie vor unsere Gegenwart: Viele Namibier aus allen Schichten sprechen heute Deutsch als Erst- oder Zweitsprache und haben Verwandte, die in Deutschland leben. Das Bild, das viele Deutsche von Afrika, seinen Menschen, seinem Land und seinen Kulturen haben, ist stark von Namibia geprägt. Durch unsere Arbeit gemeinsam mit Kollegen aus Namibia versuchen wir, diese Geschichte zu verstehen, die wir teilen, die uns aber auch teilt. Wir versuchen auch zu verstehen, was für eine Zukunft wir gemeinsam aufbauen können.

Bei der Vorstellung des Projektes im vergangenen Jahr sagte der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, dass über den weiteren Verbleib der Objekte gesprochen werden müsse, er aber nichts dagegen habe, wenn die Objekte auch dauerhaft nach Namibia zurückgingen. Ihr aktuelles Kooperationsprojekt mit Namibia zeigt ja auch einen anderen möglichen Weg auf. Wie ist Ihre Haltung zur Frage der Rückgabe von Sammlungsgegenständen?

Es ist offensichtlich, dass Objekte, die gestohlen oder unrechtmäßig erworben wurden, zurückgegeben werden müssen. Aber viele Objekte kamen auf damals unproblematische Weise nach Berlin: Zum Beispiel als Ausdruck der Freundschaft, als fairer Kauf oder als Dinge, die speziell für Europäer hergestellt wurden. Dennoch kann es aufgrund der tiefgreifenden Brüche, die durch die koloniale Vergangenheit stattgefunden haben, für die Namibier von grundlegender Bedeutung sein, selbst zu Objekten, die von unserem Museum rechtmäßig erworben wurden, wieder Anschluss zu finden. Wir müssen, wie Professor Parzinger vorschlug, auch offen bleiben für die Rückführung solcher Objekte nach Namibia, wo sie vergessene kulturelle Horizonte oder Wege der kulturellen Erneuerung oder Entdeckungen eröffnen können.

Welche Aufgabe haben Ihres Erachtens künftig Ethnologische Sammlungen in Deutschland und anderen ehemaligen Kolonialstaaten?

Ethnologische Museen, wie auch immer sie heißen mögen, können als Plattformen für das Lernen über die Vielfalt und Komplexität der menschlichen Kultur und Gesellschaften dienen. Unsere verschiedenen und ähnlichen Sprachen, Glaubensrichtungen, Kunstfertigkeiten, Praktiken und Leben. Die Sammlungen, die diese Museen beherbergen, sind Archive der Vergangenheit, mit all ihren Dornen, darunter vor allem die koloniale Vergangenheit. Und das gehört zu ihrer zentralen Aufgabe in den ehemaligen Kolonialstaaten – die Offenlegung und Förderung der Reflexion über diese Vergangenheit. Aber sie enthalten auch den Keim für ein echtes Lernen über Menschen aus der ganzen Welt und aus verschiedenen Epochen und für die Annäherung an sie. Sie können Foren der Zukunft sein. (epd/mig)